Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.Er war zum Capitain hingegangen und sagte leise:
„Lieber wär' es mir, der Schotte führ' mit hinüber - ich verstehe die Sprache der Leute nicht."
„Sie müssen schon sehen, wie Sie durchkommen," entgegnete ihm eben so leise der Capitain. „Der Schotte bleibt an Bord - setzen Sie den dritten Harpunier, Mr. Elgers, davon in Kenntniß."
Der Harpunier erwiderte nichts darauf, aber der überraschte Blick desselben, der fast unwillkürlich nach dem Schotten hinüberflog, wurde von diesem eben so schnell aufgefaßt und verstanden, und wie mit einem Messer stach dem armen Teufel das Bewußtsein der Gefahr in's Herz, der er sich hier plötzlich ganz freiwillig preisgegeben. - Aber der Capitain durfte doch auch nicht wagen, jetzt noch, nach so langen Jahren Gewalt gegen ihn zu brauchen. - Und wenn er es doch that? Wer hier auf der weiten See sollte ihn daran verhindern oder sich des Schutzlosen annehmen?
Mißtrauisch überlief sein Blick das Deck, aber er hütete sich wohl, die mindeste Furcht zu zeigen. Dabei konnte es ihm jedoch nicht entgehen, daß der erste Harpunier, ehe er in das Boot stieg, rasch ein paar Worte mit dem dritten Harpunier wechselte, und dieser warf ebenfalls einen überraschten, flüchtigen Blick nach ihm hinüber. Er wußte jetzt, er war ein Gefangener - aber was jetzt thun? An Flucht mit dem Canoe war nicht zu denken - er hatte vorher schon gesehen, wie viel rascher die Seeleute mit dem schwer mit Früchten /27/ beladenen Walfischboot gefahren waren; das leichte leere Boot hätte sie eingeholt, ehe sie zwei Schiffslängen entfernt gewesen wären. Gewaltsame Befreiung? An dieser Seite der Insel lagen nur drei Canoes, und was hätten die unbewaffneten Indianer, selbst wenn sie sich seinethalben hätten schlagen wollen, gegen die Mannschaft eines Walfischfängers ausrichten können? - Die einzige Möglichkeit blieb, die Eingeborenen zu veranlassen, die Mannschaft der beiden Boote, oder wenigstens nur die Officiere gewissermaßen als Geißeln zurückzuhalten, bis er selber ausgeliefert wäre; aber dann mußte er das Canoe jetzt fort und an's Land schicken.
Der Capitain hatte ebenfalls hinten am Steuer mit dem dritten Harpunier gesprochen und stieg jetzt in seine Kajüte nieder, den früheren Ausreißer scheinbar sich selbst überlassend und vollkommen frei. Tom kannte aber viel zu gut die strenge Subordination eines Walfischfängers, wo besonders der Ruf zu den Booten im Nu ausgeführt wurde. Die einzige Möglichkeit einer Rettung blieb in der That noch das Festnehmen der Officiere am Ufer, und als Tom das erst einmal erkannt, beschloß er auch, es so rasch wie möglich auszuführen.
Alohi lehnte, seine Cigarre rauchend und mit keiner Ahnung der Gefahr, die dem Gatten seiner Schwester drohte, an Bord und betrachtete sich mit besonderer Aufmerksamkeit das künstliche durcheinander schießende Tauwerk des Schiffes, welches ihm jedenfalls das größte Interesse bot. Tom näherte sich ihm und sagte mit gedämpfter, aber nichtsdestoweniger ängstlich gepreßter Stimme:
„Alohi - die weißen Männer wollen Tomo an Bord behalten."
„Ati!" rief Alohi erstaunt.
„Ruhig! Laß Niemand merken, daß ich Dir ein Wort davon gesagt, aber wenn Du von mir den Befehl erhältst, an Land zu rudern, so thue das, so rasch Ihr das Canoe vorwärts treiben könnt. Versichert Euch dort augenblicklich des Mannes der heute Morgen die Matrosen hinüberbrachte, schafft ihn in's Innere und gebt ihn nicht heraus, bis ich wieder an Land und in Eurer Mitte bin." /28/
„Matoi!" sagte der junge Bursch, dessen Augen in dem willkommenen Auftrag leuchteten, „soll ich jetzt gehen?"
Tom warf einen Blick nach der Schanze zurück. Der dritte Harpunier lehnte über Bord und schien gar nicht auf ihn zu achten - wenn nun sein Verdacht ungegründet war? - Aber er gab sich dieser Täuschung nicht lange hin, denn er kannte seine Leute.
„Ich werde zu dem Mann dort hinten gehen und mit ihm sprechen," sagte er jetzt wieder. „Sobald er nicht mehr über Bord sieht, stößt Du ab und ruderst langsam hinüber. Erst wenn Ihr den Eingang der Riffe erreicht habt, - denn mit dem Vorsprung können sie Euch nicht wieder einholen, - mache Dein Canoe über das Wasser fliegen."
„Aber warum fährst Du nicht lieber gleich mit?" fragte der Indianer erstaunt, „es hält Dich Niemand."
„Jetzt nicht - aber der Befehl ist schon gegeben, mich nicht von Bord zu lassen. Daß Ihr glücklich an Land kommt, ist die einzige Möglichkeit, mich noch zu retten."
Der Indianer erwiderte weiter kein Wort, und Tom wandte sich ebenfalls langsam von ihm ab und schritt dem hintern Deck zu, auf dem der Harpunier noch immer über Bord lehnte.
„Seid Ihr recht glücklich gewesen, Sir, auf Eurer letzten Fahrt?" knüpfte hier Tom ein Gespräch mit ihm an; „das Schiff muß schon eine hübsche Ladung einhaben, es liegt ziemlich tief im Wasser."
„Es geht an," antwortete ihm der Harpunier, indem er sich zu dem Frager umdrehte. „Wir haben schon etwas über 3000 Tonnen Thran ein, und etwa 50,000 Pfund Barten. Wenn sich's nur Halbwege macht, können wir in der nächsten Jahreszeit voll werden. - Es ist auch Zeit," setzte er dann mürrisch hinzu, „wir treiben uns nun schon fast drei Jahre hier draußen herum."
„Das ist recht lange," sagte Tom, mit dem Kopf nickend, „da wird Mancher an Bord das Heimweh bekommen haben, Ich weiß nicht - wenn man erst einmal eine Zeit lang an Land ist -"
„Sagt einmal den Leuten dort in dem Canoe, daß sie /29/ nicht abstoßen," unterbrach ihn da der Harpunier, indem er den Blick wieder über Bord warf. „Der Capitain hat befohlen, daß sie warten, bis die Holzboote zurück sind."
„Das Canoe? Der Capitain hat, so viel ich weiß, dem wohl nichts zu befehlen," erwiderte Tom, dem das Blut in's Gesicht schoß.
„An Bord, wißt Ihr, Kamerad, hat ein Capitain wohl so ziemlich über Alles zu befehlen," erwiderte der Harpunier ruhig. „Bitte, ruft die Leute zurück - Ihr wißt recht gut, daß sie das Walfischboot in ein paar Minuten wieder einholen würde. Was sollen sie an Land?"
„Sie wollen, so viel ich weiß, noch mehr Früchte holen."
„Das ist unnütz, die Boote bringen schon Alles mit, was wir noch etwa brauchen könnten. Seid vernünftig, Freund, und ruft sie zurück! - Dritte Bootsmannschaft, steht bei Eurem Boot!" rief er zugleich mit lauter, aber vollkommen ruhiger Stimme über Deck, und die Leute, mit dem Bootsteuerer an der Spitze, standen wenige Minuten später an den Fallen, an denen das kleine Fahrzeug unter seinen Krahnen hing. - Es bedurfte nur noch eines Wortes oder Zeichens, und es glitt auf das Wasser nieder.
Tom sah ein, daß ihm dieser Ausweg abgeschnitten sei, aber er wollte es noch nicht zum Aeußersten kommen lassen.
„Alohi!" rief er mit einem eigenthümlichen schrillen Ruf über das Wasser hinüber dem kaum hundert Schritt entfernten Canoe nach. Die Indianer, die drin ruderten, drehten den Kopf nach ihm um. - „Kommt an Bord zurück!" - Die Eingeborenen ließen die Ruder im Wasser, zögerten aber noch dem Befehl Folge zu leisten.
„Kommt zurück!" rief Tom noch einmal, „aber legt nicht an Bord an, sondern haltet Euch nur dicht neben dem Schiff."
Er hatte einen neuen Plan gefaßt, so verzweifelt dessen Ausführung ihm auch selber schien. Die Indianer gehorchten jetzt, und der Harpunier, die Bootsmannschaft wieder an ihre Arbeit schickend, lehnte sich wie vorher nachlässig an die Schanz-
kleidung des Schiffs.
„Ihr werdet begreiflich finden, Sir," sagte der Schotte endlich, der entschlossen war, zu wissen wie er mit dem Schiffe /30/ stand, „daß ich nicht recht einsehe, weshalb Ihr das Canoe verhindern wollt, zu gehen wohin es ihm beliebt."
„Und wollt Ihr denn nicht wieder mit dem Canoe zurückfahren?" lächelte der Seemann.
„Allerdings will ich das."
„Nun gut, dann dürfen wir es doch nicht von Bord lassen. Glaubt Ihr, daß Euch der Capitain in einem seiner Boote an Land fahren ließe?"
„Ihr weicht mir nicht aus, Sir - welcher Befehl ist Euch über mich gegeben?"
„Welcher Befehl? - Keiner als der, Euch und die Indianer nicht vom Bord zu lassen, bis Ihr das Geld für das Holz in Empfang genommen habt."
Tom