Dag Hammarskjöld. Hermann J. Benning
Читать онлайн книгу.meistgelesene Buch, fand man nach seinem Tod in jenem Zimmer in der kongolesischen Hauptstadt Léopoldville (heute Kinshasa), wo er seine letzte Nacht verbracht hatte.
Anlässlich der Übernahme des Amtes als Generalsekretär der Vereinten Nationen äußerte sich Hammarskjöld öffentlich über seine Herkunft: Generationen von Militärs und Staatsbeamten väterlicherseits hätten ihm als Erbe die Überzeugung hinterlassen, dass „es kein erfüllteres Leben gibt, als dem eigenen Land beziehungsweise der Menschheit uneigennützig zu dienen“. Solches Dienen erfordere Verzicht auf alle persönlichen Interessen, zugleich aber auch Mut, entschieden für das einzutreten, wovon man selbst überzeugt sei. Gelehrte und Geistliche aus der Familie seiner Mutter hätten ihm den Glauben vermittelt, dass „im radikalen Verständnis der Evangelien“ alle Menschen als Geschöpfe Gottes mit der gleichen Würde ausgestattet sind, was auch das menschliche Miteinander bestimmen und prägen müsse. Die hier von Hammarskjöld genannten Aspekte, soziale Verantwortung übernehmen, dienen, Achtung der Menschenwürde, Zivilcourage und Entschiedenheit, waren maßgeblich für sein persönliches Leben wie für sein Wirken in Politik und Gesellschaft.
In Briefen seiner Familie aus der Zeit seiner Kindheit wird Dag als „bescheidener lieber Junge“ beschrieben. Seine Brüder und er konnten sich unbeschwerter Kinderjahre erfreuen. In einer seiner Tagebuchaufzeichnungen aus dem Zeitraum 1945–1949 zitiert Hammarskjöld drei Sätze aus einem Nachruf, in denen er sich offenbar wiederfand: „Wir Geschwister waren so glücklich zu Hause. Noch erinnere ich mich der Weihnachtstage, an denen wir alle beisammen waren. Wer konnte damals glauben, dass das Leben so verworren werden würde?“
Schon als Kind hatte Dag Freude an der Schönheit und den Wundern der Natur; er sammelte Schmetterlinge und ausgestopfte Tiere. Mit Pflanzen, die er zum Konservieren trocknete und presste, legte er sich ein kleines Herbarium an. Auch später in seinem Leben nahm er immer wieder gern die Gelegenheit wahr zu Ausflügen, Wanderungen oder Skitouren in den weiten unberührten Wald- und Bergregionen Schwedens, öfter auch in Lappland. Er war nie ein typischer Gipfelstürmer, konnte aber einmal einem im Gebirge Abgestürzten das Leben retten. Ein Arbeitskollege aus der Zeit im schwedischen Finanzministerium berichtete später, er habe sich darüber gewundert, wie Hammarskjöld nach einer anstrengenden Woche gelegentlich den Nachtzug gen Norden nahm, am nächsten Morgen ausstieg, den ganzen Tag allein wanderte und dann am Montagmorgen sichtlich erholt wieder an seinem Schreibtisch saß. Auf manchen Touren fotografierte er faszinierende Landschaftsbilder, die von seiner einfühlsamen Wahrnehmung natürlicher Schönheit zeugen, ebenso seine späteren Aufnahmen der Himalaja-Gipfel aus einem Flugzeug. Der Naturschutz blieb ihm zeitlebens ein leidenschaftliches Anliegen, für das er sich aktiv engagierte; von 1946 bis 1951 führte er den Vorsitz im Schwedischen Alpinclub.
SCHULZEIT UND STUDIUM
Dag besuchte ab 1911 eine Privatschule in der schmucken kleinen Villa Totembo im vornehmsten Viertel Uppsalas. In einem Brief an seine Mutter schrieb eine seiner Lehrerinnen über ihren Schüler, es mache ihr Freude, ihn zu unterrichten, und er lerne leicht. Dabei kamen ihm seine Begabung, seine Wissbegierde und sein ausgesprochener Fleiß zugute; er war zielstrebig, aber kein Streber. Ein ehemaliger Mitschüler sagte später über ihn, er sei ein freundlicher und hilfsbereiter, aber zurückhaltender Kamerad gewesen. Von 1916 an war er Schüler der Allgemeinen Höheren Lehranstalt in Uppsala, heute als städtisches Gymnasium mit 1200 Schülern von den Einwohnern kurz „Katte“ (Kathedralschule) genannt. Seine Lieblingsfächer waren Geschichte, Schwedisch und Gemeinschaftskunde. Er bestand 1923 die Reifeprüfung mit acht großen A, fünf kleinen a und einem B im Fach Leibesübungen, nach dem seinerzeit üblichen Bewertungssystem schwedischer Schulen von der Bestnote A bis F.
Nach dem glänzenden Abitur unternahm er eine Reise ins englische Cambridge und immatrikulierte sich dann an der Universität seiner Heimatstadt Uppsala. Er studierte zunächst Literaturgeschichte und Philosophie, aber auch die französische Sprache. Schon zwei Jahre nach Studienbeginn legte er das Kandidatenexamen in Philosophie ab, das dem heutigen Bachelor gleichkommt. Anschließend widmete er sich dem Studium der Volkswirtschaft, belegte gleichzeitig Vorlesungen in Soziologie und studierte in der Tradition seiner Familie auch Rechtswissenschaft. 1930 schloss er das Jurastudium ebenfalls mit dem Kandidatenexamen ab. Im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften hatte er bereits zwei Jahre zuvor das Lizenziat in Philosophie erworben, dem heutigen Master entsprechend.
Der junge Wissenschaftler übersiedelte nach Stockholm und schrieb dort zum Abschluss seiner akademischen Ausbildung ab 1930 an seiner Doktorarbeit. Die Folgen der ersten großen Weltwirtschaftskrise waren zu jener Zeit auch in Schweden zu spüren mit steigenden Arbeitslosenzahlen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen.
1932 kamen die Sozialdemokraten an die Macht: Die neue schwedische Regierung reagierte auf die Krise ordnungspolitisch im Sinne keynesianischer Wirtschaftslenkung mit staatlichen Beschäftigungsprogrammen und Subventionen für die Landwirtschaft. Von 1930 bis 1934 arbeitete der Doktorand nebenher als Sekretär in einem 1927 gegründeten staatlichen Komitee zur Bewältigung der Arbeitslosigkeit; dazu verfasste er eigene wissenschaftliche Studien, die in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden.
Die Sozialdemokraten konnten schon bald wichtige Reformen durchsetzen; so wurde ab 1935 auch in Schweden die Arbeitslosenversicherung eingeführt, eine der Säulen des modernen Sozialstaats.
Aktuell zur wirtschaftlichen Notlage seines Landes analysierte Hammarskjöld in seiner Dissertation theoretische Möglichkeiten einer Konjunkturbelebung, die er historisch begründete. Dabei orientierte er sich an dem 1930 veröffentlichten Werk Treatise on Money (dt. Titel: „Vom Gelde“) des Briten John Maynard Keynes, setzte aber eigene Akzente. Für Hammarskjöld standen Marktpreisbildung und Kaufkraft als Konjunkturmotoren im Vordergrund; seine Thesen untermauerte er detailliert mit teilweise selbst erarbeiteten Statistikmodellen. Im November 1933 verteidigte er seine Arbeit in einer öffentlichen akademischen Zeremonie an der Stockholmer Hochschule für Nationalökonomie. Dabei kam es zu einer Auseinandersetzung mit seinem Doktorvater, dem Wirtschaftstheoretiker Gunnar Myrdal; wie andere Mitstreiter der sogenannten „Stockholmer Schule“ vertrat dieser eher eine auf staatliche Subventionsprogramme setzende Konjunkturpolitik. Der ehrgeizige Doktorand bekam jedenfalls nicht die Bestnote, die er sich für seine Mühen erwartet hatte.
Ein Kuriosum am Rande dieser Veranstaltung: Als Erster brach er selbstbewusst mit der Konvention, dass ein Ökonom zu solchem Anlass einen Frack zu tragen hatte. Als Doktor der Philosophie in Wirtschaftswissenschaften – in Schweden kommt das Doktorat einer Habilitation gleich – hatte er nun die Befähigung für das Lehramt an Hochschulen in Schweden.
KARRIERE IN SCHWEDEN
Der hoch qualifizierte Volkswirt dozierte ab 1934 an der Stockholmer Hochschule für Nationalökonomie und kam in seinem Heimatland in seiner beruflichen Laufbahn alsbald weiter voran. Schon 1932, noch mit seiner Doktorarbeit befasst, arbeitete er nebenher als Assistent des Finanzministers Ernst Wigforss, eines Vordenkers der schwedischen Sozialdemokratie.
Von 1936 bis 1945 war Hammarskjöld Staatssekretär im Finanzministerium; nie zuvor war einem Schweden in so jungen Jahren ein so hohes Amt übertragen worden. In den Jahren 1935 bis 1941 fungierte er zudem als Sekretär in der Schwedischen Reichsbank, in enger Zusammenarbeit mit dem damaligen Reichsbankdirektor Ivar Rooth, der in den 50er-Jahren Chef des Internationalen Währungsfonds in Washington wurde.
Von 1941 bis 1948 war Hammarskjöld neben seiner Tätigkeit im Finanz- und später im Außenministerium gleichzeitig Vorstandssprecher der Schwedischen Reichsbank, erstmalig in einer solchen Doppelfunktion. Als einer der führenden Ökonomen Schwedens hatte Dag Hammarskjöld im Laufe der Jahre auch maßgeblichen Einfluss auf die von den Wirtschaftstheoretikern Erik Lindahl, Gunnar Myrdal und Bertil Ohlin gegründete „Stockholmer Schule“. Myrdal selbst war ab 1947 ein Jahrzehnt lang Vorsitzender der UNECE (United Nations Economic Commission for Europe). Als Finanzexperte kam Hammarskjöld 1946 ins Außenministerium. Schon seit 1937 war er Mitglied des Schwedischen Instituts für Konjunkturentwicklung, eine Tätigkeit, die er bis 1948 ebenfalls nebenberuflich ausübte.
Ökonomisch war Hammarskjöld ein Befürworter