Hungern für die Liebe. Cassandra Light

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Hungern für die Liebe - Cassandra Light


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damit wir uns besuchen oder gemeinsam etwas unternehmen konnten. Mit dem Fahrrad war die Strecke zu weit. Abgesehen davon entwickelte es sich so, dass der Schulstress Zeitdruck mit sich brachte.

      An der neuen Schule fühlte ich mich nicht wohl. Ich wurde gehänselt und als blöd hingestellt. Die anderen Schüler lästerten hinter meinem Rücken und machten sich lustig über mich. Zu dieser Zeit umgab ich mich mit einer Freundin, die ordentlich »mitrührte«. Sie kannte mich schon lange und wusste viel von mir, weshalb sie »Futter« hatte, das sie gegen mich verwenden konnte. Traurig, aber wahr. Junge Leute können schrecklich gemein zueinander sein.

      Es waren viele unschöne Gefühle, die all dies in mir auslösten. Ich fühlte mich dumm, schlecht, hässlich, unter Druck gesetzt. Mir wurde keine Freude gegönnt und ich konnte mich niemandem anvertrauen. Die einzige Person, eine Bekannte, der ich etwas erzählte, verwendete es gegen mich. Bis ich irgendwann nichts mehr sagte und so gut es ging für mich war.

      Meine Mitschüler auf dem angesehenen Gymnasium waren »scheinbar« gebildet und stellten etwas »ganz Besonderes« dar. Menschlich gesehen waren sie oberflächlich und gehässig. Tatsächlich gab es hier nur wenige Schüler, die mit herausragenden Leistungen glänzten. Bei einigen Mitschülern waren es die Kontakte der Eltern, die es ihnen ermöglichten, die Schule zu besuchen.

      Bei mir waren es die Leistungen. Mein Wesen jedoch passte überhaupt nicht hierher. Der Schein trog. Guter Ruf und kaum etwas dahinter.

      Aus heutiger Perspektive würde ich die Schule wechseln, mich diesem Umfeld nicht mehr aussetzen. Damals sah ich diese Möglichkeit nicht. Für mich gab es nur eines: Ich musste da durch! Musste es ertragen. Es gehörte eben dazu.

      Und irgendwann begann ich zu glauben, dass ich so war, wie sie mich hinstellten: dumm, hässlich, blöd, nichts wert, einfach überflüssig. Sie wollten mich weghaben. Und ich wollte gehen. Nur für mich sein. Weg. Nur ich. Niemand sollte in meiner Nähe sein, der mir wehtat und der mich schlechtmachte. Ich wollte nichts als meine Ruhe haben.

       Irgendwie glaube ich, dass ich nur für Mutti, Vati … zunehme. Ich weiß nicht genau, ob der Wille da ist. Ich weiß es einfach nicht.

       Ein Teil von mir glaubt es aber doch, denn ich möchte hier zu Weihnachten raus sein.

       Und genau das ist auch irgendwie der Punkt.

       Ist ja jetzt auch egal, für wen ich das mache. Ich weiß nur, dass ich hier raus möchte, und dann schaffe ich das schon.

      Es ist zu erkennen, dass eine Gewichtszunahme nur unter Druck möglich war. Sie geschah nicht von innen heraus.

      Ich verstand nicht, so glaube ich heute, weshalb ich zunehmen sollte, außer um aus der Klinik zu kommen. Nach Hause. Zu meiner Familie.

      Für mich selbst war es nicht. Ich hatte mich längst aufgegeben. Ich aß aus Liebe zu meinen Eltern und meiner Schwester.

      Nicht für mich.

      Ich ging sozusagen über mich selbst hinweg. Über meine Bedürfnisse, über meine Gefühle – über mich.

      Die Hauptsache für mich war: Raus da, egal wie! Eine Wahl hatte ich nicht mehr außer Bettruhe und künstlicher Ernährung, und das wollte ich definitiv nicht. Lieber sterben als das!

       Vielleicht kann ich mich ja überwinden und zu Hause anrufen, denn zwei Mal in der Woche darf ich, und ich habe noch nicht angerufen.

       Gestern, als Mutti, Vati und Marleen losgehen wollten, habe ich ihnen gesagt, dass sie mir nächstes Mal was für zwischendurch zum Knabbern mitbringen. Schokolade oder so.

       Sie haben sich gewundert, und da habe ich ihnen erzählt, dass es hier oft Pudding oder Lebensmittel mit Pudding drin gibt. Und sie wissen, dass ich Pudding schon, seit ich ein kleines Kind bin, nicht esse.

       Das hat die eine Schwester mitbekommen und Papa hat sie gefragt, ob man dann etwas anderes haben kann.

       Sie hat gesagt: »Ja, man muss es nur sagen.«

       Papa hat zu mir gesagt, das soll ich dann immer machen. Dabei habe ich gefragt, und sie haben mir nichts anderes gegeben! Heute beim Kaffee schon wieder. Sie meinten, sie haben keinen anderen Kuchen und so weiter, dabei hatten Sie doch anderen!

       Ich habe mich dann überwunden und habe den gegessen (ist doch gut). Jetzt haben die Schwestern wieder etwas Neues zum Tratschen und Hochziehen.

       Immer müssen diese ollen Weiber lästern.

       Das sage ich auch beim nächsten Mal Mutti und Vati.

      Aus kindlicher Sicht super ausgedrückt, wie ich finde. Während ich das schreibe, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.

      Ich kann mich daran erinnern, dass auch im Krankenhaus hinter dem Rücken der Patienten geredet wurde. Das war schlimm! So etwas scheint Standard geworden zu sein, ist aber absolut fehl am Platze.

      Menschen in Psychiatrien, Altenheimen oder Krankenhäusern sind nicht dumm. Und sie merken mehr, als man annehmen mag. Während der Zeit, die sie dort verbringen, benötigen Sie Hilfe von außen.

      Völlig legitim. Jeder von uns kann in eine solche Situation geraten. Und ich wünsche jedem, der auf Hilfe angewiesen ist, das Beste und einen wertschätzenden Umgang zwischen Helfenden und Hilfebedürftigen.

      Dieses Thema regt vielleicht den ein oder anderen meiner Leser zum Nachdenken an. Oder auch nicht. Beides ist vollkommen in Ordnung, denn wir sind Menschen, und wären wir vollkommen, wären wir nicht hier.

      Da war eine ganz aufmerksame Art in meinem Wesen, die mir auch heute noch innewohnt, weshalb ich es regelrecht fühlen kann, wenn andere über mich reden. Vielleicht nicht immer schön für die anderen, aber gut für mich.

      Heute nehme ich es wahr und ordne es für mich ein. Ich spreche diejenigen an oder ziehe Schlüsse daraus und sehe mir an, aus welchen Gründen sie abwertende, unpersönliche Dinge sagen. Das Verstehen des anderen bringt meistens Klärung und ich kann loslassen.

      Mittlerweile ist es jedoch so, dass die Menschen, mit denen ich mich umgebe, solche Verhaltensweisen nicht an den Tag legen. Bei allen anderen, also bei denjenigen, die ich mir nicht aussuchen kann, ist es eben manchmal so, dass sie negativ reden. Ich registriere das. Anschließend überlege ich mir, wie ich damit umgehe, und stelle fest, was ich fühle. Natürlich nehme ich mir auch heute noch manches zu Herzen, aber ich reflektiere es, um damit abschließen zu können.

       Heute habe ich an Papas Worte gedacht und habe einfach gegessen. Egal ob es geschmeckt hat oder nicht.

       Ach Mann, ich möchte nach Hause. Heute ist Nikolaus!

       Wir haben von der Station einen Spekulatius, einen kleinen Weihnachtsmann, zwei Mandarinen und einmal Marzipankartoffeln bekommen. Den Spekulatius habe ich heute schon gegessen – zu dem komischen Puddingkuchen. Morgen früh werde ich ja sehen, ob sich etwas auf der Waage getan hat.

      Wieder schleicht sich mir ein kleines Grinsen ins Gesicht, wenn ich lesen darf, dass ich nie den Blick für die kleinen Dinge verlor. Auch dort war ich dankbar für das Nikolausgeschenk und konnte es wahrnehmen. Trotz aller negativen Aspekte war es mir möglich, Positives zu sehen. Diese Eigenschaft konnte ich mir bis heute bewahren.

       Heute darf Marleen ihr Nikolausgeschenk von mir aufmachen. Ich hoffe, sie freut sich darüber. Ich bin schon gespannt, was sie nächstes Mal dazu sagt. Es ist ein Armkettchen.

      Mich berührt die Tatsache, dass ich meine Schwester schon damals sehr liebte. Sie war mir wertvoll und lag mir am Herzen. Bereits als kleines Kind dachte ich bei jeder Geburtstagsfeier meines Kumpels an sie. Laut Bericht seiner Mutti fragte ich jedes Mal: »Darf ich denn auch was für Marleen mitnehmen?« Süß, wie ich finde.

      Heute ist unser Verhältnis nicht so eng. Da ist eine gewisse kühle Distanz. Schwer zu beschreiben. Wir sehen uns kaum, leben jedoch zurzeit nicht


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