Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens

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Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens


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– saß eine Baseballkappe mit dem Konterfei von Elyas M’Barek. Der Mann, der ansonsten mit seinen intellektuellen Freunden Free-Jazz-Sessions organisierte, ließ sich für Svenja in die Niederungen der Populär-Unterhaltung herab, Katharina schmunzelte: »War’s schön? Wo ist Svenja überhaupt?«

      »Die ist zu euren Nachbarinnen gegangen, um Apfelmus auszuleihen. Als sie festgestellt hat, dass ihr keines mehr dahabt, hat sie einen kleinen Tobsuchtsanfall bekommen und ist gleich zur Problemlösung geschritten – ganz die Mutter.« Oliver grinste.

      Im selben Moment klingelte es Sturm. Mit einem kleinen Seufzer ging Katharina zur Wohnungstür. Warum hatte dieses Kind nicht wenigstens ein kleines bisschen von der Gemütsruhe seines Vaters erben können? Tobias’ Langsamkeit war ihr manchmal auf den Geist gegangen, als sie noch zusammen waren. Jetzt wünschte sie sich ab und an etwas davon bei ihrer Tochter.

      »Wie, du bist da? Hoffentlich hast du was gegessen, die Kartoffelpuffer sind nur für mich und Oliver.« Mit diesen Worten stürzte Svenja an ihrer Mutter vorbei in die Küche und stellte zwei Gläser Apfelmus auf dem Esstisch ab.

      »Ella und Sibylla sind super, die haben mir das Apfelmus geschenkt.« Svenja strahlte.

      »Ich freue mich auch, dich wiederzusehen«, erwiderte Katharina und drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die sommersprossige Stirn. »Und gegessen habe ich noch nichts. Ich werde einfach noch ein paar Kartoffeln schälen und dann reicht es für drei.«

      »Aber es gibt kein zweites Paar Handschuhe in diesem mehr als improvisierten Haushalt«, kam es aus Olivers Ecke.

      »Ich werde die Kartoffeln unter Einsatz meines Lebens mit nackten Händen schälen«, konterte Katharina. »Wie war der Film, Svenjalein?«

      »Spitze«, sagte Svenja, während Oliver über ihren Kopf hinweg den Finger in den Hals steckte und unverkennbare Zeichen starker Übelkeit mimte.

      »Einen Lehrer wie den Herrn Müller hätte ich auch gern. Der ist superlustig und soooo cool. War toll, selber schuld, dass du lieber auf deine Versammlung gegangen bist.« Svenjas tiefbraune Augen leuchteten, während sie eingekuschelt in ihre Schmusedecke auf der Eckbank in der Küche saß und erzählte. Sie trug ihr Lieblingsoutfit: rote Latzhose, Tote-Hosen-Shirt (sie kannte die Musik zwar nicht, fand aber den Bandnamen »mega«) und natürlich dieselbe »coole« Kappe auf dem Kopf wie Oliver. Darunter schauten ihre braunen Wuschelhaare heraus. Sie sah zum Knuddeln süß aus.

      Zufrieden setzte Katharina sich an den Küchentisch und half, Kartoffeln zu schälen. Offenbar hatte Svenja weniger auf die zum Teil deftige Wortwahl des Films als vielmehr auf Elyas M’Barek geachtet. Umso besser.

      »Wolltest du nicht um 21 Uhr im Jazzclub sein? Von Haidhausen bis nach Schwabing brauchst du eine halbe Stunde.« Es war 20.30 Uhr, Oliver lag auf Katharinas Sofa und schenkte sich gerade von dem edlen italienischen Bio-Rotwein nach, den er selbst mitgebracht hatte. Mehr als sechs Euro für eine Flasche Wein auszugeben, lehnte Katharina ab. Billige Weine konnten nach Olivers Meinung zu viele Giftstoffe enthalten, deshalb brachte er seinen Alkohol meist selbst mit. Er hatte Katharinas Schürze inzwischen abgenommen und trug noch sein Job-Outfit – dunkelblaue Bundfaltenhose, blau-weiß gestreiftes Designerhemd. Krawatte und Slipper hatte er ausgezogen. In der Luft hing der Duft nach den Puffern, aus Svenjas Zimmer leuchtete der blaue Plastikbär, eine Lampe, die auf Anweisung der Siebenjährigen die ganze Nacht zu brennen hatte.

      »Als großer Adelhofer-Fan kann ich später kommen.« Oliver grinste. »Erzähl.«

      Katharina wusste, welch Sakrileg es war, unpünktlich zum wöchentlichen Jazz-Treffen zu kommen. Dass Oliver den Anpfiff für sie in Kauf nahm, rührte sie. Sagen wollte sie das nicht, stattdessen kuschelte sie sich mit einem knappen »rutsch mal« zu seinen Füßen in die Sofaecke, umschloss ihr Rotweinglas mit beiden Händen und begann zu erzählen.

      Das Handyklingeln zwei Stunden später erreichte nur Katharinas Mailbox. Oliver war inzwischen nach Schwabing entschwunden und Katharina auf dem Sofa eingeschlafen. »Birgit hier, Lukas Adelhofer ist tot. Die Obduktion zeigt keine Spuren von Fremdeinwirkung. Bin leicht in den Polizeifunk reingekommen.«

      Breitbrunn am Chiemsee

      »Jetzt is’ der Bub tot.« Das war das Einzige, was seit Roberts Ankunft in der Adelhoferküche gesagt worden war. Rosa Adelhofer hatte den Satz in den Raum gestellt. Seit zehn Minuten schwang die traurige Botschaft zwischen ihnen.

      Als Erinnerung, dass bis vor Kurzem Normalität geherrscht hatte auf dem Adelhofer-Hof, hing noch der Geruch von angebratenen Zwiebeln in der Küche. Wurstsalat und Bratkartoffeln hatte es zu Mittag gegeben, das Lieblingsessen ihrer drei »Mannsleit«, wie Rosa Adelhofer in glücklicheren Tagen ihren Mann und die beiden Söhne genannt hatte.

      Tränen liefen über das faltige Gesicht der alten Bauersfrau. Aus dem ordentlich aufgesteckten Dutt hingen einige graue Haarsträhnen. Nach ihrer Ohnmacht am Nachmittag, als die Polizistin da gewesen war, hatte sie sich ein bisschen hingelegt. Als es ihr besser ging, war sie mechanisch aufgestanden. Sie trug noch immer ihre Kittelschürze, die sie, kurz bevor das Unheil seinen Lauf genommen hatte, zum Kochen über den grünen Lodenrock und die weiße Trachtenbluse gebunden hatte.

      Wie ein Relikt aus einer besseren Zeit leuchteten die rosa Blümchen auf der Schürze.

      Max Adelhofer blickte starr auf die blau-weiß karierte Tischdecke. Sein wettergegerbtes Gesicht wirkte grau. Die kräftigen Bauernhände, die sonst immer in Bewegung waren, lagen reglos auf dem Tisch. Sein Ehering, auf den die Esstischlampe schien, warf einen kleinen Lichtstrahl an die Wand. Wie um zu sagen, dass die Ehe Bestand hatte, obwohl eins der Kinder, das daraus hervorgegangen war, nicht mehr lebte.

      Der Einzige am Tisch, der sich bewegte, war Robert Adelhofer. Sein Handy zeigte alle paar Sekunden mit einem kurzen Ton eine neue Nachricht an. Robert schrieb zurück oder hörte seine Mailbox ab. Der Sender, diverse Zeitungen – alle wollten natürlich Infos über Lukas’ Verbleib. Adelhofer wusste, dass es nicht klug wäre, gleich mit der Presse Kontakt aufzunehmen. Das würde sofort gegen ihn verwendet werden:

      »Mitleidloser Bruder«, »Adelhofer will Kapital aus dem Tod seines Bruders schlagen«, »Hat er seinen Bruder auf dem Gewissen?« – die Schlagzeilen sah er vor sich.

      Außerdem konnte er es seiner Mutter wohl im Moment nicht antun, Journalisten ins Haus zu holen.

      Sein Vater würde darüber wegkommen, sein Wahlspruch war: »Was uns ned umbringt, macht uns stärker.« An einen seiner Söhne hatte er diese Einstellung weitervererbt, der andere war offenbar daran zerbrochen. Zum ersten Mal betrachtete Robert seine Situation und die seines Bruders aus dieser Sicht und war ergriffen von seinen eigenen Gedanken. Das Handy gab einen weiteren Signalton von sich, genervt stellte Robert es stumm.

      »Gell, Mama, des mit den Führungen lass ma erstamal bleibn, jetzt tu ma unsern Buben begrabn und dann schauma weiter.« Unbeholfen legte der alte Adelhofer seine Hand auf die seiner Frau und rieb darauf herum, in dem Versuch, Trost zu spenden.

      Breitbrunn am Chiemsee

      Im Bauernhaus der Adelhofers herrschte Totenstille. Das Erdgeschoss lag im Dunkeln, Kühle kam von den alten Steinplatten in der Eingangshalle. Der lebensgroße heilige Florian, der am linken Ende der Halle in der Ecke stand, war in Umrissen wahrzunehmen. Wie ein Schutz wirkte er nicht, eher wie eine Bedrohung.

      Die alten Adelhofers schliefen wohl, es war leicht. Leichter, als sie es sich vorgestellt hatte. Durch das Fenster zur Stube, das gekippt war und Gott sei Dank nach hinten raus ging, konnte sie einsteigen. Zu Lukas’ Zimmer ging es über die Hintertreppe, die nicht knarzte.

      Drin empfingen sie das übliche Chaos und ein entsetzlicher Gestank. Teller mit verschimmelten Lebensmitteln überall. Die hatte die Polizei stehen lassen. Sie wusste, dass die hier gewesen war. Sie wollte nur kurz sehen, ob alles nach Plan lief. Der Laptop fehlte. Klar, hatten sie mitgenommen. Würden nichts finden. Auch die Ordner waren nicht da, aber da war nichts Spannendes drin. Sie ging zu dem


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