Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens
Читать онлайн книгу.wie sie ihn liebevoll nannte.
»Warum heiratet ihr eigentlich nicht? Ihr habt euch doch lieb, und wir wären eine richtige Familie«, kommentierte Svenja regelmäßig.
Oliver und Katharina kannten sich seit der ersten Klasse. Damals hatte er ihr ein paarmal begeistert durch die dunkelbraunen Locken gewuschelt, bis Katharina ihm eine geknallt hatte.
»Nur, weil du komische Haare hast, brauchst du mir nicht dauernd in meine zu fassen«, hatte sie ihn dazu belehrt.
Oliver war überrascht zurückgezuckt und hatte sich entschuldigt. Was an seinen glatten blonden Haaren komisch war, verstand er nicht. Ab diesem Tag wurden sie Freunde, saßen fast die ganze Schulzeit nebeneinander und halfen sich gegenseitig durchs Abitur. Während Olivers Jura- und Katharinas Journalistikstudium blieb der Kontakt genauso eng.
Oliver hatte sich sämtliche unglücklichen Liebesgeschichten von Katharina angehört und selbst nur von Frauen berichtet, die er entweder für unerreichbar hielt oder deren Interesse er nicht erwiderte. Bis zum heutigen Tag war er Dauersingle. Dass sie beide etwas anderes sein könnten als gute Freunde, war ihnen nie in den Sinn gekommen – auch wenn das außer ihnen niemand verstand. Vor allem nachdem Katharinas letzte Beziehung noch vor Svenjas Geburt zu Ende gegangen war, was Oliver eine neue Rolle zugewiesen hatte.
»Ich kann Kinder nicht leiden. Wenn du es unbedingt willst und sonst niemanden hast, spiele ich natürlich den Patenonkel für Svenja. Aber glaub nicht, dass ich ewig Zeit habe zum Dutzi-Dutzi-Machen. Ich habe schließlich einen fordernden Beruf.«
Das waren Olivers einfühlsame Worte gewesen, als er seine Freundin nach Svenjas Geburt im Krankenhaus besucht hatte. Hätte Katharina Oliver und seinen angeborenen Pessimismus nicht mehr als 30 Jahre gekannt, hätte sie ihn wahrscheinlich rausgeschmissen. Und wie sie es vermutet hatte, tat Oliver alles für Svenja. Seine Bedeutung ging weit über die eines Patenonkels hinaus. Oft musste sie an die Zeit denken, als ihre Tochter drei Jahre alt war und Oliver einen besonders schwierigen Fall bearbeitet hatte: Eine junge Frau hatte ihn gebeten, sie zu verteidigen. Sie berichtete ihm, ihr Freund habe sie mehrfach vergewaltigt, streite dies aber ab. Sie hatte ihn angezeigt, nachdem sie ins Frauenhaus gezogen war. Dieser Fall ging Oliver sehr an die Nieren, letztlich wurde der Täter verurteilt – vor allem dank Olivers akribischer Arbeit. Obwohl er in dieser Zeit oft bis spät in die Nacht Akten wälzte, war er zur Stelle, wenn Svenja »Olipfa«, wie sie ihn damals nannte, sehen wollte oder Katharina ihn als Babysitter brauchte.
Ob die Liebe zum Patenkind speziell heute so groß wäre, dass Oliver einspringen würde, bezweifelte Katharina. Sie hatte seine Großzügigkeit in letzter Zeit recht häufig strapaziert. Und Svenja hatte wahrscheinlich wenig Lust, von Oliver aus der Schule abgeholt zu werden, weil ihre Mutter es nicht schaffte. In der Regel nahm Oliver Svenja mit in seine Kanzlei, was Svenja anfangs »cool« fand. Immerhin gab es ein eigenes Kinderzimmer für sie. Aber was war das speziell heute gegen Burger und Kino? Katharina merkte, wie sich das schlechte Gewissen breitmachte. Mit flauem Gefühl in der Magengegend griff sie zum Hörer:
»Hallo, Oliver, wie geht’s?«
»Mittelprächtig, ich habe den ganzen Morgen einen komischen Druck auf der Stirn und den Nebenhöhlen, ich frage mich, ob das wirklich nur eine Nebenhöhlenentzündung ist. Vielleicht sollte ich eine Computertomografie machen lassen. Die letzte ist immerhin schon ein Jahr her.« Auch das noch, Oliver hatte einen seiner hypochondrischen Anfälle. Er würde noch ungehaltener reagieren.
»Und du, hast du die Kinokarten? Svenja hat mich gestern extra angerufen, um mir zu erzählen, dass sie heute Mama-Tag hat. Sie freut sich wahnsinnig auf den Nachmittag mit dir.«
Katharina schnürte es den Hals zu und kurz verfluchte sie ihren Chef – und Robert Adelhofer gleich dazu.
»Katharina, du willst nicht etwa sagen …« Oliver kannte sie einfach zu gut. Der Kloß im Hals wurde größer.
»Sagt dir Robert Adelhofer was?«
»Dieser Idiot mit seiner Talkshow? Klar sagt der mir was. Ein selbstgefälliger Vollpfosten, der aus seiner Bergwinter-Nummer Kapital geschlagen hat. Frauen finden angeblich, dass er gut aussieht. Warum?«
»Weil der heute Nachmittag seine Biografie vorstellt.«
»Katharina, du hast wochenlang deine Tochter vernachlässigt, du hast heute endlich einen freien Nachmittag für dich und Svenja, sag mir nicht, dass du die bist, die zu diesem Termin muss.«
Nein, natürlich nicht, ich kann mir meine Aufträge aussuchen und habe RG einfach gesagt: »Nee, den Adelhofer muss leider ein Kollege machen, auf den habe ich keine Lust«, dachte Katharina wütend.
»Warum sagst du nichts? Ich habe also recht. Ich soll meine Kopfschmerzen vergessen, meine Klienten gleich mit und mit Svenja Burger essen und ins Kino? Okay, ich mache es, wegen Svenja, weil sie mir wirklich langsam leidtut. Und noch was: Heute Abend um 21 Uhr bin ich im Jazzclub. Wenn du bis dahin nicht zu Hause bist, nicht mehr mein Problem. Tschüss.«
Idiot, gefühlskalter Macho, schoss es Katharina durch den Kopf. Das Telefon klingelte, Olivers Nummer auf dem Display.
»Hallo, ich bin es. Tut mir echt leid, dass ich eben ausgerastet bin.«
»Oliver, vergiss es, du hast vollkommen recht. Und ich schwöre dir, heute Abend bin ich um 18 Uhr zu Hause. Spätestens, versprochen. Nach der Pressekonferenz findet noch ein Umtrunk statt, und da sollte ich hin, weil RG was Größeres über Adelhofer will. Um 18 Uhr bin ich aber daheim, komme, was wolle. Das Ganze fängt erst um 14 Uhr an, ich hole Svenja auf alle Fälle von der Schule ab und ich kann auch noch mit ihr Burger essen. Nur das Kino müsstest du übernehmen. Du bist dann übrigens Svenjas Vater. Sie will unbedingt in den neuen ›Fack ju Göhte‹, der ist für Kinder unter zwölf nur in Begleitung eines Elternteils erlaubt. Bei zu übler Fäkalsprache halt ihr bitte die Ohren zu. Ich hab mich breitschlagen lassen, ihre halbe Klasse war schon drin.«
»Alles klar. Auch noch gegen das Gesetz verstoßen. Super! Dann gehe ich aber selbstverständlich mit zum Burgerladen. Ohne einen Chickenburger ertrage ich diesen furchtbar gut aussehenden M’Barek nicht.«
Katharina grinste vor sich hin. Chickenburger waren das einzige Fast Food, das ihr hypochondrischer Freund aß.
»Hühnerfleisch ist fettarm, das verstopft die Arterien nicht wie Pommes«, pflegte er zu sagen, wenn er zwei Portionen Barbecuesauce zu seinem Burger orderte und anschließend genüsslich in das Hühnerpressfleisch biss.
»Klar kannst du mit, ich dachte nur, dein Job und deine Kopfschmerzen …«
»Das krieg ich irgendwie hin. Wenn du ab morgen dein Leben im Griff hast, werde ich ab sofort sowieso alle Zeit der Welt haben, um mich um meinen Beruf und meine Gesundheit zu kümmern statt um anderer Leute Kinder.«
»Um 12.15 Uhr vor der Schule?«
»Okay, bis später. Wenn du nicht da bist, werde ich mir mit Svenja übrigens nicht die Beine in den Bauch stehen, du weißt, wo du uns findest.«
»Ich bin pünktlich«, sagte Katharina grimmig und legte auf.
Die nächsten zwei Stunden verbrachte sie im Archiv von »Fakten« und suchte mit ihrer Freundin und Archivarin Birgit Wachtelmaier die wichtigsten Infos zu Robert Adelhofer zusammen. In kürzester Zeit hatte Birgit die verschiedenen Datenbanken abgefragt. Und obwohl Katharina ihre Freundin einige Jahre kannte, war sie über deren Schnelligkeit mal wieder überrascht. Sie passte nicht zu ihrem eher gemütlichen Aussehen. Birgit war mit ihren 38 Jahren das, was Frauenzeitschriften als »vollschlank« bezeichneten, dazu nur 1, 62 Meter groß. Und durch die enganliegende Kleidung, die sie liebte, wurde ihre Leibesfülle zusätzlich betont. Heute trug sie zu knallgelben Leggins schwarze High Heels – wobei »high« wörtlich zu nehmen war. Obenrum hatte sie sich in einen froschgrünen, mit Pailletten bestickten Body gezwängt. Ihre Outfits ergaben ein beeindruckendes Bild, das Katharina immer aufs Neue faszinierte. Seit der Scheidung von einem netten, etwas farblosen Beamten, den Birgit einst tatsächlich auf dem Finanzamt bei einem Beratungsgespräch für ihre Steuererklärung kennengelernt hatte, lebte sie ihre gewonnene Freiheit vor allem mit