Das E-Commerce Buch. Alexander Graf
Читать онлайн книгу.vor allem die Verkaufspreise. Kartellrechtlich ist das allerdings nicht immer einfach umzusetzen. Vor allem aber steigen Marken zunehmend in den Direktvertrieb ein und behalten so die Kontrolle, ohne Online-Umsätze zu verpassen. Diese neue Nähe zum Endkunden hilft vielen Herstellern, direktes Kundenfeedback zur Produktentwicklung zu nutzen.
2015: Der stationäre Handel leidet
Missverständnis Stationär
„I believe the rebirth of retail will come as developers, retailers and cities understand the retail paradigm of the future is based on something timeless and enduring.“
Rick Caruso, CEO Caruso Affiliated in einer Pressemitteilung 40
2015 erreicht der E-Commerce einen Rekordumsatz von 348 Milliarden Dollar in den USA sowie 57 Milliarden Euro in Deutschland. Damit übersteigt das E-Commerce-Wachstum seit Jahren das Wachstum des Einzelhandels insgesamt. In den USA beispielsweise wächst der E-Commerce 2015 je nach Quellen um etwa 11 bis 15 Prozent, wobei der Einzelhandel nur um 3,7 Prozent ansteigt. Der Trend hält an: 2018 beträgt der Anteil von E-Commerce am US-Einzelhandel insgesamt erstmals 10 Prozent.41 In Deutschland legt der Online-Handel ebenfalls weiterhin kräftig zu, während stationäre Händler in die Röhre schauen: Im Vergleich zum Vorjahr halbiert sich das Wachstum für Letztere auf 1,8 Prozent, was inflationsbereinigt einer Nullrunde gleichkommt. Im selben Zeitraum macht der E-Commerce ein Plus von 10 Prozent und setzt gute 60 Milliarden Euro um.42
Die Marktverschiebung hin zum E-Commerce ab 2015 zeigt sich außerdem im immer schneller sinkenden Foot Traffic, den der Einzelhandel bereits seit Jahren verzeichnet. In den USA sehen beispielsweise die stationären Einzelhändler allein in den letzten vier Quartalen bis 2015 einen Rückgang an Ladenbesuchern von 6,5 Prozent (siehe Abbildung 1.8). In Deutschland kommt der Trend etwas verspätet, aber mit ähnlicher Wucht an, als 2019 klar wird, dass es Einzelhändler hierzulande mit einem Rückgang von 4,5 Prozent in nur zwei Jahren zu tun haben.43 Es häufen sich die Sparrunden und Insolvenzen: Gerry Weber, Esprit, Bree. Aus purer Verzweiflung fusionieren die zwei größten (und als einzige noch vorhandenen) Kaufhausketten Karstadt und Galeria Kaufhof.
Abbildung 1.6: Jährliche E-Commerce-Umsätze, USA
Quelle: US Department of Commerce, eMarketer, Internet Retailer, Statista Market Outlook de.statista.com/outlook/243/ecommerce
Abbildung 1.7: Jährlicher E-Commerce-Umsatz, Deutschland
Quelle: BEVH, Statista Market Outlook de.statista.com/outlook/243/ecommerce
Abbildung 1.8: Veränderung der Kundenfrequenz der Laufkundschaft in den USA im Verlauf des Jahres (im Quartal)
Quelle: S. Banjo, The Internet Can’t Save Retail, www.bloomberg.com
Dabei wird ab 2015 deutlicher denn je, wie sehr der Online-Riese Amazon den Retail-Wandel dominiert. So berichtet beispielsweise Channeladvisor, dass Amazon zwischen 40 und 60 Prozent der US-amerikanischen Online-Umsätze verbucht.44 In Deutschland kommen die Berechnungen auf 30 bis 50 Prozent.45 Das Umsatzvolumen der 20 nächstgroßen Online-Retailer ist in Summe immer noch geringer als der Umsatz Amazons.46 Die Entwicklungen hat Amazon zum großen Teil einem neuen Kundenverhalten zu verdanken, das wir im Folgenden „Amazon Commerce“ nennen. Das Phänomen wird stark von Amazon forciert und beschreibt ein komplett neues Kaufverhalten, das sich nicht mehr an Anbietern oder konkreten Produkten orientiert, sondern allein am Zweck (oder auch Nutzen), den das gewünschte Produkt erfüllen soll. So ein Kunde ist beispielsweise einer der über 50 Millionen Prime-Kunden, die bei zweckgetriebenen Einkäufen direkt über Amazon bestellen, oftmals ohne Preise oder Serviceangebote anderer Anbieter zu vergleichen. Vor allem in wenig emotionalen Produktkategorien wie Technik oder Gebrauchsgegenständen ist dieses Verhalten zu beobachten.
Amazon scheint heute nicht mehr aufzuhalten zu sein, und entsprechend reagiert auch die Börse, die den Online-Retailer seit Juli 2015 höher bewertet als den Retail-Giganten Walmart. 2018 überschreitet die Amazon-Aktie die magische Grenze von 2000 US-Dollar. Nicht nur Walmart spürt die Folgen – sowohl offline als auch online geraten Retailer zunehmend in Bedrängnis. Beispielsweise verliert BestBuy 2015 weiterhin Umsätze,47 Radioshack geht in die Insolvenz48 und die wenige Jahre früher als Einhorn mit über 1 Milliarde Dollar bewertete Gilt Groupe geht 2016 für 250 Millionen an die Hudson Bay Company. Der einst als möglicher Amazon-Herausforderer gehandelte Jet sucht im selben Jahr Unterschlupf – und findet ihn bei Walmart, der alles versucht, online verlorenes Terrain zurückzugewinnen.
Abbildung 1.9: Kaufprozess im Vergleich – Stationär und E-Commerce und Amazon
Quelle: Eigene Darstellung in Bezug auf B. Schäfers, Social Shopping für Mode, Wohnen und Lifestyle am Beispiel Smatch.com in Web-Exzellenz im E-Commerce, Gabler, S. 313
Einige weitere Entwicklungen, die der nun 20-jährige E-Commerce mit sich bringt, werden ab 2015 ebenfalls besonders deutlich:
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