Head Game. Kendran Brooks
Читать онлайн книгу.dort mehr als eine wichtige Neuigkeit auf oder fanden gute Gelegenheiten, neue und nützliche Kontakte zu knüpfen.
Womöglich waren ihre Albträume bloß die Vergeltung für ihre fehlende Religiosität? Eine Art von Prüfung? Wie ein Warnschuss, endlich umzukehren und den Rest ihres Lebens einem Gott zu widmen? Fromm zu werden?
Sihena lachte auf, kurz und böse.
Nein, sie war sich ziemlich sicher. Ihre Albträume mussten weit tiefere, aber auch direktere Gründe haben. Denn warum schlief sie erst seit wenigen Monaten derart schlecht, wachte jede zweite oder dritte Nacht völlig aufgelöst auf, rief manchmal nach ihrer Mutter oder sah zumindest ihr Gesicht vor Augen, sobald sie einigermaßen bei Bewusstsein war?
An Schlaf war in dieser Nacht nicht mehr zu denken und so stand die chinesisch-stämmige Brasilianerin seufzend auf, ging hinüber ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Ihr welker Körper mit den tief gegen den flachen Bauch herabhängenden, schlaffen Brüsten war immer noch schlank, wirkte beinahe knabenhaft. Ihr Bauch zierten allerdings lange Narben, Zeugnisse der Kaiserschnitte, mit deren sie alle ihre Kinder zur Welt gebracht hatte, um sich nicht ihr schmales Becken bei der Geburt zu ruinieren. Auch in dieser Beziehung war sie ganz Brasilianerin geworden.
Sie seifte sich mehrmals ein, wusch sich auch das kurz geschnittene Haar. Früher trug sie es länger, bis hinunter zur Schulter. Doch seit etwa zwei Jahren konnte sie ihre Arme kaum mehr richtig hinter ihren Kopf heben, um die Frisur zu richten. Die Gelenke schmerzten einfach zu sehr, schienen zunehmend steif zu werden. Sie nahm entzündungshemmende Medikamente dagegen. Denn eine Operation kam für sie nicht in Frage. Zu viele ihrer Bekannten hatten sich mit ähnlichen Beschwerden unters Messer gelegt und sich ihre Schultergelenke von irgendeinem pfuschenden Chirurgen versauen lassen. Einigen hatte der Eingriff zwar ein wenig Besserung oder zumindest Linderung gebracht. Die meisten jedoch klagten über andauernde und sogar weit schlimmere Schmerzen als zuvor, über plötzlich fehlende Kräfte in ihren Armen oder dass ihnen fortwährend die Hände einschliefen.
Doch das Kämmen der Haare war ihr über die Monate immer schwerer gefallen und eine Kurzhaarfrisur darum der logische Ausweg.
Als sie aus der Dusche trat und sich mit dem Badetuch trocken rubbelte, betrachtete sich Sihena kritisch im großen Spiegel über dem Doppelwaschbecken. Nein, sie war keine Augenweide mehr. Ihre Nippel zeigten auf den Boden, ihre zwar weiterhin schlanken Oberschenkel wiesen trotz all dem Schattenboxen und Yoga viel Orangenhaut auf. Vor allem störte sie sich aber an ihren Händen, die sie vor dem Spiegel hin und her bewegte und sie ausgiebig von allen Seiten betrachtete. Früher war sie immer sehr stolz auf die beiden gewesen, denn Sihena besaß recht lange Finger, für eine Chinesin, setzte sie auch gekonnt in Szene, wischte sich beispielsweise gedankenverloren eine Strähne aus der Stirn oder spielte an einer langen Perlenkette. Doch nun zogen sich dicke, blaue Adern über ihre Handrücken und die Fingergelenke schienen allesamt entzündet und verdickt.
»Nicht einmal sie sind mir noch geblieben«, jammerte die über Sechzigjährige sich selbst im Spiegelbild vor, dachte gleichzeitig an ihre Kinder und deren Partner, auch an ihre Enkel und zuletzt sogar an ihren Ex-Ehemann Zenweih, der sie nicht nur verließ, der sich auch von ihr hatte scheiden lassen und sie wenig später ausbezahlte, ihr die Hälfte der Restaurant-Kette abkaufte, nur um sie endlich und endgültig und für alle Zeiten los zu sein.
Auch Sihena hatte bereits von der Affäre ihres Ex-Gatten mit diesem viel jüngeren Flittchen, einem ehemaligen Fotomodell und Beinahe-Miss-Brasilia, erfahren. Ein alter Mann gönnte sich eine junge Hure. Was für die Männer in diesem katholischen Land etwas völlig Normales schien, war für eine Frau immer noch eine Beinahe-Unmöglichkeit. Sihena hatte es trotzdem zumindest einmal versucht und sich einen wesentlich jüngeren Liebhaber genommen, wollte ihn offiziell in die gute Gesellschaft einführen. Doch das kam schlecht an bei ihren Bekannten. Man begann sie unverzüglich zu meiden, lud sie nirgendwo mehr ein, isolierte sie völlig. Also stieß sie diesen Carlos Ferrera von ihrer Bettkante, wollte so das Bisschen an Würde und Ansehen retten, das ihr noch geblieben war.
Zumindest ein paar ihrer Bekannten lenkten daraufhin rasch ein, nahmen sie wieder in ihren Kreis auf. Andere jedoch zeigten ihr bis heute die kalte Schulter, diese verfluchten Heuchler.
»Was, verdammt noch mal, ist denn bei Männern so viel anders als bei uns Frauen? Wieso dürfen Kerle sich vergnügen, wie sie nur wollen, erhalten dazu auch noch Beifall von allen Seiten, und wenn sich eine Frau dasselbe Recht herausnimmt, wird sie geschnitten und muss zu Kreuze kriechen. Was ist das bloß für eine scheinheilige Welt, die sich diese verdammten Katholiken hier geschaffen haben? In die sie sich regelrecht selbst einsperren?«
Sie fühlte sich zornig, war aufgebracht, zitterte vor Wut am ganzen Körper.
Oder doch eher vor Ohnmacht?
Langsam beruhigte sie sich wieder, schaute sich erneut musternd und prüfend im Spiegel an, drehte sich nach links, dann nach rechts. Ihre Haut war tief gebräunt, fühlte sich auch samtig weich an. Gute Pflegeprodukte und lange Sonnenbäder waren nun einmal das A und O eines attraktiven Aussehens. Und es gab durchaus noch viele geile alte Böcke, die noch so gerne mit ihr ins Bett gestiegen wären. Da war sich Sihena sicher, auch wenn auf den Partys ihrer Bekannten nur noch mit ihr geflirtet wurde. Doch sie konnte die Blicke der Männer immer noch lesen, auch wenn sich die meisten von ihnen vordergründig unnahbar, manchmal sogar zynisch abweisend gaben.
Mit den Ehemännern von zwei ihrer besseren Bekannten hatte sie tatsächlich geschlafen. Allerdings war das bereits viele Jahre her, kurz nachdem sie von den ersten Eskapaden ihres Gatten Zenweih erfahren hatte. Rache-Sex nannte man das wohl und Sihena hatte kein Bisschen Spaß dabei empfunden, weder als Vorfreude noch währenddessen oder hinterher. Im Gegenteil. Danach fühlte sie sich bloß benutzt und entwertet.
Schon seltsam, dass Frauen für Männer stets wie weitere Trophäen waren, während die Frauen bei Seitensprüngen eigentlich immer nur verloren? »It´s A Man´s World«, hatte James Brown einst gesungen und sich darüber beklagt, dass es zwar ohne Frauen und Mädchen keinen einzigen Menschen auf dieser Erde gäbe, dass das Weibliche trotzdem nicht gleichberechtigt neben dem Männlichen stand.
»Du weißt, dass der Mann Geld macht,« »um von anderen Männern zu kaufen.«
Sihena ging hinüber in ihr Ankleidezimmer, warf sich dort einen leichten Bademantel aus Seide über, blickte auf den Radiowecker auf dem Nachttisch. Es war halb sechs Uhr früh. Ihre beiden weiblichen Angestellten, die Köchin Marta und das Dienstmädchen Naara würden erst gegen sieben hier auftauchen. Sollte sie hinuntergehen und sich zwei Stockwerke tiefer in der Küche selbst einen Espresso zubereiten? Lust auf einen verspürte sie und so entschloss sie sich.
Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln und stieg die Stufen hinunter, durchsuchte in der Küche die Schränke, fand endlich, wonach sie suchte, nämlich eine kleine, etwas fleckige italienische Espresso-Kanne aus Aluminium. Sie schraubte sie auf und schnüffelte am feinlöchrigen Siebeinsatz. Der roch komisch metallisch. Bestimmt war das Teil schon seit vielen Jahren von niemandem mehr benutzt worden. Sihena spülte die Kanne mit heißem Wasser mehrmals gründlich aus, füllte dann die untere Hälfte mit kaltem, holte aus dem Kühlschrank das Espresso-Pulver und füllte den Einsatz randvoll und stülpte das Sieb darüber, montierte das Oberteil des Krugs auf die Becherhälfte, stellte die Kanne auf den Gasherd und schaltete diesen ein.
Mit einem leisen »Blopp« entzündete sich die Flamme, leckte züngelnd nach dem Boden der Aluminium-Kanne.
Sihena holte sich eine Espresso-Tasse mit passendem Unterteller aus dem großen Geschirrschrank, stellte sie erwartungsvoll auf den Küchentisch.
Wie viele Jahre war sie nicht mehr hier unten gewesen? Ein paar Szenen kamen ihr in den Sinn, Begegnungen mit ihren Angestellten, dabei keine einzige erfreuliche. Denn das faule Pack musste schon immer und beständig angetrieben werden. Ansonsten hätten die beiden eh nur herumgesessen und Däumchen gedreht. Ohne ihre Umsicht wäre die Villa doch unweigerlich verlottert. Genauso wie Sihena stets die Angestellten in den Restaurant-Betrieben im Griff behalten hatte, befehligte sie auch ihren Hausstand, mit harter und doch äußerst geschickter und oftmals auch gerechter Hand.
Etwas wie Stolz umspielte