Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.Gefahr, in der er sich jetzt befand, auf die Stirn. Er biß die Unterlippe zwischen die Zähne und wandte sich, die Arme fest verschränkend, von dem Harpunier ab, daß dieser seine aufsteigende Bewegung nicht bemerken sollte. Nur eine Hoffnung, nur eine Aussicht zur Flucht blieb ihm noch. Wenn es ihm gelang, das eine noch unter den Krahnen hängende Walfischboot leck zu machen, daß sie ihm nicht mit dem folgen konnten, durfte er hoffen mit dem Canoe zu entkommen. Die anderen beiden Boote hatten das Land schon erreicht, und kurze Zeit reichte hin, sie mit Holz zu füllen. Dann waren sie aber auch zu schwerfällig, um eine Jagd unternehmen zu können, und außerdem wußte er eine andere Einfahrt in die Riffe, die, in sich selbst geschlossen, aus dem dortigen Binnenwasser nicht einmal erreicht werden konnte.
Hier galt es jetzt das Aeußerste zu wagen; der Feind durfte aber auch keinen Verdacht fassen, sein Plan wäre ihm sonst gleich von vornherein vereitelt worden. Langsam ging er deshalb wieder mehr nach vorn, von wo er seinem Schwager die nächsten Verhaltungsregeln zurufen und ihn von dem, was er beabsichtigte, in Kenntniß setzen konnte. Die Einfahrt in die Riffe, aus der sie herausgekommen, war etwa der halbe Weg zwischen dem Land nnd dem Schiff, und allerdings mußte er dort ziemlich nahe vorbei. In den Booten konnten /31/sich aber die Leute, wenn sie Holz geladen hatten, nicht so gut bewegen; nur deshalb die Einfahrt passirt, und er brauchte kaum zu fürchten, daß er noch eingeholt werde. Außerdem lag noch ein Ruder im Canoe, und Drei, wenn es galt, konnten das leichte kleine Fahrzeug auch wohl rascher vorwärts treiben, als es vorhin geschehen war.
Das Herz schlug ihm, als ob es die Brust zerschmettern wolle, aber er biß die Zähne fest zusammen, und wieder zum Schanzdeck zurückschreitend, ging er dort, als ob er jetzt gesonnen wäre die Rückkunft der Boote ruhig abzuwarten, langsam auf und ab.
Der Harpunier hatte sich indessen ebenfalls aus seiner lehnenden Stellung aufgerichtet und war zu Backbord, wo das Boot unter den Krahnen hing, auf und ab gegangen. Ein Blick, den er über Bord warf, überzeugte ihn, daß die Indianer ruhig in ihrem Canoe saßen und nur langsam mit der Strömung zurücktrieben. Das Schiff hatte seine großen Segel auf, die Brise war aber so schwach, daß sie eben die Strömung der Fluth stemmten und sich etwa auf einer Stelle hielten.
Der Wind hatte ein klein wenig aufgeräumt, und es war nöthig geworden die Brassen zu Starbrod etwas anzuziehen - der Harpunier ging dort hinüber und rief die Mannschaften. - Das war der entscheidende Moment. - Tom stand dicht neben dem Walfischboot - mit einem Satz war er auf der Schanzkleidung, hatte das in jedem unter den Krahnen hängenden Boot vorn befestigte Handbeil ergriffen und herausgerissen, und ein einziger Schlag an das scharf angespannte Tau oder Fall, das es auf dieser Seite hielt, machte, daß es, während es hinten noch gehalten wurde, vorn herunter und gegen den Schiffsbord anschlug.
„Hierher - Alle! - Hülfe! hierher!" schrie der Harpunier und sprang selber, eine Handspeiche aufgreifend, auf den kecken Schotten zu - aber er kam zu spät. Mit einem Satz die Schanzkleidung entlang war Tom am andern Krahn, ein Schlag seines haarscharfen Tomahawks traf in die dünnen Planken des so schon durch den Sturz arg beschädigten Bootes, und das Beil war so tief hineingefahren, daß er es nicht einmal mit demselben Ruck wieder heraus bekommen konnte. Daran lag ihm aber auch nichts; in der Vertheidigung suchte er seine Rettung nicht, nur in der Flucht. Mit weitem Sprung deshalb von der Schanzkleidung nieder über Bord, sank er im nächsten Moment schon in die blaue, über ihm zusammenschlagende Fluth, kaum zwanzig Schritt von dem Canoe hinein, das jetzt mit Blitzesschnelle nach ihm hinüber hielt.
Wilde Flüche und Verwünschungen schallten hinter ihm drein von Bord. Während der Capitain aber an Deck sprang und die Bootsmannschaft nach dem zertrümmerten Boote flog, um es so rasch wie möglich wieder aufzuholen und in Stand zu setzen, zog der dritte Harpunier - der recht gut einsah, wie klug der Flüchtling seine Lage überschaut und seine Aussicht berechnet hatte - die unter die Gaffel niedergeholte Flagge auf. Dadurch gab er ein Zeichen, und der erste Harpunier wußte, was das bedeutete.
Tom war indessen rasch wieder nach oben gekommen, und ehe nur die Mannschaft an Bord einen Entschluß fassen oder etwas mit dem mißhandelten Boot anfangen konnte, erreichte er die Spitze des Canoes und schwang sich mit Alohi's Hülfe hinein. Sein erster Blick aber war nach dem Schiff zurück, an dessen Gaffel eben die englische Flagge emporstieg - sein erster Griff nach dem neben ihm liegenden Ruder, das er rasch erfaßte und brauchte, und die drei Männer wußten jetzt, daß ihre glückliche Flucht allein in der Kraft ihrer Arme lag.
„Halt dort!" schrie der Capitain, der sich das schon sicher geglaubte Opfer in so kecker Weise unter den Händen fort wieder entzogen sah, „halt, oder ich schieße Euch über den Haufen!" Seine Drohung war aber machtlos; er hatte nicht einmal ein Gewehr zur Hand, und nur eine von dem Bootsteuerer mit nach hinten gebrachte Harpune aufgreifend, schleuderte er sie in blinder Wuth hinter dem schon wenigstens hundert Schritt entfernten Canoe her. Sie durchflog nicht die halbe Entfernung und verschwand zischend unter der Oberfläche.
Vorn am Bug des Canoes aber schäumte die klare Fluth, und das schlanke leichte Fahrzeug hätte, von den kräftigen /33/ Rudern getrieben, wie ein Pfeil über die See dahinfliegen müssen, wäre ihnen bei der raschen Fahrt der sogenannten Luvbaum nicht im Weg gewesen.
Die Canoes der Eingeborenen, die aus einem ausgehauenen Baumstamm bestehen, würden nämlich auf offener See und bei dem geringsten Wellenschlag, der sie seitwärts träfe, dem Umschlagen leicht ausgesetzt sein. Das zu verhindern, befestigen sie auf einer Seite, mit über dem Canoe angeschnürten Querhölzern, ein Stück sehr leichtes Holz, etwa acht bis zehn Fuß lang, das, vielleicht vier Fuß vom Canoe entfernt, neben ihm auf dem Wasser schwimmt. Dieses hält dasselbe allerdings so vortrefflich im Gleichgewicht, daß es selbst ziemlich schweren Wogen Trotz bieten kann, hemmt es aber auch natürlich in seinem Lauf. Auf übergroße Schnelle kommt es freilich den Indianern selten an, sie wollen nur sicher und bequem fahren, und diesen Zweck erreichen sie dadurch vollkommen.
Tom's kühner Angriff auf seinen gefährlichsten Feind an Bord - das Walfischboot - war übrigens so vollkommen geglückt, daß er von dort aus nicht das Mindeste zu fürchten hatte - das Zeichen ausgenommen. Das Boot war für die nächste Zeit vollkommen unbrauchbar, denn es hatte sich, außer dem Schlag, den er mit dem Tomahawk hineingeführt, durch den Sturz auch noch eine der Planken losgerissen, - aber die Flagge! Er wußte recht gut, daß die Leute an Land stets ein aufmerksames Auge auf das Schiff richten, und wenn die beiden Boote dem jetzt rasche Folge leisteten - Doch hoffentlich hatten sie sich schon mit ihrer Holzladung beeilt und mochten auch gewiß nicht ganz leer zurückkehren. Keineswegs konnten sie wissen, was hier vorgegangen, und die aufgezogene Flagge war ihnen höchstens nur ein Zeichen zu rascher Rückkehr. Das Innere der Bai ließ sich vom Canoe aus allerdings nicht eher übersehen, bis sie die Einfahrt passirten, da die Brandungswellen der Riffe wie eine Mauer dazwischen lagen. Hatten sie die aber erst einmal erreicht, dann wurde ihnen auch die jetzt entgegenkommende Strömung günstig.
Kein Wort wechselten indessen die drei Männer miteinander, und selbst die sonst lässigen Indianer legten sich mit aller Kraft ihrer Sehnen in die Ruder. Jetzt waren sie in /34/ einer Höhe mit der Einfahrt - noch eine Bootslänge, und sie mußten den Landungsplatz ihrer Hütten erkennen können - lagen die Boote noch dort, so waren sie gerettet. -
,,Da kommen sie!" rief Alohi und deutete mit dem Ruder hinüber. - „Vorwärts!" lautete der zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch gegebene Befehl des Schotten, und in demselben Augenblick verhüllte auch die nächste Brandungswelle der Einfahrt wieder die weitere Aussicht.
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Die beiden Walfischboote hatten während der zuletzt beschriebenen Vorgänge das Land erreicht, und der Harpunier, den der Capitain mit wenigen Worten davon in Kenntniß gesetzt, daß er nicht gesonnen sei seinen ihm früher entlaufenen Zimmermann wieder frei zu lassen, war beauftragt worden, nur wenigstens etwas des sehr nothwendig gebrauchten Holzes an Bord zu nehmen und so rasch wie irgend möglich zurückzukommen. Natürlich durften die Eingeborenen nicht erfahren, was sie beabsichtigten, denn so gern sie sonst entlaufene Matroßen auslieferten, hätten sie die Wegführung eines jetzt vollkommen zu ihnen gehörenden Weißen doch am Ende nicht gutwillig zugegeben.
Der Capitain hatte dabei geglaubt, den Schotten ohne die geringste Schwierigkeit an Bord halten zu können; im Guten natürlich so lange wie möglich, sobald das