Der Tod setzt Segel. Robin Stevens

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Der Tod setzt Segel - Robin Stevens


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      »Ja!«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Alles war so fremd und wundervoll. Obwohl ich durch Aminas Augen immer wieder Ausschnitte des wahren Ägyptens sah, eines Landes, in dem sich die Menschen selbstverständlich ebenso um langweilige, gewöhnliche Dinge wie Hausaufgaben und Zugfahrkarten kümmern mussten, war es mir unmöglich, das Gefühl abzuschütteln, in eine Geschichte eingetaucht zu sein, als wäre ich einmal quer durch Zeit und Raum gepurzelt. Ich hatte die ganz seltsame Überzeugung (vielleicht ging mir dabei einmal mehr der Hauch-des-Lebens durch den Kopf), dass ich jeden Moment den jungen König Tutanchamun erblicken könnte, kränklich und doch herrschaftlich, gleich neben mir im Waggon – oder dass sich die Frau, die ich im nächsten Waggon schreien hörte, als die Pharaonin Hatschepsut herausstellen könnte, deren Augen (in meiner Vorstellung so durchdringend und schlau wie die von Amina) mit Kajal dunkel und dick bemalt waren, und mit einem kleinen Holzbart, der mit einer Schnur am Kinn festgebunden war.

      »Ich kann es nicht erwarten«, sagte Amina. »Ich habe das noch nie gemacht, zumindest keine richtige Kreuzfahrt. Dafür kenne ich all die Geschichten. Das meinte Baba auch, als er sich verabschiedet hat – er will, dass ich dafür sorge, dass ihr die wahren Geschichten zu hören bekommt. Manchmal erzählen sie sie den Leuten aus dem Westen nicht richtig.«

      Ich atmete den bloßen, heißen Geruch des Waggons ein, außerdem den Geruch von Schweiß und Aminas Parfüm, das so luftig und hübsch war wie sie.

      »Warum haben dich deine Eltern auf die Deepdean geschickt?«, fragte ich. »Hat Miss Beauvais nicht gereicht?«

      »Miss Beauvais ist ziemlich nutzlos, wenn man mal ehrlich ist«, erklärte Amina mit einem Blick zu ihrer schlafenden Gouvernante. »Wir behalten sie nur, weil Sachen aus Frankreich gerade in Mode sind. Ich habe Baba gesagt, dass ich von ihr nichts lernen kann, also musste ich zur Schule. Und nachdem ich sämtliche Schulen von Kairo durchgemacht hatte, gab es nicht mehr viele Möglichkeiten. König Farouk war vor dem Tod des alten Königs in England auf der Schule – sie mussten ihn extra nach Kairo einfliegen und zurückholen, weil er den Thron besteigen musste, weißt du? Daher ist das im Moment angesagt. Die Tantchen und meine älteren Schwestern sind Baba so lange auf die Nerven gegangen, bis er Ja gesagt hat. Mama hat sich geärgert, aber sie wusste, wie gern ich hin wollte. Ich mag Abenteuer, weißt du?«

      »Meine Mutter wollte auch nicht, dass ich in England zur Schule gehe«, sagte ich leise, damit Rose und May nicht hörten, wie ich Ah Mah erwähnte. »Sie … sie mag nichts, was mit Europa zu tun hat.«

      »Warum ist deine Mutter nicht hier?«, fragte Amina und sah mich forschender an denn je.

      Ich zuckte mit den Schultern. Es zu erklären, ertrug ich nicht, nicht Amina gegenüber, deren Mutter so stolz auf sie war.

      »Aber ich habe darum gebeten«, fuhr ich schnell fort. »Ich wollte England mit eigenen Augen sehen.«

      »Hazel Wong!« Amina grinste mich an. »Ich glaube, wir sind uns ein bisschen ähnlich, du und ich.«

      »Aber ich bin nicht … ich bin nicht abenteuerlustig, nicht wie du und Daisy«, sagte ich.

      »Du gehörst zu den abenteuerlustigsten Menschen, die ich je getroffen habe!«, meinte Amina. »Du bist um die halbe Welt gereist, als du erst ein Shrimp warst, und du hast alle möglichen wilden Sachen erlebt – du bist mit Jungs befreundet. Baba würde mich umbringen, würde ich einen auch nur ansehen …«

      »Psst!«, zischte ich eindringlich, als mein Vater sich ausstreckte und die Seite seines Kreuzworträtselbuchs umblätterte. Die Erinnerung hatte bei mir einen unbequemen Schweißausbruch ausgelöst.

      »Ich meine ja nur: Lass dir von Daisy nicht einreden, du wärst langweilig. Vielleicht war das mal so, das weiß ich nicht. Aber die Hazel Wong, die ich kenne, ist das genaue Gegenteil. Ich bin froh, dass wir Freunde sind.«

      »Wir freuen uns auch, dass wir mit dir befreundet sind«, sagte ich.

      »Hmmm«, machte Amina. »Sicher, dass Daisy das so sieht?«

      Ich schaute zu Daisy. Sie hatte in ihrem rastlosen Laufen innegehalten und stand nun wie eine Marmorstatue aus einem Museum vor dem Fenster und blickte starr auf die hohen Hügel, die vom Sonnenuntergang rosa angemalt wurden. Aber ich wusste genau, dass sie uns zuhörte.

      »Das solltest du sie selbst fragen«, sagte ich und wurde ein bisschen rot.

      »Tja«, Amina warf den Kopf herum und hob die Stimme, damit Daisy sie auch ja verstand, »jedenfalls sollte sie mich leiden können – ich bin genial.«

      Das war ein so Daisy-typischer Satz, dass ich laut lachen musste, und auch Amina lachte.

      In dem von Kerzen erleuchteten Speisewagen, in dem ich mir wie im Innern eines Sterns vorkam, aßen wir zu Abend. Doch kaum hatten wir Platz genommen, erblickten wir verdutzt einige durchaus bekannte Gesichter: die Männer und Frauen der Hauch-des-Lebens-Gesellschaft. Die pummelige Theodora Miller putzte gerade einen der Kellner herunter, und mir wurde bewusst, dass es ihre Stimme gewesen war, die ich aus dem anderen Waggon gehört hatte. Irgendwie löste das bei mir ein merkwürdiges Gefühl aus, immerhin hatte ich sie mit Hatschepsut verglichen und für genau die hielt sie sich.

      Ich sah zu, wie der Kellner vor Theodoras Zorn zurückwich und prompt gegen ihre knochige Begleiterin stieß, die ihn ebenfalls anschrie. Der Mann wirkte zu Tode erschrocken.

      »Sie folgen uns!«, zischte Daisy und pikte mich mit ihrer Salatgabel.

      »Hoffentlich nicht!«, sagte ich. »Sie sind furchtbar!«

      »Furchtbar faszinierend!« Daisy lauschte so gebannt der Hauch-des-Lebens-Tafel neben uns, dass sie nur auf die Hälfte aller Fragen meines Vaters reagierte.

      Ich musste zugeben, dass ich ihre Meinung teilte. Immer wieder schnappte ich Gesprächsfetzen auf, die mich immer neugieriger werden ließen: Reinkarnation, Anhänger, Geld, Pharaonen, und dann …

      »Nein, Ida, das kann unmöglich dein Ernst sein!«

      »Aber ja doch!«, erwiderte die knochige Frau scharf. »Letzte Woche ist es mir im Traum erschienen. Ich habe darüber nachgegrübelt und die einzige Antwort darauf ist die: Ich bin die Reinkarnation von Hatschepsut.«

      »Ida, du kannst nicht Hatschepsut sein!«, sagte eine gut gepolsterte kleine alte Dame, die sehr klein und fast kreisrund war und die Hände gepeinigt vor sich verschränkte. »Es gibt immer nur eine Hatschepsut und –«

      »Und das bin ICH«, fiel Theodora Miller ihr ins Wort und richtete sich auf. Die anderen Mitglieder des Hauch-des-Lebens – eine große, schlaksige junge Frau mit Locken, ein dunkelhaariger junger Mann und ein alter, runzliger Herr mit einem überraschend gelben Haarschopf und einem Gehstock – hielten allesamt den Atem an und starrten Theodora und die knochige Ida an. »Ich bin Hatschepsut«, wiederholte Mrs Miller. »Du bist Kleopatra, Ida. Das haben wir längst besprochen.«

      »Kleopatra war eine Giftmörderin«, keifte Ida. »Eine Giftmörderin und ein Feigling. Schon lange habe ich das Gefühl, dass ich keinerlei Verbindung zu ihr spüre, dafür habe ich eine absolut innige Verbindung zu Hatschepsut. Ich verstehe sie. Ich spüre sie. Sie ist ICH.«

      »ICH BIN SIE!«, fuhr Theodora Miller sie an.

      »Oh, bitte streitet nicht!«, sagte die pummelige alte Dame, im selben Moment als die schlaksige junge Frau rief: »Mutter, bitte nicht!«

      »Heppy, du SOLLST mich NICHT so nennen!«, keuchte Theodora und wandte sich schwungvoll der jungen Frau zu. »Schon wieder ein Minuspunkt für dich. Das ist heute bereits der vierte! Mit dieser Einstellung wirst du deine Reinkarnation niemals herausfinden. Und Rhiannon, sei still, sonst muss ich noch einmal überdenken, ob du Nofretete bist.«

      »Entschuldige, Theodora, meine Liebe«, sagte die pummelige Frau, Rhiannon.

      »Es tut mir leid!«, beteuerte die schlaksige Heppy mit Tränen in den Augen. »Ich gebe mir ja Mühe!«

      »In jedem Fall bemühst du meine GEDULD!«, donnerte Theodora – dann kippte May aus


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