Tod im Kanzleramt. Stefan Koenig

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Tod im Kanzleramt - Stefan Koenig


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sie niemals so nennen, aber wenn wir einfachen Mitarbeiter unter uns waren, rissen wir schon einmal Schoten und nannten sie so.

      Ich musste zur Toilette. Als ich am Büro des Kanzleramtsministers Peter Altmaier vorbeikam, hörte ich, dass sein Radio - er war ein passionierter Radiohörer - auf jene Rundfunkstation eingestellt war, die vom östlich gelegenen Frankfurt/Oder klassische Musik sendet, und bei jedem Blitz gab es laute Störgeräusche von sich. Altmaier war ein dicker Freund von Angie, eine echte alte Seilschaft, ein typisch sparsames Nachkriegskind, was man seinem Bauchumfang jedoch nicht ansah. Sein Vater war Bergmann, seine Mutter Krankenschwester. Vielleicht war es das, weshalb viele in dem später einsetzenden Partychaos ihre ganze Hoffnung auf ihn setzten. Einst arbeitete er als Rechtsanwalt, dann eine Zeitlang als Hoher Beamter in der Generaldirektion der Europäischen Kommission.

      Altmaier war einem kleinen Dorf an der Saar entsprungen, und hier oben in Berlin hatte er in Affengeschwindigkeit eine Karriere im Kanzleramt hingelegt. Er hatte sich vor zwei Jahren mit mir zerstritten, und er hat ein Elefantengedächtnis und kann weder vergessen, noch verzeihen. Er hatte gegenüber dem Vizekanzler Gabriel behauptet, ich nutze meine Stellung als Kanzlerin-Biograf, um die Regierungschefin politisch zu beeinflussen, was natürlich völliger Quatsch war. Er spielte auf meine Einstellung zur Ukraine an, deren Regierung ich wahrhaftig nicht als leuchtendes Vorbild einer demokratischen europäischen Demokratie bezeichnen würde. Aber Siegmar Gabriel hatte ohne mich zu fragen in bester sozialdemokratischer Manier nichts Anderes zu tun, als dies weiter zu tratschen.

      Die Sache kam vor die Kanzlerin. Sie stellte sich auf meine Seite, was Altmaier als Niederlage empfand. Er behauptete, ich hätte nur gewonnen, weil sie und ich uns duzten und weil er weniger im Kanzleramt sei als ich. Und weil er kein »Privatsekretär« wäre, so wie ich. Und weil ich »besondere Beziehungen« zu Frau Merkel hegen würde. Das war schon nicht mehr nur Quatsch, das grenzte stark an Verleumdung, und Altmaier und ich empfinden seitdem wenig Sympathie für einander.

      Ich habe nur ein einziges Mal bei Angie wegen dem Geheimprojekt nahe Tschernobyl nachgefragt. Schließlich ging es nun, knapp drei Jahrzehnte nach dem tödlichen Atomdesaster von Tschernobyl, schon wieder um die Gesundheitsgefährdung unserer Kinder. Damals, in der ersten Hälfte des Jahres 2015, verhielt sich die Kanzlerin mir gegenüber eher zurückhaltend; sie könne nichts sagen, was über das allgemein Bekannte hinausginge; die Genehmigungen und Bohrungen zu Forschungszwecken seien Sache der souveränen ukrainischen Regierung; alles andere gehöre in den Bereich des Privatrechts oder der Phantasie. Die Ukraine profitiere enorm von den amerikanischen Investitionen und sei gerade deshalb in der Lage, schon bald ohne EU-Kredite auszukommen.

      Das war die Zeit, als – trotz zunehmender Armut und trotz dem täglichen Hamsterrad, in dem sich ein Drittel der Deutschen befand – eine Teuerungsrate durch unser Land rollte; als der Euro gegenüber dem Dollar abschmierte, als Mietpreise, Grund- und Gewerbesteuer um durchschnittlich fünfzig Prozent angehoben wurden und die Bürgermeister mit den Fingern auf Berlin zeigten: „Letztendlich verbleibt uns am Ende der staatlichen Kette nur, für alle Leistungen, die wir den Bürgern erbringen, Steuern und Gebühren anzuheben. Ein Schritt, der allen Beteiligten nicht leicht fällt.“

      Da ahnte noch niemand in Europas reichstem Land, wie die staatliche Kette zerreißen und das Ketten-Ende sich in seine Einzelteile auflösen würde. Noch regierte Hoffnung und man feierte die jährlichen Kanzleramtspartys. Und die eine Billion schwere Beamten-Pensions-Welle rollte, ohne dass jemand Tsunami-Warnung gab; die hauptberuflichen Warner kamen ungern ihrer Pflicht nach, schließlich waren sie selbst bald Pensionäre.

      Dann aber rollte die Flüchtlingswelle aus Afrika und dem Nahen Osten heran, bäumte sich zu einer wahren Sturmflut auf und flutete Europa. Alle bisherigen Probleme traten in den Hintergrund. Das Tagesgeschäft im Amt drehte sich um die Migranten und um ein neues Asylgesetz, um Zäune und Polizeieinheiten, die man rund um die Festung Europa zu ziehen sich bemüßigt sah. Aber auch damals schon wurde trotz alledem zu schicken Kanzleramts-Partys eingeladen. Der amtliche Planungsstab gab stets sein Bestes. Made in Germany. Nur die VW-Manager wurden in jenen Tagen ausgeladen. Sie rochen nach Diesel.

      Ich unterbrach meine Erinnerungen. Denn nun, vier Jahre später, war ich erneut Teilnehmer an einer Kanzleramtsparty, an der Seite von Angie. Ich sah noch einmal zu dem heraufziehenden Gewitter, und der Abend nahm seinen verhängnisvollen Lauf.

      Als der Sturm aufkam

      Die Kanzlerin hatte zur Befriedigung der anwesenden Boulevard-Reporter ihr berühmtes Bayreuth-Kleid an, das Kleid mit dem besonders großen Dekolletee. Sie seufzte und fächerte sich die Brüste mit dem Rand ihres Dekolletees. Ich bezweifelte, dass es ihr viel Kühlung verschaffte, aber es verbesserte ganz erheblich den Einblick.

      „Ich will dich nicht beunruhigen“, sagte ich. „Aber ich glaube, dass ein gewaltiger Sturm im Anzug ist.“

      Angie konnte sich auf meine Empfindung verlassen, denn als alter Pfadfinder hatte ich alle Wetterphänomene korrekt einzuschätzen gelernt.

      „Wie schlimm wird es denn?“ war ihre Gegenfrage.

      „Das weiß ich auch nicht“, sagte ich wahrheitsgemäß. Doch ich hatte schon ein sehr mulmiges Gefühl. „Der Wind kann von Osten herangebraust kommen wie ein ICE.“

      Mich wunderte, dass noch keiner vom amtsinternen Partymanagement oder vom Sicherheitsdienst Alarm geschlagen hatte.

      Kurz danach kam Yousef zurück und beklagte sich, dass das Klettern keinen Spaß mehr mache, weil er »völlig verschwitzt« sei und außerdem Angst habe. Ich strich ihm ersatzweise übers Haar, weil sich Joachim Sauer wegen dringlicher Forschungsarbeiten gerade verabschiedet hatte, und ich gab Yousef noch einen O-Saft. Zusätzliche Arbeit für den Zahnarzt, der hervorragend privat abzurechnen versteht. Ein wahrer IGeL-Fan. Für die Kanzlerin und ihren Adoptivsohn öffnet er seine Praxis – unweit von Angies Privatwohnung, gegenüber des Pergamon-Museums – zu jeder gewünschten Uhrzeit; wenn es sein muss auch mitten in der Nacht.

      Die Gewitterwolken kamen jetzt näher und verdrängten den blauen Himmel. Nun konnte es keinen Zweifel mehr darüber geben, dass sich ein Sturm ankündigte.

      Yousef saß zwischen seiner Mutter und mir und beobachtete fasziniert-ängstlich, wie es ein Kind tut, das zum ersten Mal im Leben ein solches Naturschauspiel sieht, den merkwürdigen Himmel. Donner grollte. Die Wolken griffen ineinander, verflochten sich, strebten wieder auseinander und wechselten ständig die Farbe; von schwarz zu Purpur, dann geädert, dann wieder schwarz wie die Nacht. Allmählich überquerten sie die weit östlich gelegenen Vororte der Hauptstadt, und ich sah, wie sie ein breites dichtes Regennetz unter sich ausbreiteten. Es war noch ein ganzes Stück entfernt.

      Die Luft geriet in Bewegung, zuerst nur stoßweise, dann setzte ein stetiger frischer Wind ein, der den leichten Schweiß auf unseren Körpern trocknete und uns gleich darauf ein wenig frösteln ließ. Jetzt kamen die amtlichen Partybediensteten und baten die rund hundertfünfzig Gäste, den Kanzleramtsgarten und die großflächige Terrasse zu verlassen und im Inneren des Gebäudes weiter zu feiern.

      Im nächsten Moment sah ich den blitzdurchzuckten Silberschleier über Berlins Silhouette wirbeln. Er verhüllte die Ostteile der Stadt in Sekundenschnelle und kam direkt auf uns zu.

      "Geh'n wir rein", sagte ich, stand auf und legte den Arm um Yousefs Schultern.

      "Siehst du es? Stefan, was ist das?" fragte er mich.

      "Eine Windhose. Gehen wir lieber rein."

      Die Kanzlerin warf einen raschen bestürzten Blick auf mein Gesicht, streichelte über seinen Kopf und sagte dann: "Komm, Yousef. Tu, was Stefan sagt."

      Ich sah auf meine Uhr; es war kurz nach 20:00 Uhr.

      Wir gingen zurück durch eine der ultragroßen automatisch bewegten Glasschiebetüren in den großzügigen Empfangssalon. Hinter uns, hinter Gabriele und Frau von der Leyen, hinter dem Außenminister und dem Bodyguard schloss sie völlig geräuschlos, und ich warf bei dieser Gelegenheit noch einen Blick nach draußen. Angie stand links neben mir am riesigen Panoramafenster,


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