Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens

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Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens


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Jahren allein – glücklich, wie sie betonte.

      Um ihre Erscheinung noch farbenfroher zu gestalten, hatte sie heute ihre schulterlangen, schwarz gefärbten Haare mit einer Haarspange nach hinten gesteckt, auf der eine große rote Stoffblume leuchtete. Birgits Gesicht war sorgfältig geschminkt, Rouge und Lippenstift passten zur Haarspange. Während Katharina staunte, hörte sie Birgit streng sagen: »Du ziehst dir bestimmt noch was Anständiges an? Ich meine, diese alte Jeans und das graue Kapuzen-Shirt, das ist vielleicht was für den Spielplatz mit Svenja, aber nicht für die Adelhofer-Pressekonferenz. Der Mann ist schließlich wichtig, was glaubst du, wer da heute alles hingeht? Vielleicht wäre für dich auch einer dabei.«

      Katharina verbiss sich jeglichen Kommentar, schaute nur grinsend an sich runter und sagte: »Auf alle Fälle weiß mein Zukünftiger gleich, dass er sich auf eine Frau mit Kind einlässt. Ich bin nämlich tatsächlich in meiner Svenja-Kluft, weil ich mir eigentlich heute mit ihr einen schönen Nachmittag machen wollte.«

      »Von mir aus lass die Jeans an, aber zieh oben wenigstens Bluse und Blazer an, du weißt, ich habe reichlich Auswahl.« Tatsächlich hatte Birgit Wachtelmaier im Laufe der Jahre für ihre Freundin eine Art Kleider-Fundus bei sich im Archiv angelegt. Und sie war, wenn es um Katharinas Kleidung ging, geschmackssicher. Sie hatte sie des Öfteren vor peinlichen Auftritten bewahrt. Katharinas oberste Priorität in Sachen Mode war nämlich »praktisch«. Das bedeutete meistens – wie heute – T-Shirt, Hoodie, Jeans, Lederjacke und Sneaker, im Sommer Clogs oder Flipflops.

      »Danke, Birgit, bist ein Schatz, ich komme nachher noch vorbei.« Sie warf ihrer Freundin eine Kusshand zu und ging zurück in ihr Büro. Auf dem Weg warf Katharina einen kurzen prüfenden Blick in den Spiegel auf dem Damenklo. Zumindest hatte sie sich heute Morgen noch die Haare gewaschen und, wie ihre Friseurin ihr geraten hatte, lufttrocknen lassen.

      »Für Naturlocken das einzig Wahre, sonst stehen sie dir nur kreuz und quer vom Kopf ab«, hatte sie ihr beim letzten Besuch wieder gepredigt, nachdem sie Katharinas Mähne zu einer hübschen, halblang gestuften Frisur geschnitten hatte.

      »Für eine junge berufstätige Mutter genau das Richtige, schick und praktisch. Farbe brauchen wir noch keine, du hast ein fantastisches Naturbraun«, hatte Manuela festgestellt und sie zufrieden entlassen.

      »Danke für das ›jung‹«, hatte Katharina erwidert, die sich mit Anfang 40 für keine junge Mutter mehr hielt. Aber die Figur ist ganz nett, sprach sie sich Mut zu, als ihr prüfender Blick auf die untere Körperpartie fiel. Die Jeans war glücklicherweise ein neueres Modell einer edlen Marke, die sie sich nach der Medell-Sache gegönnt hatte.

      »Der beigefarbene Blazer sieht einfach toll aus zu deinen braunen Haaren und Augen«, hörte Katharina Birgit sagen, wenn sie nachher ihr Pressekonferenz-Outfit bei ihr ausleihen ginge.

      Sie wendete sich mäßig interessiert dem Fall Adelhofer zu. »Ein Mann wie ein Erdbeben«, titelte eine große Boulevardzeitung nach Adelhofers erster Fernsehshow. »Die deutsche Antwort auf Robert Redford« nannte eine Modezeitschrift ihr Fotoshooting mit »beautiful Robert«. Katharina grinste bei diesen einfallsreichen Schlagzeilen und schaute sich die Fotos von Adelhofer näher an. Skilehrertyp, dachte sie. Robert Adelhofer sah nicht nur so aus, er war tatsächlich Skilehrer und Bergführer gewesen, als ihn noch niemand kannte. Aus dieser Zeit grinste ihr von den Fotos der typische Vorzeige-Bayer aus dem Alpenvorland entgegen, mit dunkelblonden Locken, braungebranntem Gesicht und schlanker, hochgewachsener Figur. »Mit seinem charmanten Lächeln erobert er jede Frau im Sturm«, sinnierte die »Society«.

      Katharina bezweifelte, dass Robert Adelhofer das bei ihr gelingen würde.

      Dann kamen die Storys über das Ereignis, das Adelhofer berühmt gemacht hatte. Mit 24 Jahren, am 17. Oktober 2014, war er von Ramsau aus Richtung Watzmann aufgebrochen, dem bayerischen Schicksalsberg, an dem diverse Bergsteiger ihr Leben gelassen hatten. Es war der letzte schöne Herbsttag – für den Tag danach war ein Wetterwechsel angekündigt. Es wären nicht mehr viele Bergsteiger unterwegs. Genau so hatte Adelhofer das geplant. Eingeweiht war nur sein älterer Bruder Lukas, der ihn auf der Tour begleitete. Mit ihm hatte er zwei Jahre vorher eine Watzmann-Überquerung gemeistert, beide Brüder kannten die Gegend gut. Lukas Adelhofer wusste, dass er allein würde zurückgehen müssen. Robert wollte einen Winter lang in den Bergen überleben – ohne Unterstützung, ohne Vorräte, seine persönliche Challenge, wie er später erklärte. Lukas sollte das seinen Eltern mitteilen – ohne zu erwähnen, wo Robert losgelaufen war, und mit dem Hinweis, dass man ihn nicht suchen solle. Es würde ihn sowieso niemand finden, dafür werde er sorgen.

      Dass nicht nur die Eltern Adelhofer, sondern einige Wochen später alle großen Boulevardblätter von Adelhofers Challenge erfahren hatten, lag laut Lukas Adelhofer daran, dass Roberts Abwesenheit natürlich aufgefallen war. Er habe sich irgendwann entschlossen, bei Nachfragen von Roberts Challenge zu berichten, um wilden Gerüchten vom Tod in den Bergen vorzubeugen.

      Irgendjemand müsse wohl die Presse verständigt haben. Ob das stimmte, war mehr als fraglich. Wahrscheinlicher erschien eine Absprache zwischen Robert und Lukas Adelhofer, nach der Lukas nach einiger Zeit an die Öffentlichkeit gehen würde. Der jüngere Bruder schloss auffallend schnell einen Exklusivvertrag mit einer Klatschzeitung und dem Privatsender »Monaco TV« ab und gab bereitwillig Auskunft über alle Details aus dem Leben von Robert und seiner Familie. Nur wo sich sein Bruder aufhielt und wo er ihn zuletzt gesehen hatte, das verschwieg er beharrlich. Da es keinerlei Anhaltspunkte gab, wie sie an Exklusivfotos von Adelhofer herankommen könnten, sparten sich sogar die hartgesottensten Klatschblätter die Suche nach dem Abenteurer. Stattdessen bekam der interessierte Leser Fotostrecken geliefert vom jungen Bergsteiger aus Breitbrunn am Chiemsee – Robert beim Klettern, Robert als Kind im Kuhstall, Robert als Jugendlicher auf einer Motorradtour durch Oberbayern, Robert beim Knutschen auf einer Party. Nichts war banal genug, es nicht zu zeigen.

      Und beautiful Robert traf offenbar einen Nerv: Auf dem Adelhofer-Hof in Breitbrunn stapelten sich die Briefe weiblicher Verehrerinnen, die anboten, den armen Robert nach seiner Challenge aufzupäppeln – spätere Eheschließung nicht ausgeschlossen. Robert Adelhofer war schon berühmt, bevor er fünf Monate später, an einem klaren Märztag, wiederauftauchte. Bergsteiger begegneten am Fuß des Watzmann einer vollkommen ausgemergelten Gestalt, übelriechend, mit langem Haar, langem Bart, langen Fingernägeln – an neun Fingern, an der linken Hand fehlte der Mittelfinger – und vollkommen zerfetzter Kleidung. Der Mann gab an, Robert Adelhofer zu sein, und ließ sich von den Bergsteigern nach unten begleiten. »Der schöne Robert – nur noch Haut und Knochen«, stand unter dem ersten Foto von Adelhofer nach seiner »Wiedergeburt«. Tatsächlich sah er relativ abgemagert aus und das penetrante Siegerlächeln war auf diesem Foto nicht vorhanden. Das sollte sich schnell ändern. Der junge Star zog sich für zwei Wochen auf den Hof seiner Eltern zurück. Währenddessen gab er »Monaco TV« kurze Exklusivinterviews. Deutschland konnte daran teilhaben, wie Robert langsam wieder »beautiful« wurde.

      Nach 14 Tagen folgte ein ausführliches Gespräch mit »Monaco TV« und die Presse jubelte: »Robert ist zurück.« Weiterhin verging kein Tag ohne Fotos von Robert Adelhofer in den Zeitungen, meist in Begleitung ständig wechselnder Frauen.

      Wie gut, dass es ihn nur einen Finger gekostet hat, dachte Katharina entnervt, während sie sich durch den Wust von Artikeln wühlte, die spannende Themen behandelten wie Roberts Lieblings-Schweinsbraten-Rezept und Roberts Meinung zur Potenzpille Viagra.

      Weil Adelhofer sich so gut vermarkten ließ, wurde ihm von »Monaco TV« schnell eine eigene Fernsehshow angeboten. »Krise« hatte von Anfang an top Einschaltquoten und Deutschland diskutierte eine Woche lang über die Frage, ob das für die Sendung gewählte Logo geschmacklos oder progressiv war: Robert Adelhofers Gesicht groß im Hintergrund und vorne Roberts linke Hand, deren Zeige- und Ringfinger das Victoryzeichen formten. Dazwischen deutlich zu sehen: die Narbe des fehlenden Mittelfingers. Und drunter der Slogan: »Krise überleben – bei Robert reden.« Das Konzept der nachmittäglichen Talkshow bestand darin, dass Adelhofer Menschen zu Gast hatte, die entweder in einer Krise steckten oder diese bewältigt hatten. Bei den Gesprächen mit seinen Gästen weinte er gerne auch mal, wenn sich die Gelegenheit bot.

      Mit Grausen dachte Katharina an die Sendung zurück,


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