Droga do serca lady Lucy. Laura Martin

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Droga do serca lady Lucy - Laura Martin


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sie doch nicht vergessen“. Ach Junge, es wird so viel vergessen."

      Ulrich Niebel schaute hinüber zur Fensterwand. Da hing zwischen den weinroten Vorhängen das goldgerahmte Portrait seines Vaters und blickte streng herab auf den Sohn, der nun selber Vater war und sich um seine Tochter sorgen mußte. "Nein, du warst nicht schuld an diesem Wahnsinn", sagte er leise. "Ich glaube dir. Viele haben es gemacht, aus purer Habgier. Für dich war diese Bank Heimat, Aufgabe, Lebensziel. Du warst im Recht." Und weil Ulrich Niebel das glaubte, blieb auch das Glas im Oberlicht. Langsam lösten sich seine Gedanken aus der Vergangenheit, sein Blick fiel auf die Notizen auf seinem Schreibtisch, und er war wieder der Banker, und er wußte, es kommt eine Krise auf uns zu, und wir müssen sie meistern. Wie alle früheren.

      7. Hilla

      Ich hätte ihn nicht gehen lassen - nicht so gehen lassen dürfen! Immer wieder muß ich daran denken, muß ich mir diesen Vorwurf machen, immer wieder frage ich mich: Warum habe ich ihn nicht aufgehalten, ihm etwas Versöhnliches gesagt? Warum habe ich ihm nicht einfach eingestanden, daß ich ihn liebe? Ja, jetzt, wo er fort ist, weiß ich es: Ich liebe dich, Siggi. Ich liebe dich! Doch damals war ich mir nicht sicher. Muß man immer erst etwas verlieren, bevor man erkennt, was es einem wert ist? Das ist so bitter.

      Das war nicht anders, als Mama starb. Sicher, ich war damals noch ein Kind, gerade erst sechs und so stolz, daß ich nun bald zur Schule gehen darf. Daß Mama krank war, das konnte ich wohl noch nicht wirklich begreifen. Ich war böse, daß sie plötzlich nicht mehr mit mir spielte. Ich war trotzig, weil ich ständig still sein sollte, um sie nicht zu stören. Ich habe ihr ihre letzten Wochen nicht leicht gemacht. Und ich habe sie doch so sehr geliebt!

      Danach, als es plötzlich schrecklich still war im Haus, als alle mit ernsten Gesichtern und dunklen Kleidern umherliefen, als plötzlich diese fremde Frau auftauchte, die Vater eingestellt hatte, um mich zu betreuen - da habe ich geweint und geweint, und was diese Frau dann erzählte vom Himmel und den Engeln und wie gut es Mama dort nun hätte und daß sie endlich gar keine Schmerzen mehr hätte - das hat mich kaum getröstet. Nur daß ich plötzlich auch sterben wollte, wenn es denn im Himmel so schön ist und wenn ich Mama dort wieder ganz für mich haben könnte - das hat dann alle schockiert. Aber möchte man nicht immer dort sein, wo das Liebste auch ist? Doch wo bist du, Siggi?

      Ich weiß: Damals haben sich alle Mühe gegeben mit diesem verstörten kleinen Mädchen, jeder auf seine Weise. Der Vater, der so wenig zärtlich sein konnte und dem es peinlich war, wenn ich auf seinen Schoß kletterte, um ihn zu umarmen. Der Bruder, der selbst Probleme genug hatte und wenig anfangen konnte mit einer Schwester, die zehn Jahre jünger war. Und auch die verschiedenen Gouvernanten, die Vater engagierte und die ich, eine nach der anderen, immer wieder hinausgraulte. Ich weiß, ich war eklig, und ich fühlte mich selbst auch so, ich fühlte mich furchtbar allein und wollte doch nicht, daß jemand Mama ersetzte, weil sie unersetzlich war.

      Nein, es war keine schöne Kindheit, obwohl Vater mir fast jeden Wunsch erfüllte. Aber die anderen Kinder in meiner Klasse hatten alle eine Mama, nur ich nicht. Deshalb habe ich sie gehaßt. Dabei hatten sie vieles nicht, was für mich selbstverständlich war, und um manches haben sie mich beneidet. Doch eines hatten sie - eine Mutter. Immer blieb ich so Außenseiterin, nicht nur, weil ich Kind aus reichem Hause war. Dabei war das in meinen Augen überhaupt kein Vorteil. Denn die anderen Kinder durften herumtoben, ich aber sollte stets brav sein. Den anderen machte es nichts aus, mit zerrissenem Zeug und schmutzig nach Hause zu kommen. Ich aber trug diese schicken Sachen, teuer und doch so bieder, und oft lachten sie mich aus, wenn ich wieder einmal so herausgeputzt in die Schule gehen mußte. Erst viel später habe ich mich durchgesetzt und durfte mir meine Klamotten selber kaufen, ohne mich um die hochgezogenen Brauen meiner Erzieherin zu kümmern. Ich habe sie provoziert, so oft ich nur konnte, das ist wahr.

      Auch Vater hat lange dazu gebraucht, mir die ersehnte Freiheit zu schenken, den goldenen Käfig zu öffnen, damit ich ausfliegen konnte. Und ich habe es dann genossen - vielleicht mehr, als mir gut tat. Alle die Jungs, mit denen ich schon früh loszog, eigentlich waren sie nur Staffage - und oft auch Opfer. Ich habe sie ausprobiert und abserviert. Kaum jemand von ihnen hat von selbst Schluß gemacht. Immer war ich es, der rasch nach einem Neuen Ausschau hielt. Dabei ging es nur selten um Sex - soweit ließ ich es meist garnicht erst kommen. Nicht, weil ich keine Lust verspürte, sondern weil das Unbekannte schon lockte, ehe das Alte ausgereizt war. Und wenn ich einen verführte - denn von ihnen verführen ließ ich mich nicht! - dann war da wenig Gefühl und ganz schnell nur noch Leere und Ekel.

      Was wollte ich eigentlich vom Leben? Spaß? Ja, auch. Doch jetzt weiß ich, daß man auf Dauer so nicht leben kann. Seit Siggi weiß ich es, obwohl es doch auch Spaß gemacht hat mit ihm. Nein, das ist jetzt nicht mehr das richtige Wort. Ich habe - ja, eine Art Glück empfunden, wenn er mich nahm. Er mich, und nicht ich den andern wie sonst.

      Er war manchmal komisch, das ist wahr. All seine Ausdrücke, sein Reden, seine Ansichten über die Welt - ich konnte oft wenig damit anfangen, und ich habe mich deshalb geschämt. Was wußte ich schon? Was wußte ich vom Leben, von der Wirklichkeit? Die Zeit in der Schule: da hat man nachgeplappert, was die Lehrerin hören wollte. Und es wieder vergessen. Es ist wohl wahr, daß ich oberflächlich war, genußsüchtig, eigensüchtig, und auch streitsüchtig. Jetzt weiß ich es. Und ich weiß auch, daß ich vieles versäumt habe - weggehört habe, wenn es um Probleme ging, wenn von Katastrophen geredet wurde, von Kriegen, Ausbeutung, Mißbrauch. Das waren alles Fremdwörter für mich.

      Und auch im letzten Jahr, in den ersten beiden Semestern drüben im nahen Mannheim, habe ich alles und nichts gehört. Irgendwo mußte ich mich einschreiben, natürlich, aber ich flog wie die Biene von Blume zu Blume, nippte überall ein wenig und verstand auch wenig. Es gab ja kein Ziel, für das sich die Anstrengung lohnte.

      Vater ließ mich gewähren, vielleicht aus Einsicht, vielleicht auch nur, weil ich für die Bank nicht gebraucht wurde, da gab es ja Günther. "Hör dich ruhig erst einmal um," sagte er, "du bist jung, du darfst suchen. Doch wenn du dich entschieden hast, dann mach was draus. Dann gib dir Mühe, beiß die Zähne zusammen und beiß dich durch. Es lohnt sich, etwas ernsthaft zu tun!"

      Jetzt könnte ich es, endlich, mit Siggis Hilfe. Aber er ist fort, einfach verschwunden. Immer wieder bin ich durch die Kneipen gezogen, in denen wir uns getroffen haben, er ist nirgends aufgetaucht, und ich bin auch keinem begegnet, der mir wenigstens Auskunft geben könnte, wo ich ihn finde, warum er nicht mehr da ist.

      Was weiß ich schon von ihm? Nur das eine: daß ich ihn liebe. Ist das denn so verrückt? Kann ich wieder bloß weinen und weinen?

      8. Der Ausweg

      Günther Niebel war in sein Arbeitszimmer zurückgekehrt, aber er ging nicht zu seinem Schreibtisch, sondern trat an das Fenster und schaute hinaus. Auf dieser Seite des Hauses war der Kranz der Bäume, die es umgaben, weiter zurückgetreten und gab so Raum für eine kreisrunde Rosenrabatte, umsäumt von einem geharkten Kiesweg, der einen Zugang zur Treppe von der Terrasse herab hatte. Eine Rasenfläche schloß sich an, in die weitere hochstämmige Rosenstöcke eingestreut waren. Günther liebte diesen Anblick, erinnerte er ihn doch an jene Zeit, als er dort als Kind herumgetollt war, mit der Schwester Versteck gespielt und - ja, das hatte er damals tatsächlich - von heldenhaften Abenteuern geträumt hat. Immer wieder hatte ihn der Blick aus dem Fenster beruhigt, wenn ihn komplizierte Sachverhalte oder unangenehme Telefonate aus dem Gleichgewicht zu bringen drohten.

      Heute aber reichte die Wirkung dieses Panoramas nicht aus. Das lag weniger an den Erkenntnissen, die Hagen nun zweimal vorgetragen hatte, als an den Unterlagen auf seinem Schreibtisch, die die Geldgeschäfte der letzten Zeit dokumentierten. Und es waren beunruhigende Nachrichten. Das Bankhaus Niebel war, verglichen mit den anderen Banken und ihren internationalen Verflechtungen, ein kleines Institut, angewiesen auf das Vertrauen von einigen Dutzend Großkunden, mittelständischen Unternehmen aus der Region und eine größere Zahl betuchter Privatanleger, die ihr Geld bei ihm sicher wußten. Und der Juniorchef war alles andere als ein Spekulant, der schnelle Gewinne anstrebte. Aber auch er hatte sich dem Trend nicht verschließen können, den Anlegern möglichst einträgliche


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