Existenzielle Psychotherapie. Irvin D. Yalom

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Existenzielle Psychotherapie - Irvin D. Yalom


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Glauben als Schild gegen die Todesangst auf.

      Der letzte Retter. Hand in Hand mit dieser anthropozentrischen Illusion (und ich verwende das Wort nicht in einem abfälligen Sinn, denn es ist eine weit verbreitete, vielleicht universelle Illusion) geht der Glaube an den letzten Retter. Dieser Glaube hat seine Grundlage auch in der Morgendämmerung des Lebens zur Zeit der Schattengestalten der Eltern, jenen wundersamen Anhängseln des Kindes, die nicht nur mächtige Beweger, sondern auch ewige Diener sind. Der Glaube an den externen Diener wird verstärkt durch die sorgenvolle Aufmerksamkeit der Eltern während der Kleinkind-Zeit und der Kindheit. Von Zeit zu Zeit wagt sich das Kind zu weit heraus, stößt an den grausamen Palisadenzaun der Realität und wird durch riesige mütterliche Flügel gerettet, die es mit körperlicher Wärme umfangen.

      Der Glaube an die Besonderheit und den letzten Retter dient der Entwicklung des Kindes sehr: Er ist die unabdingbare Grundlage der Abwehrstrukturen, die der Mensch gegen den Todesschrecken errichtet. Sekundäre Abwehrmechanismen werden darauf errichtet, die beim erwachsenen Patienten oft die ursprünglichen Ur-Abwehrmechanismen sowie die Natur der ursprünglichen Angst verdecken. Diese beiden grundlegenden Abwehrkräfte sind tief verwurzelt (Zeugnis für ihre Dauerhaftigkeit legen die Unsterblichkeitsmythen und der Glaube an einen persönlichen Gott in praktisch jedem größeren Religionssystem ab) und üben bis ins Erwachsensein, wie ich im nächsten Kapitel ausführen werde, einen dauerhaften und mächtigen Einfluss auf die Charakterstruktur und Symptombildung aus.

      Es ist wichtig zu unterstreichen, dass der psychodynamische Wert oder Sinn der Religion nicht notwendigerweise die intrinsische Wahrheit religiöser Ansichten umgeht. Oder, wie Viktor Frankl es formuliert: »Um frühreife sexuelle Neugier zu befriedigen, erfinden wir die Geschichte, dass Störche Babys bringen. Aber daraus folgt nicht, dass die Störche nicht existieren!«50

      Verleugnung: Der Glaube, dass Kinder nicht sterben. Ein verbreiteter Trost, von dem Kinder bereits sehr früh in ihrem Leben Gebrauch machen, ist der Glaube, dass Kinder gegen den Tod immun sind. Junge Menschen sterben nicht; der Tod trifft nur die Alten, und das Alter ist sehr, sehr weit weg. Einige Beispiele:

      S.: (5 Jahre, 2 Monate): Wo ist deine Mami?

      Mutter: Im Himmel. Sie starb vor einiger Zeit. Ich glaube, sie war so um die siebzig. S.: Sie muss achtzig oder neunzig gewesen sein. Mutter: Nein, nur siebzig.

      S.: Nee, die Menschen leben, bis sie neunundneunzig sind. Wann wirst du sterben? Mutter: Oh, ich weiß nicht, wenn ich um die siebzig oder achtzig oder neunzig bin.

      S.: Oh, (Pause) wenn ich groß bin, werde ich mich nicht rasieren, und dann werde ich einen Bart haben, nicht wahr? [In einer vorhergehenden Unterhaltung sagte S., dass er wisse, dass Männer graue Bärte hätten, wenn sie sehr, sehr alt würden. Später wurde klar, dass er auf die Idee kam, das Rasieren sein zu lassen, weil er sich bemühte, den Tod unendlich weit hinauszuschieben!]51

      Ruth (4 Jahre, 7 Monate): Wirst du sterben, Vater?

      Vater: Ja, aber nicht, bevor ich alt werde.

       Ruth: Wirst du alt werden?

      Vater: Ja, ja.

      Ruth: Werde ich auch alt werden?

      Vater: Ja.

      Ruth: Ich fürchte mich jeden Tag vor dem Sterben. Ich wünschte, ich würde niemals alt werden, denn dann würde ich niemals sterben, nicht wahr?52

      Interviewer: Kann ein Kind sterben?

      G.M. (6 Jahre): Nein, Jungen sterben nicht, wenn sie nicht überfahren werden. Wenn sie in ein Krankenhaus gehen, denke ich, kommen sie lebendig wieder heraus.

      E.G. (5 Jahre): Ich werde nicht sterben. Wenn du alt bist, dann stirbst du. Ich werde nie sterben. Wenn die Menschen alt werden, sterben sie. [Später sagt er, dass er sterben wird, wenn er sehr, sehr alt sein wird.]53

      In der Beantwortung des Geschichten-Vervollständigungs-Tests ziehen es die meisten Kinder vor, lange Zeit Kind zu bleiben, statt schnell erwachsen zu werden. Ein neuneinhalbjähriger Junge äußerte, dass er aufhören wolle zu wachsen, um ein Kind zu bleiben, weil »wenn jemand älter wird, ist weniger Leben in ihm.«54

      Der tatsächliche Tod eines Kindes stellt für Kinder natürlich ein ernstes Problem dar, welches sie oft lösen, indem sie eine Unterscheidung zwischen sterben und getötet werden machen. Ein Junge stellte fest, »Jungen sterben nicht, wenn sie nicht erstochen werden oder von einem Auto überfahren werden.« Ein anderes Kind sagte, »Wenn du zehn Jahre alt bist, weiß ich nicht, wie du sterben könntest, wenn dich nicht jemand tötet.«55 Ein anderes (6 Jahre): »Ich werde nicht sterben, aber wenn du in den Regen rausgehst, kannst du sterben.«56 Alle diese Kommentare besänftigen die Angst, indem sie dem Kind versichern, dass der Tod kein unmittelbares oder zumindest kein unvermeidbares Problem ist. Entweder der Tod wird auf das Alter geschoben – eine Zeit jenseits der Vorstellungskraft des Kindes – oder aber er kann durch Zufall eintreten, jedoch nur, wenn man »sehr, sehr« unvorsichtig ist.

      Verleugnung: Personifizierung des Todes. Die meisten Kinder zwischen fünf und neun Jahren gehen durch eine Periode, in der sie den Tod anthropomorphisieren. Dem Tod wird Form und Wille gegeben: Er ist der schwarze Mann, der grimmige Sensenmann, ein Skelett, ein Geist, ein Schatten; oder er wird einfach in Zusammenhang mit den Toten gebracht. Zahlreiche Beispiele dazu:

      B.G. (4 Jahre, 9 Monate): »Der Tod macht was falsch.«

      »Wie macht er was falsch?«

       »Ersticht dich mit einem Messer.«

      »Was ist Tod?«

      »Ein Mann.«

      »Was für ein Mann?«

      »Ein Todes-Mann.«

      »Woher weißt du das?«

      »Ich habe ihn gesehen.«

      »Wo?«

      »Im Gras. Ich hab’ gerade Blumen gepflückt.«

      B.M. (6 Jahre, 7 Monate): »Der Tod schleppt die bösen Kinder weg. Er fängt sie und nimmt sie mit.«

      »Wie sieht er aus?«

      »Weiß wie Schnee. Der Tod ist ganz weiß. Er ist böse. Er mag Kinder nicht.«

      »Warum?«

      »Weil er böse ist. Der Tod nimmt auch Männer und Frauen mit.«

      »Warum?«

      »Weil er sie nicht sehen mag.«

      »Was ist weiß an ihm?«

      »Das Skelett. Das Knochenskelett.«

      »Aber ist das in Wirklichkeit auch so, oder sagen sie das nur so?«

      »Es ist auch wirklich so. Ich habe einmal darüber geredet, und in der Nacht kam der richtige Tod. Er hat einen Schlüssel für überallhin, so dass er die Tür gut öffnen kann. Er kam herein und wühlte überall herum. Er kam zum Bett heran und fing an, die Bettdecke wegzuziehen. Ich habe mich fest zugedeckt. Er konnte sie nicht wegziehen. Dann ging er wieder.«

      P.G. (8 Jahre, 6 Monate): »Der Tod kommt, wenn jemand stirbt, und er kommt mit einer Sense, haut ihn um und nimmt ihn mit. Wenn der Tod weggeht, hinterlässt er Fußabdrücke. Als die Fußabdrücke verschwunden waren, kam er wieder und haute noch mehr Leute um. Und dann wollten sie ihn fangen, und er verschwand.«

      B.T. (9 Jahre, 11 Monate): »Der Tod ist ein Skelett. Er ist so stark, dass er ein Schiff umwerfen könnte. Der Tod kann nicht gesehen werden. Der Tod ist in einem Versteck. Er versteckt sich auf einer Insel.«

      V.P. (9 Jahre, 11 Monate): »Der Tod ist sehr gefährlich. Du weißt nie, in welcher Minute er dich mit sich fortnehmen wird. Der Tod ist unsichtbar, etwas, das nie jemand je auf der Welt gesehen hat. Aber in der Nacht kommt er zu jedem und trägt sie mit sich weg. Der Tod ist wie ein Skelett. Alle seine


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