Der Tod setzt Segel. Robin Stevens

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Der Tod setzt Segel - Robin Stevens


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einen runden Schornstein auf etwas auf der anderen Seite. Ich schlich mich hinter sie, hielt den Atem an und setzte sanft wie Seide einen Fuß vor den anderen.

      »Hazel«, sagte Daisy, ohne sich umzudrehen. »Was fällt dir eigentlich ein?«

      »Woher wusstest du, dass ich es bin?«, zischte ich verdattert. »Und … was machst du überhaupt? Warum schleichst du dich ohne mich weg? Ermittelst du?«

      »Psst! Ich weiß immer, wenn du es bist. Du wüsstest doch auch immer, wenn ich es bin, oder nicht?«

      Jetzt hatte ich sie erreicht. Ich linste über ihre Schulter, um zu sehen, was sie da inspizierte und –

      »Daisy«, sagte ich, »warum beobachtest du Amina?«

      Denn dort war Amina. Etwa zwanzig Schritte von uns entfernt lehnte sie im Schneidersitz an einem Dachgiebel und las im Schein einer Taschenlampe ein Buch. Bemerkt hatte sie uns nicht – sie schien vollkommen in ihrer eigenen Welt versunken.

      »Sie verhält sich verdächtig«, flüsterte Daisy. »Sie ist eine mögliche Gefahr! Hazel, ich –«

      Da begriff ich es: die eine Sache, die ich längst hätte sehen müssen. Allerdings war mir klar, dass ich Daisy nicht damit konfrontieren konnte. Noch nicht.

      »Nein, ist sie nicht«, sagte ich. »Sie ist kein bisschen eine Gefahr! Du … du suchst nur zwanghaft nach einem Rätsel, das du dieses Trimester lösen kannst, und weißt, dass es keins gibt.«

      Selbstverständlich entsprach dies nicht der Wahrheit.

      »Hmpf!«, machte Daisy verärgert. »Aber es könnte eins geben, Hazel! Ständige Wachsamkeit!«

      »Ich glaube, in diesem Fall bist du möglicherweise etwas zu wachsam.« Ich staunte selbst über meine Kühnheit – ich triezte Daisy Wells!

      »Hazel, das ist nicht witzig. Aber … ach, eins muss ich dir zugestehen, hier gibt es nichts zu tun. Ich brauche nur so dringend eine Ablenkung! Alle sind so trübsinnig.«

      »Wegen Kükens Mutter! Nicht alles ist ein faszinierendes Geheimnis, Daisy. Manche Dinge sind einfach nur traurig. Können wir jetzt wieder ins Bett, bevor ich erfriere?« Es war beinahe November und die Nacht war schneidend kalt. Amina hatte eine Decke und Daisy ihre Stola, doch ich trug lediglich meinen ganz normalen Schlafanzug.

      »Von mir aus«, sagte Daisy. »Aber … Ach, wenn doch nur etwas Interessantes passieren würde!«

      Daher kam es mir wie die Antwort auf all unsere Probleme vor, als Amina einige Tage später nach Latein zu uns trat und sagte: »Meine Eltern haben mir geschrieben. Was haltet ihr davon, Weihnachten in Ägypten zu verbringen?«

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      Daisy tat selbstverständlich so, als wäre sie alles andere als interessiert.

      »Das müssen wir uns erst noch überlegen«, antwortete sie Amina kühl.

      »Danke!«, ergänzte ich über die Schulter, als Daisy mich schon zurück zum Schlafsaal hetzte.

      »Du solltest ihr nicht danken!«, zischte Daisy mich an. Plötzlich waren ihre Wangen vor Aufregung hochrot. »Immerhin könnten wir gar keine Zeit zum Verreisen haben!«

      »Unfug!«, erwiderte ich. »Ägypten, Daisy! Da wolltest du schon immer hin!«

      »Hmpf!« Über Daisys Nase zeigte sich die übliche Falte. »Ich … nun …«

      »Mumien«, sagte ich. »Pyramiden. Tutanchamun. Ägypten ist voller Geheimnisse!«

      Ich sah genau, wie Daisys Augen funkelten, auch wenn es ihr nicht recht war. »Ich muss erst Onkel Felix um Erlaubnis bitten. Er könnte Nein sagen.«

      »Nie im Leben sagt er Nein!«, entgegnete ich. Es stimmt, dass Onkel Felix vorsichtig ist, wenn es um Daisy geht – sie ist seine einzige Nichte und er entwickelt ihr gegenüber einen richtigen Beschützerinstinkt. Aber genauso stimmt es, dass Daisy und ich Onkel Felix und seiner Frau, Tante Lucy, in den Sommerferien dabei geholfen hatten, ein gewisses Problem zu lösen. Wir hatten etwas gut bei ihm.

      »Wir müssen uns wohl neu einkleiden«, sagte Daisy. »Unsere Garderobe aus Hongkong wird zu klein geworden sein. Und was ist mit deinem Vater?«

      In der Tat bereitete mir die Reaktion meines Vaters die größten Sorgen – doch als ich ihn am Tag darauf anrief, klang er trotz der knisternden Leitung nahezu begeistert.

      »Was für eine Gelegenheit!«, sagte er. »Hazel, ich weiß, ich habe versprochen, dich an Weihnachten in England zu besuchen, aber was, wenn wir stattdessen gemeinsam nach Ägypten reisen? Die Geschichte, die Kultur – ihr alle könntet dabei so viel lernen.«

      Als mir das Kreischen vom anderen Ende der Welt ans Ohr drang, stellte ich mir meinen Vater in seinem Arbeitszimmer vor, umringt von meinen tanzenden kleinen Schwestern, während deren Mägde, Pik An und Ah Kwan, sich alle Mühe gaben, sie wegzuziehen.

      »Ehrlich?« Ich wagte es kaum zu glauben. »Ich … darf wirklich hin?«

      »Natürlich, meine Hazel. Wir können alle dorthin reisen.«

      Auch Daisy kehrte strahlend von ihrem Telefonat zurück. »Onkel Felix hat zugestimmt«, berichtete sie mir. »Er … Oh, Hazel, ich glaube, wir reisen nach Ägypten!«

      Überschäumend vor Freude lagen wir uns in der schäbigen Eingangshalle des Wohnheims in den Armen – und danach gab Daisy ihre Fassade endlich auf.

      Es sprudelte nur so aus ihr heraus, während sie mir von Ägypten, Pharaonen, Flüchen und Überschwemmungen erzählte. Ihre Hausaufgaben erledigte sie doppelt so schnell wie sonst, damit sie noch in dicken, in Leinen gebundenen Wälzern über Forschungsreisen auf dem Nil und die Carter-Expedition lesen konnte, bei der Tutanchamun hatte ausgegraben werden sollen. »Es gab auch weibliche Pharaonen, weißt du?!«, berichtete sie mir mit leuchtenden Augen. »Frauen haben über ganz Ägypten regiert! Hatschepsut herrschte fünfzehn Jahre lang und sie trug einen falschen Bart, damit die Männer sie akzeptiert haben. Stell dir das nur vor! Glaubst du, mir würde ein Bart stehen?«

      »Nein«, antwortete ich und streckte ihr die Zunge raus, obwohl ich sehr wohl wusste: Wenn überhaupt jemand mit einem falschen Bart gut aussähe, dann die Ehrenwerte Daisy Wells.

      »Ja«, sagte Amina in der Reihe vor uns und drehte sich grinsend zu Daisy um, die schrecklich rot wurde und den Kopf hinter ihrem Buch verbarg.

      »Natürlich bist du vor allem daran interessiert, die Pharaonen zu sehen«, sagte ich später zu Daisy.

      »Selbstverständlich«, bestätigte Daisy, ohne mit der Wimper zu zucken. »Was sollten wir sonst in Ägypten wollen?«

      Das brachte mich auf eine Idee. Wenige Tage später faltete ich im Englischunterricht in meinem Aufsatzheft einen Zettel, tauschte meinen normalen Stift gegen einen weit ungewöhnlicheren, den ich ganz unten in meinem Schulranzen aufbewahrte, und setzte etwas auf, das gewiss nicht die Abhandlung über Spenser war, um die Miss Dodgson gebeten hatte.

      Lieber Alexander, schrieb ich mit klopfendem Herzen, wobei meine Worte sich beinahe sofort in Nichts auflösten, sobald sie aus meinem Stift geflossen waren.

      Wie läuft es an der Weston? Haben du und George das Problem mit dem Hund gelöst? Hier geht es meistens sehr langweilig zu. Keine Fälle. Und ohne sind wir irgendwie alle ein bisschen neben der Spur.

      Aber gute Nachrichten: Man hat uns für die Weihnachtsferien nach Ägypten eingeladen. Daisy ist schrecklich aufgeregt, auch wenn sie es abstreitet, und ich bin es auch. Wir sind extra vom Unterricht befreit, damit wir vorzeitig die Schule verlassen dürfen, weil es als eine lehrreiche Exkursion gilt. Zuerst besuchen wir die Familie von Amina El Maghrabi in Kairo, dann wird Vater mit meinen Schwestern May und Rose (Weißt du noch, ich habe euch von ihnen erzählt?) zu uns stoßen. Gemeinsam wollen


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