Chats. Thomas Tippner

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Fingern: Bist du immer noch auf der S11?

      Der Moment, der am längsten dauerte, war der, bis er sah, dass die drei Punkte in seinem Display erschienen, die ihm sagten, dass Jana anfing zu schreiben.

      Was ihn seltsamerweise nervös machte.

      Was ihm Magenschmerzen bereitete, die er sich nicht erklären konnte.

      Er fühlte sich plötzlich wie von einer mächtigen Hand ergriffen, die erbarmungslos zudrückte, und ihm die Luft zum Atmen raubte.

      Es liegt an ihrem Profilbild, dachte er, während die drei Punkte in einer sanften Wellenlinie noch immer anzeigten, dass Jana schrieb. Es liegt an diesem verfluchten, diesem gottverdammten, an diesem bildhübschen Profilbild, das mich völlig wahnsinnig macht. Das mir sagt, dass ich noch immer nicht darüber hinweg bin, dass wir uns aus den Augen verloren haben. Dass wir uns nicht so voneinander verabschiedet haben, wie ich es gerne hätte.

       Wie es würdig für uns gewesen wäre.

      Es tat weh, daran zu denken, wie sich ihre Wege getrennt hatten, als er den Dienst auf der Station beenden musste. Wie sie damals dagestanden hatte, in ihrem weißen Kassack, der ihre Figur nur verdecken und doch nicht verbergen konnte. Der ihrer aufregend schönen Gestalt nur eine plumpe Kontur verlieh, obwohl Daniel wusste, dass es anders war. Dass da nicht nur weiße, viel zu große Stoffe an ihr hingen, sondern einen schlanken, weichen Körper verbargen, der ihm schon damals den Schlaf geraubt hatte.

      Nicht dass er sie jemals berührt, geschweige denn nackt gesehen hatte.

      Nein, aber allein die Momente, wo sie zusammen die Station - in zivil – verlassen hatten, hatten gereicht, um seiner überschäumenden Fantasie wieder neues Futter zu geben. Jedes Mal.

      Er spürte die Traurigkeit in sich, als er sich an ihre sanfte, ihre weiche Stimme erinnerte, in der immer diese unterschwellige, freundliche Melodie mitschwang. Die ihm sagte, dass Jana ein besonderer, ein ehrlicher Mensch war, dem das Wohl der Patienten am Herzen lag.

      Da war keine bissige Gehässigkeit, wie bei der einen oder der anderen Kollegin. Kein genervter Unterton, wenn Patient XY zum zehnten Mal innerhalb einer Stunde klingelte, und von einer Schwester Rat einholen, den Rücken einreiben oder sich nur unterhalten wollte.

      Daniel hatte Jana für ihre Freundlichkeit immer bewundert. Hatte sich versucht an ihr zu orientieren, wenn es darum ging, den Menschen und nicht den Patienten da im Bett liegen zu sehen.

      Warum meldest du dich ausgerechnet jetzt?, fragte er sich und wünschte sich unendlich viele Kilometer weit weg. Irgendwohin, wo es keine Telefone, keine Handys und keine rasend schnelle Internetverbindungen gab, die es ermöglichten, innerhalb weniger Millisekunden Kontakt miteinander aufzunehmen.

      Es lief bei mir doch gerade alles hervorragend, führte er seinen eben gefassten Gedanken weiter und spürte, dass sein Herz mehr an der Nachricht, als an dem eben gedachten Gedanken hing. Dass er den Gedanken nur vor sich herschob, um Jana innerlich einen Vorwurf machen zu können, um sich von seiner momentanen – verzwickten – Situation ablenken zu können.

      Schon lange nicht mehr, schrieb sie. Nachdem du weg warst, habe ich das Haus an sich gewechselt.

      Oh, schrieb er zurück, um sich dann gezwungen fröhlich zu äußern. Ohne mich ist nichts mehr so, wie es einmal war, wie?

      Korrekt, kam es schneller zurück, als er es für möglich gehalten hatte.

      Was ihm wiederum sagte, dass sie gerade jetzt, ebenso wie er, vor ihrem Smartphone saß, und darauf wartete, dass er ihr antwortete.

      Geht es ihr genauso wie mir?, fragte er sich. Ist sie ebenso übermannt wie ich, dass wir wieder miteinander schreiben? Wühlen sich die Erinnerungen in ihr ebenso empor, wie bei mir?

      Dabei versetzte ihn der letzte Satz einen Stich.

      Sie beide hatten sich aus den Augen verloren.

      Und wie.

      Sie hatten sich so sehr aus den Augen verloren, dass sie jahrelang gar nicht mehr aneinander gedacht hatten. Dass sie sich nur ab und zu mal Kurznachrichten à la: „Wie geht es dir?“, schrieben und beantworteten. „Gut. Bin nur gerade im Stress. Melde mich gleich wieder!“

      Um dann nicht mehr zu schreiben.

      Um verloren zu gehen, in den wogenden Unwettern des Alltags.

      Daniel schüttelte den Kopf, als ihm bewusst wurde, dass er seit mehr als zwei Minuten sein Handy anstarrte und nicht dazu in der Lage war, Jana zurückzuschreiben. Dass er wollte, ihn aber etwas daran hinderte, es in die Tat umzusetzen.

      Ich habe Angst vor den Antworten, dachte er und schloss die Augen. Ich will nicht hören, was ihr widerfahren ist und mit wem sie zusammen ist.

      Sie ist mit jemandem zusammen, wusste er, oder glaubte er zu wissen. Als ich das letzte Mal auf ihren Status auf ihrem Profil geschaut habe, stand da „In einer Beziehung mit …“.

      Irgendein Name war da aufgetaucht, den Daniel längst wieder vergessen hatte.

      Der Name irgendeines Blödmannes, der nicht wusste, wie man mit Jana umzugehen hatte. Der sich nichts daraus machte, dass sie sensibel, freundlich und lieb war. Der nur das schöne, weiche und zart geschnittene Gesicht Janas und ihren grazilen, schlank anzusehenden Körper erobern wollte, um mit ihr vor seinen Freunden anzugeben, solch eine hübsche Frau abbekommen zu haben.

      Daniel schnürte es die Kehle zu, als er das dachte. Es tat ihm weh und andererseits gut, so schonungslos unfair zu sein.

      Weh tat es ihm, weil er wusste, dass er seine damalige Chance nicht ergriffen hatte. Dass er sich nicht getraut hatte, den letzten, den alles entscheidenden Schritt zu gehen.

      Gut tat es hingegen, zu wissen, dass er sich noch immer so stark für sie interessierte, dass er einem möglichen Partner am liebsten die Pest, Cholera und Typhus an den Hals wünschte.

      Mach dir nichts vor, Cowboy, machte sich seine innere Stimme bemerkbar, die sich immer dann in ihm zu Wort meldete, wenn er emotional gestresst war und geerdet werden musste. Du hoffst nur, dass es ihr gut geht und dass sie glücklich ist. Deshalb tut es dir gut, ehrlich zu sein.

       Du möchtest, dass es ihr gut geht.

      Das wollte er wirklich.

      Sein Problem war, dass er nicht wusste, ob es ihm zurzeit gut ging. Ob er solch eine Kontaktaufnahme verarbeiten, geschweige denn ertragen konnte. Obwohl sie sich nur flüchtig gehört hatten, so gut wie nie, waren diese Erinnerungsblitze für ihn immer ein Schlag in die tiefste Magengrube seiner Seele.

      Er wollte nicht daran denken, wollte nicht wieder an jenen Punkt zurückgehen, indem Jana ihren Kopf an seine Schulter legte, sie seinen Nacken kraulte, und mit ihm zusammen am Deich saß und in die hinter der Elbe untergehende Sonne schaute. Er wollte nicht noch einmal erleben, wie ihre Hand seinen Nacken hinunterwanderte, seinen Rücken mit einer ihn erzittern lassenden Gänsehaut überspielte.

      Daniel wollte an gar nichts mehr erinnert werden.

       Wo arbeitest du jetzt?

      Obwohl seine Finger zitterten, und er sich wünschte, dass ihn das kleine und angenehme, ihn noch immer in einsamen Nächten heimsuchende Abenteuer am Deich nicht heimsuchen würde, drangen die Bilder Schlag auf Schlag in sein Bewusstsein ein. Er spürte ihre Berührung wieder, roch ihr Parfüm, und spürte ihren warmen, ihm so angenehm am Hals entlangwehenden Atem. Er konnte sie wieder spüren, diese Erregung, die von ihm Besitz ergriff und die ihn, einem Elektroschlag gleich, durchfuhr.

      Er sah sich wieder, wie er den Kopf drehte, wie er ihre Augen sah, die halb geschlossen waren, und er spürte die plötzlich in ihm emporsteigende Angst. Diese ihn fest umklammernde, sein Herz umschließende Furcht, einen Fehler zu begehen.

      Einen Fehler, der Verletzungen nach sich zog.

      Tiefe, seelische Wunden, die er nicht imstande war zu ertragen.


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