Wort für Mord. Sabine Wolfgang
Читать онлайн книгу.signalisieren, wer am Apparat war. Dabei verzog er sein Gesicht und schüttelte seinen Kopf leicht. Eindeutig schien er von dessen schriftstellerischem Erguss wenig begeistert zu sein.
„Wir melden uns, ja?“ Der Verlagsleiter beendete das Gespräch, legte auf und atmete durch. Wieder glitt sein Blick über die Zeilen der Bewerber.
„Ich hab da eine Idee. Wie wäre es denn, wenn ich die Aufgabe übernehme?“, schlug Christopher seinem Chef vorsichtig vor.
„Was meinst du?“, entgegnete der.
„Na ja, ich kenne Paula und ihren Stil seit vielen Jahren und auch alles andere, was sie ausmacht. Ich könnte das hinkriegen.“
Peter schaute ihn mit einem Fragezeichen in den Augen an, als wäre er selbst nie auf diese Idee gekommen.
„Hm, das ist ein Argument. Vielleicht würdest du es schaffen.“
Christophers Meinung nach hätte er sich das Wort „vielleicht“ an dieser Stelle sparen können. Er war sich sicher, das Projekt zu stemmen, auch wenn es ihm alles abverlangen würde. Abgesehen davon hatte er einmal ein Buch über die Abgründe Wiens verfasst. Dabei handelte es sich zwar um ein Sachbuch, aber er beherrschte es zu schreiben. Diese Fähigkeit brauchte er nicht infrage zu stellen.
„Weißt du was? Ich denke darüber nach. Wenn wir wirklich niemand anderen auftreiben können, ist es wohl besser, du übernimmst den Job. Allerdings müssten wir dich dann für die gesamte Zeit vom restlichen Verlagsbetrieb freistellen. Ob mir das so gefällt …“
Zumindest zog Peter diese Option in Betracht und zeigte sich willig, sich den Vorschlag durch den Kopf gehen zu lassen. Als er sich erheben und wieder an seinen Schreibtisch zurückkehren wollte, preschte der Verlagsleiter mit einer weiteren Idee vor.
„Was ist eigentlich mit Tobias Gielding? Habt ihr den noch nicht kontaktiert?“
Peter Biber hatte den Autor ursprünglich auf seine Liste an möglichen Schreibern gesetzt, ihn bisher aber nicht ernsthaft für diesen Job in Betracht gezogen.
„Der hat doch auch noch nie den Vogel abgeschossen“, argumentierte Christopher, ihn selbst dieses Mal außen vor gelassen zu haben. Jetzt, als er vielleicht selber zu einer unverhofften Chance kam, seine Fähigkeiten als Ghostwriter auszupacken und der Welt zu präsentieren, kam Peter plötzlich jemand anderer in den Sinn. Ging es ihm nur mehr ums Prinzip oder darum, Christophers Funktion als Lektor nicht leichtfertig aufzugeben? Unmöglich konnte er beide Jobs erledigen.
„Na, da ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Paula ihre Entscheidung noch einmal durch den Kopf gehen lässt, wohl höher, als dass wir mit ihm eine gute Wahl treffen.“ Christopher redete in sich hinein und erwartete keine weitere Aussage seines Chefs dazu, doch der Verlagsleiter fühlte sich bemüßigt, dessen Wortmeldung einmal mehr zu kommentieren.
„Darum geht’s doch nicht. Lad ihn ein. Soviel ich weiß, mag er Paulas Werke. Er soll uns was liefern. Ganz im Sinne von ‚Schau ma mal, dann sehn ma schon‘.“ Peter lächelte. „Und wenn der auch nicht infrage kommt, kenne ich da einen gewissen Christopher Rose, der ein besonders talentierter, ambitionierter Jungautor sein soll.“ Wieder schmunzelte er, klopfte seinem Lektor von hinten auf beide Schultern und ließ ihn alleine in seinem Büro zurück.
Erteilte Peter Biber einen Auftrag, war keine Zeit zu verlieren. Zügig suchte Christopher die Telefonnummer des Herrn Gielding aus der Kartei und wählte dessen Nummer. Zuletzt hatte er ihn vor ca. zwei Jahren gesehen, als sie jemanden für die Erstellung eines Reiseführers durch Wien für junge Menschen brauchten. Der Autor war zwar in die engere Wahl gekommen, konnte aber letzten Endes nicht mit einer für die Zielgruppe adäquaten Sprache begeistern. So verschwand er wieder in den Untiefen ihrer Kartei und wurde später ein weiteres Mal konsultiert. Und nun gab man ihm schon zum dritten Mal eine Chance. Eine Eigenschaft, die der Lektor an Peter schätzte.
Nach dem vierten Klingeln hob Tobias ab. „Hallo? Hallo?“
„Christopher Rose hier, vom Verlag Biber & Benson.“
Er nahm ein Rascheln im Hintergrund wahr, bis die Leitung klarer wurde.
„Tut mir leid“, drang es aus dem Telefon, „ich war wohl gerade in einem Funkloch. Jetzt höre ich Sie besser. Herr Rose, habe ich das richtig verstanden?“
„Ja, genau. Christopher Rose. Wir haben uns vor einiger Zeit im Zuge einer Autorensuche für Biber & Benson kennengelernt. Erinnern Sie sich?“ Christopher war bewusst, wie absurd sich diese Frage anhörte. Wusste er davon nichts mehr, wäre er entweder schwer beschäftigt oder angehend dement.
„Ja, natürlich. Das Wien-Buch. Ich entsinne mich. Schade, dass es damals nicht geklappt hat. Aber ich habe es danach in der Buchhandlung entdeckt und etwas darin geschmökert.“
Dass Tobias damals leer ausgegangen war, hatte ihn mehr als geärgert. Da er für einige heimische Magazine jahrelang Tipps über neue Wiener Attraktionen, Lokalitäten und Ausflugsziele geliefert hatte, war er für die Konzeption eines Reiseführers geradezu prädestiniert gewesen. Den richtigen jugendlichen Schreibton hätte er sich schon noch aneignen können. Nichtsdestotrotz hatte er die Ausschreibung und Absage als fair in Erinnerung. Rose meldete sich stets nach Abmachung und erteilte wertschätzendes Feedback, mit dem er etwas anzufangen wusste. Als er dann das fertige Werk in einem Geschäft erspäht und darin geblättert hatte, nahm er zwar eine unangenehme Gefühlsmischung aus Neid und Enttäuschung wahr, übte sich jedoch einmal mehr darin, Angebotsabsagen ad acta zu legen und zu akzeptieren, dass er nicht der Richtige für das Projekt, sondern jemand anderes besser geeignet war. Und eines Tages würde er der Andere sein.
„Oh, das freut uns“, antwortete der Lektor. „Der Grund, warum ich anrufe, ist folgender: Es gibt da ein neues Projekt, wofür wir Sie gerne einladen möchten, sich zu bewerben …“
Gielding unterbrach ihn. „Wirklich? Schön, dass Sie dabei an mich denken. Worum geht es denn?“
„Dieses Mal handelt es sich um etwas gänzlich anderes. Kein Reiseführer, sondern um ein Werk im Krimigenre. Können Sie damit etwas anfangen?“ Während Christopher mit ihm sprach, ging er am Computer kurz den Lebenslauf des Ghostwriters durch. Zwar verfügte er nicht über die aktuellste Version seiner Vita, sondern über eine, die zwei Jahre zuvor endete, dennoch wurde ihm wieder klar, warum er ihn selber nie vorgeschlagen hätte. Bedeutende Publikationen aus seiner Feder fehlten bis dato.
„Sie meinen, Sie suchen etwa die männliche Antwort auf Paula Hogitsch?“ Tobias lächelte. Nie hätte er vermutet, dass er mit seinem naiv ausposaunten Vorschlag richtiger als erwartet lag.
„Genau das tun wir, Herr Gielding. Haben Sie Interesse, uns dafür ein Angebot zu legen? Sie wissen ja, wie es läuft. Von uns kommen ein paar Angaben, und Sie liefern das Exposé dazu. Als Zeitrahmen kann ich Ihnen eine Woche geben. Wie klingt das?“
„Sensationell. Zeitlich bringe ich es auch gut unter.“ Hoffentlich verriet das nicht, dass er momentan – wie so oft – über kein einziges Projekt verfügte und ihn seine Tagesfreizeit fast überforderte. Über die Jahre hatte er gelernt, seinen Auftraggebern stets ein Gefühl der Überbeschäftigung zu vermitteln, in der Hoffnung, damit einen Wirbel um seine Person zu entfachen, doch manchmal entfielen ihm seine eigens kreierten Regeln.
„Herr Gielding, das freut uns sehr. Sollte uns Ihr Exposé zusagen, setzen wir uns natürlich schnellstmöglich zusammen, keine Frage. Jetzt aber – aufgrund des Zeitdrucks – machen wir alles einfach am Telefon aus. Wie gesagt, schicke ich Ihnen umgehend alle Vorgaben, o. k.?“
„Sehr gerne. Spätestens übermorgen erhalten Sie mein Exposé.“ Tobias war außer sich vor Freude, überhaupt für eine „Audition“ wie jene, wie er das Prozedere immer nannte, infrage zu kommen.
„Kein Stress! Auch Sie haben eine Woche Zeit wie alle anderen. Nehmen Sie sich die.“
Christopher versicherte ein weiteres Mal, dass er sich freute, und verabschiedete sich. Tobias war ihm zwar sympathisch, dennoch hoffte er darauf, dass sein Exposé keine Begeisterungsstürme bei der Verlagsleitung hervorrief. Ihm gefiel