Alles beginnt und endet im Kentucky Club. Benjamin Alire Saenz

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Alles beginnt und endet im Kentucky Club - Benjamin Alire Saenz


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       Manchmal glaube ich, dass das Meer aus Tränen gemacht ist.

      Originalausgabe:

      »Everything Begins and Ends at the Kentucky Club«

      © 2012 by Benjamin Alire Sáenz. All rights reserved

      Published by Cinco Puntos Press, El Paso

      Erste Auflage 2014

      © für die deutsche Ausgabe: Ripperger & Kremers Verlag, Berlin 2014

      Übersetzung: Sabine Hedinger

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlagmotiv: © plainpicture / Design Pics

      Umschlaggestaltung: Vera Eizenhöfer

      ISBN: 978-3-943999-15-0 (Buch)

      ISBN: 978-3-943999-14-3 (EPub)

      ISBN: 978-3-943999-66-2 (mobi)

       www.ripperger-kremers.de

      Inhalt

       BEI DEN FRAUEN

       DIE KUNST DES UBERSETZENS

       DIE REGELN MEINES VATERS

       BRUDER IN EINER ANDEREN SPRACHE

       MANCHMAL IM REGEN

       DEN DRACHEN JAGEN

       EIN LEIDVOLLES SPIEL

       Ich will dem Schlag meines Herzens lauschen, wenn er klingt wie ein Musikstück in einer Stille, die darauf wartet, durchbrochen zu werden.

      In Erinnerung an meine Mutter Eloisa Alire Sáenz

       Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Matthäus 5,8

BEI DEN FRAUEN

      Im schräg einfallenden Morgenlicht sah er aus, als würde er gleich in Flammen stehen.

      Jeden Sonntag war er da, allein, für sich, einer, der auffiel

      – aber keine traurige, einsame Gestalt. Auch keine tragische. Er wurde zur Hauptfigur einer Geschichte, die ich in meinem Kopf schrieb. Manche Menschen sind so schön, dass sie überall am richtigen Ort sind, wohin sie auch gehen. Das war der erste Satz meiner Geschichte.

      Ich achtete immer darauf, was er gerade las: Dostojewski, Kazantzakis, Faulkner. Er war verliebt in schöne Literatur. Und in Tragödien. Weil er an der Grenze lebte. An der Grenze konnte man die Tragödie lieben, ohne eine tragische Gestalt zu sein.

      Seinen Kaffee trank er schwarz. Obwohl ich mir da nicht sicher sein konnte.

      Manchmal war zu erkennen, dass er gerade vom Laufen kam, das dunkle, wellige Haar wirr, halbnass vom Schweiß. Er war dünn und musste sich bestimmt zweimal am Tag rasieren. Trotzdem war immer ein Schatten auf seinem Gesicht. Selbst im Morgenlicht schien es halb verborgen.

      Ich weiß nicht, wie lange ich ihn schon beobachtete. Seit einem Jahr. Vielleicht länger. Er war ein Gewohnheitsmensch. Nicht viel anders als ein Mönch. Nicht viel anders als ich.

      Unsere Blicke begegneten sich nie, obwohl ich mir die

      Farbe seiner Augen eingeprägt hatte.

      Ich trödelte nie in dem Café herum – aber Sonntag morgens gab es immer eine Schlange. Das Warten war mir nur recht. Es gab mir Gelegenheit, einen Blick auf ihn zu werfen, während er in seinem Buch las. Wie gern wäre ich zu ihm gegangen, um ihn zu fragen, was er von Kazantzakis hielt. Ich stellte mir vor, ich würde mit dem Satz loslegen, dass kein Mensch mehr etwas von ihm las. Dann würde er mich anlächeln.

      Einen Kaffee bestellte ich nie.

      Ich kam nur vorbei, um die Sonntagsausgabe der New York Times zu kaufen, und fuhr dann nach Hause, um meinen eigenen, fair gehandelten, frisch gemahlenen Kaffee zu trinken. Immer traf ich jemanden, den ich kannte. Die Leute waren sehr nett zu mir. Immer. Hallo Mr. De la Tierra gut sehen Sie aus Mr. De la Tierra woran arbeiten Sie gerade Mr. De la Tierra schön Sie zu sehen Mr. De la Tierra.

      Dass so viele Leute meinen Namen kannten, hat mich nie besonders gefreut. Im Gegenteil, ich kam mir eher noch einsamer vor. Und außerdem wusste niemand wirklich, wer ich war. Nicht einmal ich selbst.

      2

      Die Sonntage beanspruchte ich für mich. Der Rest der Woche gehörte meinen Verpflichtungen, meiner Familie, meinen Freunden, meinen Aufgaben. Ich konnte alle meine Tage für irgendetwas anderes dreingeben. Aber nicht die Sonntage. Ich liebte das Ruhige, Verhaltene dieses Tages. Las die Zeitung und atmete die Stille der Nachbarschaft ein, die sich von der Plackerei der Woche erholte. So eine Art Nachbarschaft war das.

      Und dann, eines Sonntags, kamen wir ins Gespräch.

      Ich stand am Tresen des Cafés, die New York Times in der Hand, und war gerade dabei mich zu entscheiden. Ein Croissant? Vielleicht einen Scone? Ich hatte Hunger.

      »Sie nehmen nie einen Kaffee.«

      Schon bevor ich mich umdrehte, wusste ich, dass er es war.

      »Nein«, sagte ich.

      »Mögen Sie keinen Kaffee?«

      »Mein Kaffee wartet zu Hause auf mich.«

      »Ihr Kaffee ist also wie eine Ehefrau?«

      »Ja«, sagte ich, »genau wie eine Ehefrau.«

      »Und wartet eine?«

      »Wie bitte?«

      »Eine Ehefrau?«

      Ich streckte meine linke Hand aus. Kein Ring.

      Er lächelte nicht, aber ich glaube, er verkniff es sich nur. Ich zahlte für meine Zeitung.

      Er bestellte einen großen Becher »Kaffee des Tages«. Ich hatte recht gehabt: Er trank ihn schwarz. Seine Stimme war tief und sympathisch. Mit einem reizenden Akzent. Ich wollte das Gespräch nicht abreißen lassen. Aber gerade wenn es darauf ankommt, gibt es nie etwas zu sagen.

      »Sie mögen Zeitungen«, sagte er.

      »Ja.«

      »Zeitungen sind von gestern. Und voller Lügen.«

      Ich hob meine Zeitung hoch. »Das hier ist nicht El Diario

      »Sind Sie etwa einer von denen?«

      Ich sah ihm ins Gesicht. Er lächelte. »Einer von denen?« Jetzt lachte er. »Einer von den Mexikanern, die andere Mexikaner hassen.«

      »Nein, an der Krankheit leide ich nicht.«

      »Woran leiden Sie dann?«

      Ich antwortete nicht. Ich sah ihm nur in die Augen. Die schokoladenbraunen Augen. Ich glaube, ich suchte nach Leiden.

      »Sie sind kein richtiger Mexikaner«, sagte er.

      »Kein Mexikaner. Kein Amerikaner. Scheiß drauf ! Das ist die Krankheit, an der ich leide.«

      Wir


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