Das E-Commerce Buch. Alexander Graf
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Im Jahr 2000 öffnet Jeff Bezos mit dem Marktplatzkonzept Amazon Marketplace seinen Online-Shop für Drittanbieter, sowohl Händler als auch Endkunden. Somit sichert Amazon früh seine Marktposition im Marktplatzsegment und kann dem Kunden eine noch größere Auswahl und Informationstiefe bieten. Das Unternehmen kann bis 2002 den Jahresumsatz auf knappe 4 Milliarden US-Dollar steigern.15
Statt in die Produktbreite zu wachsen wie Amazon, konzentrieren sich die meisten Online-Händler auf konkrete Kategorien. Man geht davon aus, dass bald jedes Sortiment einen Champion haben wird, der hier den Marktanteil dominieren wird – Modelle wie Zappos in den USA, AO World im Vereinigten Königreich und MyToys in Deutschland entstehen.
2002 gewinnen vor allem die Intermediäre. Das über den Preis gesteuerte Kaufverhalten der Online-Kunden beflügelt Preissuchmaschinen über alle Kategorien hinweg. Der deutsche Preisvergleichsanbieter Dooyoo.de beispielsweise stockt seine sechs Mitarbeiter bis 2002 auf 170 auf16 und Google startet seine eigene Produktsuche Google Shopping, die damals noch Froogle heißt.17
Auch die Katalogversender sind im neuen Jahrtausend angekommen und rüsten in Sachen E-Commerce ordentlich auf beziehungsweise nach. In den USA hatten die traditionellen Kataloghändler vorerst stark in die stationäre Expansion investiert, erkennen Anfang des Jahrtausends aber auch die Synergien des E-Commerce mit dem bestehenden Kataloggeschäft. Die drei deutschen Riesen Quelle, Neckermann und Otto bieten nun alle ihr Katalogsortiment auch online an. Vorreiter Otto Group verbucht 2002 einen Online-Umsatz von 1,7 Milliarden Euro, 56 Prozent über dem Umsatzniveau des Vorjahres.18
Der stationäre Handel spürt die Bedrohung des E-Commerce mehr und mehr. Als Antwort experimentieren große Einzelhändler wie Target (USA) und Thalia (D) mit dem E-Commerce und erstellen eigene Online-Konzepte. Bei Macy’s und Tchibo ist der Online-Handel 2002 bereits etablierter Teil der Kundenansprache.19
Hersteller sehen sich durch den Online-Handel immer weiter in die Enge getrieben. Die neuen Verkaufskonzepte passen nicht in die Distributionsstrategie vieler Marken. Vor allem die geringen Margen im E-Commerce und der Kontrollverlust über die unzähligen Online-Angebote setzen Hersteller zunehmend unter Druck. So können Ebay-Powerseller beispielsweise im Großhandel Markenturnschuhe (Adidas, Nike, Asics) einkaufen und auf der Auktionsplattform deutlich unter regulären Einzelhandelspreisen, durch schlanke Kostenstrukturen aber dennoch gewinnbringend verkaufen.20 Der damit verbundene Preisverfall der Markenprodukte stellt die Hersteller vor eine große Herausforderung.
2007: Online-Euphorie
Missverständnis Erlebnis
„We see that Internet and e-commerce is growing, but at the same time, when buying a new bed, a lot of people want to try it first; and if you buy a sofa, you may want to touch the fabric.“
Peter Agnefjäll, CEO IKEA 21
Zwischen 2002 und 2007 verbucht der E-Commerce einen weiteren großen Wachstumsschub und wächst auf einen Jahresumsatz von 136 Milliarden Dollar in den USA22 und 18 Milliarden Euro in Deutschland.23 Mit einem Online-Käuferanteil von 60 Prozent verdoppelt der E-Commerce seine Reichweite seit 2002 (hier lag der Anteil bei 30 Prozent) und verzeichnet ein starkes Wachstum an Neukunden.24 Zudem bestellen Kunden nicht mehr nur Bücher und Kleidung – auch große Anschaffungen wie Möbel und Großelektronik werden online getätigt. Dank ausführlicher Online-Beratung, Kundenbewertungssystemen und immer attraktiverer Produktdarstellung wird der Kunde nun auch online ausgiebig beraten und informiert. Ein anderes folgenreiches Internetphänomen wird zunehmend deutlich. Eine Handvoll Champions setzt sich durch und penetriert den Online-Handel. Diese Champions heißen 2007 vor allem Amazon, Ebay und Google. Besonders Amazon weist beispiellose Umsatz-Wachstumsraten vor, der Umsatz steigt bis 2007 auf beeindruckende 15 Milliarden US-Dollar.
Abbildung 1.2 erklärt, wie Amazon es schafft, nachhaltig den Markt zu dominieren: Am Anfang steht die große Auswahl an Produkten (Selection). Das schafft ein positives Kundenerlebnis (Customer Experience), welches durch hohe Wiederkaufraten und Weiterempfehlung die Besucherzahlen (Traffic) erhöht. Hat Amazon viele Besucher, so ist das Angebot zudem besonders attraktiv für Drittverkäufer beziehungsweise Marken/Hersteller (Sellers), die entsprechend das Angebot auf Amazon Marketplace erweitern. Dieser positive Kreislauf stärkt Amazons Wachstum (Growth). Diese Regel gilt gleichermaßen für jeden Marktplatz, doch bei dem Online-Riesen kommt eine Besonderheit in der Strategie hinzu: Anstatt das Wachstum zu nutzen, um mit hohen Margen möglichst profitabel am Markt zu agieren, nutzt Amazon die hohen Verkaufsmengen, um seine Kosten (Lower Cost Structure) und folglich auch die Preise (Lower Prices) für die Kunden möglichst niedrig zu halten, und kurbelt somit den Wachstumskreislauf weiter an. Amazon sichert sich damit einen permanenten Wettbewerbsvorteil und agiert mit dieser Strategie weniger wie ein Marktplatz, sondern mehr wie ein besonders effizienter Großhändler. Es zeigt sich ebenfalls, dass diese „Großhandelsstrategie“ zwar stationär in jeder Stadt funktioniert, im Internet jedoch – losgelöst von der Notwendigkeit regionaler Erreichbarkeit und Nähe zum Kunden – nur Platz für einen Champion pro Land beziehungsweise Region ist.
Abbildung 1.2: Amazons Virtuous Cycle
Quelle: nach Jeff Bezos, 2001
Ein weiteres Ass im Ärmel hat Jeff Bezos mit dem Prime-Service von Amazon: Seit 2004 steht Prime-Mitgliedern für 79 US-Dollar im Jahr das Two-Day-Shipping ohne weitere Kosten zur Verfügung. Obwohl Amazon hier pro Lieferung circa 8 Dollar an Logistikkosten verliert, erweist Prime sich als einer der größten Wachstumstreiber Amazons. Bezos stellt dazu ganz klar fest: „It was never about the $79. It was really about changing people’s mentality so they wouldn’t shop anywhere else.“25
Auch die sich anbahnende Rezession (2007–2009) nimmt für Amazon einen günstigen Verlauf. Viele Wettbewerber gehen angesichts des wirtschaftlichen Abschwungs auf Sparflamme, Kunden werden preissensibler – Amazon investiert weiter in günstige Preise und Wachstum.26
Insight
Bezeichnend für diese Phase ist der massive Investitionsdruck in sogenannte „Category-Killer“. Jedes Segment, jedes Sortiment wird aus Sicht der Investoren von einem dort beheimateten Marktführer dominiert. Für den Bereich Elektronik kann das Newegg sein, Fahrräder dominiert fahrrad.de und im Segment Möbel ist Wayfair klarer Category-Leader. 2007 sind die Umsätze im Online-Handel noch relativ stark über verschiedene Konzepte verteilt und der Siegeszug der Marktplätze ist noch nicht absehbar. Insbesondere ungenutzte Potenziale