Strohöl. Hansjörg Anderegg

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Strohöl - Hansjörg Anderegg


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Motorrädern und Technik Trucks hin und her, erteilte Anweisungen und konsultierte zwischendurch die Landkarte, als bereite er die Invasion der Insel Reichenau vor.

      »Wo bleibt die Luftwaffe?«, fragte sie mit steinerner Miene.

      Hinz hatte sein Gesicht weniger gut unter Kontrolle.

      »Was gibt es da zu grinsen?«, fuhr der Kommissar ihn an. »Ich will die ganze Bande auf dem Präsidium. Keiner entwischt uns, verstanden?«

      Sie nahm Rappold beiseite, um ungestört mit ihm sprechen zu können.

      »Ich fürchte, wir werden die Leute zu früh aufscheuchen mit dieser Generalmobilmachung«, sagte sie nur für seine Ohren.

      »Sprechen Sie es ruhig aus: Der Rappold spinnt. Ist mir scheißegal. Wir kassieren die Brüder jetzt!«

      »Wie Sie meinen.«

      Die Kavallerie setzte sich in Bewegung Richtung Reichenau. Sie bildete das Schlusslicht. Der heilige Pirmin bei der Brücke am Ende des Damms grüßte die Kolonne blinkender Polizeifahrzeuge freundlich, wenn auch etwas skeptisch. Er fragte sich wohl auch, ob es wirklich so viele Autos brauchte, um das kleine Paradies im Untersee einzunehmen. Nebelschwaden flüchteten über die verlassenen Felder. Je näher der einsame Stall bei Mittelzell rückte, desto lächerlicher erschien ihr die Übung. Sie dachte ernsthaft daran, umzukehren und Rappold die Schmach eines missglückten Einsatzes allein zu überlassen, als ihr ein Radfahrer auffiel, der gesenkten Hauptes vom Dorf her an der Kolonne vorbei schoss. Sie kannte die hagere Gestalt, trat hart auf die Bremse, wendete auf der schmalen Straße und nahm die Verfolgung auf. Ein Stück weit fuhr der Flüchtende auf der Mittelzeller Straße nach Süden, bis er in einen Feldweg abbog, auf dem sie ihm nicht folgen konnte. Sie studierte die Karte auf dem Navi. Falls der dürre Herr Hansen die Insel fluchtartig verlassen wollte, gab es in dieser Gegend nur eine Möglichkeit: die Schifflände. Sie bog an der nächsten Kreuzung rechts ab und trat kräftig aufs Gaspedal. Das Blaulicht brauchte sie nicht einzuschalten. Außer einem Bauern, der seinen Kartoffelacker umpflügte, schliefen alle Bewohner zu dieser frühen Stunde.

      Er näherte sich dem Bootssteg, als sie auf dem Parkplatz wendete. Sie stieg aus und zückte den Dienstausweis.

      »Polizei. Herr Hansen, wir müssen uns unterhalten.«

      Er war abgestiegen. Wie hypnotisiert starrte er auf den Ausweis.

      »Sie sind zu früh«, sagte sie lächelnd. »Es fährt noch kein Schiff.«

      Erst als sie auf ihn zutrat, erinnerte er sich ans verhasste Wort Polizei. Plötzlich ragten Hörner aus ihrem Blondschopf. Er schlug einen Haken und rannte um sein Leben.

      »Idiot.«

      Sie schwang sich auf sein Rad und folgte ihm durch zwei enge Gassen aufs offene Feld, wo sie ihn schließlich stoppen konnte. Er stürzte. Sie kniete auf seinem Rücken, bog ihm unsanft die Arme nach hinten. Die Handschellen schnappten zu.

      »Sie haben ihr Rad vergessen«, keuchte sie.

      Ihr Knie musste ihn hart getroffen haben, da ihm die Pufferzone aus Fettgewebe fehlte. Dennoch lag er reglos unter ihr wie ein erlegtes Reh, ohne einen Ton von sich zu geben.

      »Kann ich Sie loslassen, ohne dass sie wieder abhauen?«

      Ein leises Stöhnen war die Antwort.

      »War das ein Ja?«

      Sie lockerte den Griff und ließ ihn aufstehen. Sein Blick streifte das Fahrrad, dann erinnerte er sich an die Handschellen und blieb stehen.

      »Wo ist Thorsten Kramer alias Barbarossa?«

      Er schien die Frage nicht gehört zu haben.

      »Ich kann Sie auch gerne in Handschellen aufs Präsidium abführen, wenn Sie hier nicht mit mir sprechen wollen.«

      Er blickte sie an wie ein begossener Pudel. Die Kunst der Rhetorik war auf der kurzen Flucht verloren gegangen. Immer noch nach einem Aus-weg suchend, den es nicht gab, bequemte er sich endlich zu fragen:

      »Was wollen Sie?«

      »Ich will, dass Sie meine Frage beantworten.«

      »Welche Frage?«

      »Sie haben Humor, Herr Hansen. Das gefällt mir.«

      Zu seiner Überraschung löste sie die Handschellen und sagte:

      »Nehmen Sie das Fahrrad und stoßen Sie es zum Parkplatz zurück. Wir unterhalten uns dort. Geht es so oder muss ich dem Rad erst die Luft rauslassen?«

      Er trottete schweigend neben ihr her. Erst als sie das Fahrrad in den Kofferraum packte, protestierte er:

      »Das dürfen Sie nicht!«

      »Ist doch bequemer im Auto – und wir sind schneller in Konstanz.«

      »Wieso Konstanz? Verdammt, ich will nicht nach Konstanz.«

      »Sie sind aber dort gemeldet. Wohnen Sie denn nicht an ihrer Konstanzer Adresse?«

      Der Ärger vernebelte sein Gehirn. Es dauerte eine Weile, bis er die Ironie verstand, dann gab er auf.

      »Sie wissen ganz genau, wo ich wohne. Ihr Bullen schnüffelt doch jedem hinterher. Für euch gibt‘s so etwas wie ein Privatleben schon lang nicht mehr. Ihr wisst alles über uns.«

      Sie schüttelte den Kopf. »Stimmt nicht. Wir wissen zum Beispiel nicht, wo Barbarossa steckt – also?«

      Er widerstand ihrem durchdringenden Blick nur eine Sekunde lang, dann zuckte er die Achseln und murmelte:

      »Mich brauchen Sie nicht zu fragen.« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Das haben wir alles dieser verfluchten Judith zu verdanken.«

      »Wer ist Judith?«

      Er musterte sie misstrauisch.

      »Sie wissen es wirklich nicht?«, fragte er zögernd.

      »Klären Sie mich auf.«

      »Ich kenne sie nur als Judith. Sie hat sich bei uns eingeschlichen, um an die Informationen über die NAPHTAG zu kommen, wenn Sie mich fragen. Sie wollte unbedingt in jener Nacht zur Bohrstelle.«

      Chris glaubte, sich verhört zu haben. »In der Nacht des Anschlags?«

      »Seither sind beide verschwunden.«

      Sein Gesichtsausdruck verriet Ratlosigkeit. Sie würde später nachhaken.

      »Um welche Informationen handelte es sich?«

      »Nichts Weltbewegendes. Wir haben ein wenig recherchiert. Man muss ja wissen, wogegen man protestiert. Die war ganz scharf auf alles, was wir über das Fracking Projekt gesammelt hatten.«

      »Wo ist das Material jetzt? Im Stall?«

      Er nickte. »Das Wichtigste haben Sie sicher schon gestern auf den Transparenten gesehen.«

      »Wo finde ich Judith?«

      »Keine Ahnung, sagte ich doch schon.«

      »Wo waren Sie in der Nacht des Anschlags?«

      »Wir haben im Stall gepennt – alle außer Barbarossa und Judith. Waren ziemlich breit.«

      »Das werden wir überprüfen.«

      »Die andern werden es bezeugen. Kann ich jetzt gehen?«

      »Sie müssen mit aufs Präsidium kommen, fürs Protokoll.«

      Er antwortete mit einem Fluch, stieg aber ohne Widerstand ein.

      Rappolds Kavallerie war am Aufbrechen. Der Kopf des Kommissars leuchtete wie der rote Traktor von Bauer Lorenz im Licht der aufgehenden Sonne. Kaum hatte er sie erblickt, rannte er in großen Sätzen auf sie zu. Sie zog es vor, sitzenzubleiben, kurbelte nur das Seitenfenster herunter.

      »Himmel Donnerwetter, wo stecken Sie die ganze Zeit?«

      Statt zu antworten, deutete sie auf ihren Beifahrer. »Ich habe Ihnen jemanden mitgebracht.


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