Aufstand in Berlin. Heinz-Joachim Simon

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Aufstand in Berlin - Heinz-Joachim Simon


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Vorstände und eine gehörige Anzahl von Referenten und Sekretärinnen, die ihnen zuarbeiteten. Das Hauptbüro dagegen war in einem schäbig aussehenden Hochhaus aus der DDR–Zeit am Alexanderplatz.

      Der zweite Portier begrüßte ihn mit einem fröhlichen „Guten Morgen“ und wünschte ihm einen guten Tag. Singer nickte ihm freundlich zu und ging zu dem Fahrstuhl, wo er beinahe mit Schmude zusammengeprallt wäre, der für die Auslandsmärkte in Südamerika zuständig war. Dieser stammelte einige Entschuldigungen und entkrampfte sich auch nicht, als Singer freundlich zurück grüßte und mit einem launigen Scherzwort die Schuld auf sich nahm. Verblüfft stellte Singer fest, dass der Mann Angst hatte. Bis dahin hatte er immer geglaubt, dass ihn seine Leute wegen seines bewusst verbindlichen und leutseligen Führungsstils schätzten. Er hatte immer die Ansicht vertreten, dass man auch ohne übertriebenen Druck die Mannschaft zu Höchstleistungen motivieren könne. Seinen kameradschaftlichen Ton hielt man im Konzern für amerikanischen Stil, und er war diesem Eindruck nie entgegen getreten. Aber in Wirklichkeit hatte sein Führungsstil überhaupt nichts mit der burschikosen und knochenharten Art amerikanischer Geschäftsleute zu tun, sondern entsprang seinem Sicherheitsgefühl. Die neue Sitte, dass sich alle in der Führungsmannschaft duzen, hatte er nicht eingeführt. Singer hatte es nie nötig gehabt, die Ellenbogen zu gebrauchen. Sein Name, das Geld und die Stellung des Schwiegervaters hatten ihn unangreifbar gemacht, und lange Zeit gingen die Geschäfte zur Zufriedenheit der Aktionäre und es hieß, dass er vom gleichen Schlag sei wie sein Großvater, den er genau so wenig kennengelernt hatte wie seinen Vater. Auch dies gehörte zu den düsteren Geheimnissen der Singerfamilie.

      Als er die Tür zu seiner Büroflucht öffnete, sah seine Sekretärin hoch und lächelte ihn an. Jeden Morgen, wenn er das Büro betrat – meistens hatte sie dann schon eine Stunde gearbeitet und alles für die Besprechung mit ihm vorbereitet – wandte sie sich vom Computer ab, stand auf und nahm ihm, immer noch lächelnd, den blauen Sommermantel ab. Sie war eine gute Kraft. Mehr als das, sie war so etwas wie seine Stellvertreterin, obwohl es diesen Titel natürlich nicht gab. Die Abteilungsleiter hatten sie die „Graue Eminenz“ getauft, was treffend, aber nicht besonders originell war. Die Einkaufsleiter der Kunden schwärmten über den Charme und die Tüchtigkeit seiner Sekretärin. Wenn sie ein Mann gewesen wäre, hätte sie es sicher in den Vorstand geschafft. Aber in seiner Branche hielt man noch nicht viel von Emanzipation. In anderen Branchen kam eine neue Generation von Frauen sogar in die Führungsetagen.

      Sie sah gut aus, fast zu gut, und er gestand sich ein, dass er die Art mochte, wie sie sich kleidete. Meistens trug sie elegante blaue oder dunkle Kostüme, die ihre schlanke Figur vorteilhaft zur Geltung brachten. Ihr Make–up war stets perfekt und nie hatte er sie die Haltung verlieren sehen. Einmal, bei einem Betriebsfest, war zwischen ihnen so etwas wie ein Flirt gewesen. Auf dem Parkplatz hatten sie sich geküßt. Doch mehr war nicht passiert, und am nächsten Tag hatten sie sich wie immer begrüßt und sie war Frau Kugler und er Herr Singer oder ganz einfach Chef. Weder sie noch er hatten je auf diesen Zwischenfall angespielt. Sie wussten beide, dass sie sich ihren Partner eigentlich anders vorstellten. Sie war ihm zu kühl, zu kontrolliert und er ihr zu weich und eloquent, zu sehr Sohn aus reichem Haus, dem man eine „gemähte Wiese“ anvertraut hatte und der nie für etwas hatte kämpfen müssen.

      „Der Große Manitu hat angerufen. Er trifft in einer halben Stunde ein.“

      „Er kommt hierher?“

      „Ja. Ich habe alle Daten zusammengestellt und sie Ihnen auf den Schreibtisch gelegt. Sie sollten sich ein paar gute Argumente zurechtlegen. Wenn er die neuesten Zahlen hört, wird er nicht gerade in Begeisterung ausbrechen.“

      „Warum kommt er selbst? Wir haben in vierzehn Tagen ohnehin Quartalskonferenz.“

      Der Große Manitu war niemand geringerer als der Aufsichtsratsvorsitzende und damit sein Chef. Es war ungewöhnlich, dass er sich zu ihm bemühte. Das konnte nur Ärger bedeuten. Eugen Singer fühlte, dass nun das Kribbeln eintrat, das er am Morgen vermisst hatte.

      „Nicht nur bei uns gehen die Zahlen zurück. Der gesamten Branche geht es schlecht! Wir haben zwar tonnenmäßig nachgelassen, aber unsere Konkurrenten haben noch mehr verloren, und so gesehen haben wir sogar Marktanteile in Europa gewonnen.“

      „Sie haben einen guten Job gemacht. Keine Frage. Unsere Mitarbeiter haben sich tüchtig ins Zeug gelegt. Der Singersche Geist lebt noch“, pflichtete sie ihm bei.

      Er wollte sich für ihre Loyalität bedanken, doch nach ihren nächsten Worten ließ er es lieber.

      „Aber ich glaube nicht, dass Ihnen das beim Manitu viel helfen wird. Er kann es sich nicht leisten, auf die Marktsituation Rücksicht zu nehmen. Nicht mehr. Die Aktionäre üben Druck auf ihn aus. Stimmt es eigentlich, dass die Philadelphia Steel verstärkt Aktien der Singerwerke aufkauft?“

      Sie hatte also auch davon erfahren. Natürlich, denn durch ihre Hände gingen schließlich die Zahlen der Kursentwicklungen. Auch dies gehörte zu den Sorgen, die sie sich im Vorstand machten. Bei ihrem schlechten Aktienkurs bestand die Gefahr einer feindlichen Übernahme. Sollte Philadelphia Steel tatsächlich die Aktienmehrheit bekommen, wovon sie glücklicherweise noch ein Stück entfernt waren, würden sie ihn gewiss vor die Tür setzen, zwar mit einer anständigen Abfindung, aber seinen Job wäre er los.

      „So lange mein Onkel Michael Singer noch dreißig Prozent der Aktien hält und sein Stiefsohn Thomas fünfundzwanzig Prozent mache ich mir deswegen keine Sorgen. Doch was will unser Chef von uns?“

      „Was Gutes sicher nicht. Aber Sie können ja ganz gut mit ihm, und vielleicht wird es auch nicht so schlimm. Er bekommt doch auch regelmäßig die Zahlen und weiß, wie es im Markt läuft.“

      Es stimmte. Manitu mochte ihn beziehungsweise die Verbindungen, die Singer durch seinen Schwiegervater hatte. Manitu war der Vorstand einer der größten deutschen Banken und damit ein bedeutender Mann. Aber er gehörte nicht dem Kreis der wirklich Reichen an und diese sahen auf „neues Geld“ immer mit ein wenig Geringschätzung herab.

      Singer ging nicht auf ihre optimistische Einschätzung ein, öffnete die Tür zu seinem Zimmer, setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Er wartete geduldig, bis die Daten erschienen, die ihm die neuesten Verkaufszahlen zeigten. Sie trat hinter ihn und beugte sich über seinen Rücken. Er roch ihr Parfum. Er kannte es. Es war Egoiste von Chanel, eigentlich ein Herrenduft. Sie wies mit ihrem Montblanc auf die Zahlenreihen.

      „Das würde ich ihm zeigen und das hier. Sieht doch diesen Monat gar nicht so schlecht aus, und vielleicht klappt ja heute Mittag die Sache mit Kretschmann.“

      „Dann schaffen wir das Plansoll für dieses Quartal. Kumuliert liegen wir aber immer noch fünfzehn Prozent unter Plan, wenn wir das Jahressoll erreichen sollen. Wir werden wohl doch noch Kurzarbeit anmelden müssen.“

      Sie nickte kühl. „Ich habe Ihnen damals gesagt, dass ich die Einschätzung des Vorstands für sehr optimistisch halte.“

      Ihr Vorwurf war berechtigt. Singer hatte am Anfang des Jahres die Marktentwicklung falsch eingeschätzt und Sollzahlen vorgegeben, die nun nicht zu erreichen waren, auf denen aber das gesamte Kostengefüge aufgebaut war. Er musste zugeben, dass er es trotz gewisser Anzeichen nicht hatte wahrhaben wollen, dass sie Schwierigkeiten bekommen würden. Es hätte bedeutet, dass tiefe Einschnitte ins Unternehmen erforderlich geworden wären. Es war bisher immer stolz darauf gewesen, nie Mitarbeiter entlassen zu müssen. Jedenfalls nicht wegen mangelnder Aufträge. Die Fehleinschätzung der Marktentwicklung konnte man ihm jetzt ankreiden.

      Es würde ein hartes Gespräch werden und Singer überlegte, ob er dies geahnt hatte und deswegen so unzufrieden war. Aber eigentlich war er selbst jetzt, gemessen an dem, was ihn vielleicht vom Manitu erwartete, fast gelassen. Er sah die Unterlagen durch, die sie ihm bereit gelegt hatte. Aber er vermochte sich nicht darauf zu konzentrieren.

      „Komisch, als wäre ich heute nicht ich selbst!“, sagte er halblaut vor sich hin. Seine Sekretärin, die gerade wieder zur Tür hereinkam, um ihm Kaffee nachzuschenken, sah ihn fragend und ein wenig besorgt an.

      „Nichts. Es ist nichts!“, sagte er abwehrend


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