Tödlicher Spätsommer. Ursula Dettlaff

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Tödlicher Spätsommer - Ursula Dettlaff


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Erst jetzt fiel ihr ein, dass sie gar kein Leckerchen dabei hatte. „Kreischen Sie nicht wieder rum, wenn er auf Sie zustürzt“, riet die Expertin leise.

      Fast schleichend näherte sich das Tier und legte winselnd seinen Kopf unter die Hand der Besucherin. Erst den Kopf, dann den ganzen Körper. Helene ging in die Hocke und schlang lachend beide Arme um den Hund, strahlte und flüsterte ihm Liebkosungen ins Ohr.

      „Was ist denn mit Ihnen passiert? Haben Sie was genommen, oder waren Sie in der Hundeschule?“ „Wie heißt er?“ fragte Helene.

      Im Trubel der vergangenen Tage hatte niemand daran gedacht, diesem traurigen Vierbeiner einen Namen zu geben, erfuhr sie.

      „Was hältst du von Bommel?“ schlug Helene vor und informierte unvermittelt: „Ich nehme ihn mit.“

      Na so etwas hatte Uta noch nie erlebt. Das ging ja gar nicht. Der Hund würde der alten Schrulle die Bude auf halb acht drehen, nachdem er die Autopolster zerrupft hatte.

      Das vorhersehbare Ende vom Lied wäre im besten Fall ein erboster Anruf, bloß jetzt und auf der Stelle das Tier abzuholen. Genauso wäre die blöde Schabracke aber auch im Stande, den Hund einfach irgendwo auszusetzen.

      Ihr Bemühen um einen freundlichen Ton führte unbeabsichtigt dazu, dass sie hochnäsig und belehrend rüberkam. „So geht das nicht. Sie müssen sich erstmal kennen lernen.“

      Helene, die noch immer quasi mit vollem Körpereinsatz den Hund streichelte, verstand die Welt nicht mehr. „Aber das tun wir doch“, protestierte sie.

      „Sie müssen mir glauben, wir wollen wirklich nur das Beste für den Hund und das heißt eben, dass wir ihm Enttäuschungen ersparen möchten. Was halten Sie davon, wenn Sie gemeinsam einen Spaziergang machen?“, schlug die Tierheimmitarbeiterin vor.

      Vielleicht keine schlechte Idee, überlegte Helene. „Ich habe mir in den vergangenen Tagen viele Gedanken über Bommel gemacht“, räumte sie kleinlaut ein.

      Minuten später schlenderte sie mit Bommel am Ruhr-Ufer entlang und hoffte insgeheim, sie müsse niemals diese Tüten benutzen, die ihr von Latzhose in die Hand gedrückt worden waren. Helene legte zwar Wert auf ihre Lernfähigkeit, doch müsste die nicht unbedingt überstrapaziert werden.

      Nach anfänglich vorsichtigem Schnuppern am Wegrand hüpfte Bommel schon bald wie ein Schaukelpferd abwechselnd auf Vorder- und Hinterbeine. Fröhlich und ausgelassen legte er dann ein ordentliches Tempo vor.

      Helene hielt entschlossen die Leine fest, ihr blieb also nichts anderes übrig, als mitzulaufen. In diesen Schuhen ein schwieriges Unterfangen. Der enge Rock tat ein Übriges.

      Doch die gute Laune des Hundes übertrug sich auf sie und schon bald kümmerte sich das ungleiche Paar nicht mehr um die eigene Außendarstellung.

      Andere Hunde ließ Bommel gewähren, zumindest jene, die Helene nicht zu nahe kamen. Rollende Fahrradreifen fand er wiederum so lustig, dass er am liebsten hineingebissen hätte. Schnell begriff er jedoch, dass nicht nur Helene davon gar nichts hielt.

      Und ihr wollte er schließlich unbedingt gefallen. Sobald sie mit ihm sprach, schaute er sie mit großen Augen an, so als wolle er sagen: „Sag an, was soll ich tun?“

      Als er merkte, dass es zurückging, setzte er sich mitten auf den Gehweg und starrte ins Leere. „Komm, du musst zurück, die warten doch schon auf dich“, erklärte Helene.

      Offenbar hatte sich der Hund entschieden, Denkmal zu spielen. Helene versuchte es anstelle von Einsicht mit Ablenkung.

      Bommel gab sich kompromissbereit. Vorwärts lief er zwar nicht mit, nach links und rechts aber schon. Und so standen sie schließlich doch vor dem Tor des Tierheims. Mit gesenktem Kopf ließ er sich in seine Box führen.

      Helene wollte eigentlich noch: „Ich komme morgen wieder“, rufen. Doch der Hund tat ihr einfach viel zu leid.

      Gut, dass mir niemand begegnete, den ich kannte, dachte sie.

      Am Auto ordnete sie mit wenigen geübten Handgriffen ihre Frisur. Zog die Klämmerchen aus den Haarsträhnen und steckte sie an anderer Stelle so zusammen, dass sie wieder wie eine Deutschlehrerin aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts wirkte. Eine breite Laufmasche schlängelte sich am linken Bein hinunter.

      So wäre sie unter keinen Umständen mit der Straßenbahn gefahren, allenfalls mit dem Taxi.

      Erst zuhause merkte sie, dass ihr Arm und die Schulter schmerzten. Wohl von den ruckartigen Bewegungen des Hundes.

      „Frau Schneider, so geht das nicht. Hier ist Schnöring.“ Der Mann, der auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte, klang sehr verärgert. „Wir haben Sie nun schon dreimal angeschrieben. Ich verlange, dass Sie eine Entscheidung treffen. Setzen Sie sich bitte unverzüglich mit uns in Verbindung. Die Nummer kennen Sie ja.“ Ende der Nachricht.

      Helene hatte nicht die leiseste Ahnung, was diese Nachricht bedeutete. Sie beschloss, die Angelegenheit an ihrem freien Tag zu klären.

      In der folgenden Zeit besuchte sie Bommel täglich. Zur eigenen Verwunderung freute sie sich bereits beim Frühstück darauf.

      Der Bearded Colly saß mittlerweile nicht mehr so traurig in seiner Box. Stück für Stück schien er wieder Vertrauen zu Menschen zu fassen. Und Helene hatte Anteil an dieser positiven Entwicklung. „Du bist plötzlich so anders als sonst“, meinte Annette einmal.

      Die Idee, der Kollegin von Bommel und vielleicht Matthias zu erzählen, verwarf sie schnell. Bekanntlich gehörte Zuhören nicht zu Annettes hauptsächlichen Charaktereigenschaften. Sie würde sich allenfalls über die ältere Kollegin lustig machen.

      Petra beschäftigte sich gerade mit Themen wie Zeugnissen, Schulwechsel, Urlaubsvorbereitungen. Man könnte sagen, genügend Aufgabenfelder.

      Würde Helene Petra nun von Bommel berichten, schlüge die nur die Hände über dem Kopf zusammen.

      Helene war es gewohnt, die Dinge mit sich allein auszutragen. Ein Hund jedenfalls passte nicht in ihr Leben. Da musste sie sich keine Illusionen machen.

      Es wäre gut, wenn Bommel eine nette Familie fände und sie ihren Egoismus zurückstellte. Helene war so sehr in Gedanken, dass sie Matthias zunächst gar nicht erkannte. Die Begegnung hier, ausgerechnet im Tierheim, war ihr unangenehm.

      Zwar bildete sie gemeinsam mit Bommel nicht mehr das wilde, alberne Gespann. Es verging jedoch nicht ein Nachmittag, an dem sich nicht mindestens ein Passant über den ungestümen Hund beschwerte, obwohl der ja nichts für sein schlechtes Benehmen konnte. Mia hingegen verfügte, jedenfalls soweit Helene das beurteilen konnte, über keinerlei negative Eigenschaften.

      Dass Matthias gerade mit Latzhose sprach, erschwerte die Situation zusätzlich. „Du schaust dich nach einem weiteren Hund um?“, fragte sie nach knapper Begrüßung. „Irgendwie schon“, antwortete „Latzhose“ etwas zögerlich. Matthias schwieg.

      „Man sieht doch, dass Bommel und sie Spaß miteinander haben“, führte sie weiter aus. „Doch sie haben eben keine Erfahrung mit Hunden. Von weitem hören wir, wie sich der Hund gegenüber Artgenossen oder Passanten mit lautem Gebell zu behaupten versucht“. In Helene keimte ein Gefühl von Wut auf.

      „Herr Holtmann ist Hundetrainer und half schon häufig bei erfolgreichen Vermittlungen. Er könnte Ihnen ein paar Tipps bei der Erziehung geben. Bommel ist ja noch jung. Er lernt sicher schnell.“ So war das also, Matthias spielte den Aufpasser.

      „Nicht weit von hier ist ein Straßencafé. Bei diesem herrlichen Wetter ist es sicher noch geöffnet“, meinte Matthias. Helene lachte. „Bist du gegen Hundevandalismus versichert?“, erkundigte sie sich.

      So sehr sie auch die Vorstellung von einer herrlichen Tasse Tee reizte, aber Bommel zwischen vielen sonnenhungrigen Menschen und Tischen voller Eisbecher, Kuchen und Kaffeegedecke? Nein, das hatte sie bis jetzt aus gutem Grund noch nicht getestet.

      „Du meinst, ob ich eine Hundehaftpflichtversicherung für Mia abgeschlossen habe? Schon, aber zum Glück musste ich sie noch


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