Chats. Thomas Tippner

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Chats - Thomas Tippner


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zurückdenken, das Jana glücklicherweise unterbrochen hatte.

      Bin jetzt in einer Psychiatrie angestellt. Einfaches, aber schönes Arbeiten, schrieb sie ihm. Der körperliche Stress ist nicht so hoch wie damals. Dafür der psychische. Aber das Team ist toll. Fängt einen gut auf.

      Daniel war sich sicher, während er las, ihre Stimme wieder hören zu können. Wie sie lieblich weich seine Ohren traf, und sie ihm von Dingen erzählte, die ihr im hübschen Kopf herumgingen, und wie sie versuchte ihre Probleme zu lösen. Es war ihm, als wäre er wieder in der Vergangenheit, in jener unbeschwerten, verspielten Zeit, wo er, ohne groß nachzudenken, alles anpacken und lösen konnte, was er wollte.

      In jenen Tagen, wo er mit Jana seinen Dienst begann, und von der Arbeit gestresst, von dem Tag aber positiv überrascht wurde. Nicht nur, dass Jana ihn jeden Tag aufs Neue faszinierte und ihn im wahrsten Sinne des Wortes über Wolken schweben ließ, sie schaffte es auch, jeder Situation etwas Gutes abzugewinnen.

      Egal, ob die Stationsärzte noch „schnell“, wie sie meinten, zwei OPs einplanten, und dadurch den ganzen Tagesablauf durcheinanderwirbelten, oder wenn die Kollegen miesgelaunt meinten, alle von der Stationsleitung gefällten Entscheidungen kritisieren zu müssen.

      Jana war für Daniel so etwas wie der Fels in der Brandung.

      Unbeweglich, starr, mit klarer Sicht auf die auf sie zustürmenden und sich brüllend und kreischend an ihr brechenden Wellen schauend.

      Daniel hatte sie immer für ihren Tatendrang und ihre positive Sichtweise bewundert.

      Während er sich sicher war, an der Last der Aufgaben kaputt gehen zu müssen, war es ihr Lächeln, das ihn aufbaute und eine Berührung mit ihren Fingern, die ihn dazu motivierte, weiterzumachen.

       Und dann ist da noch der Deich. Scheiße, Mann, da ist noch der Deich.

       Ich war … ach was, ich bin ein Idiot!

      Er schüttelte den Kopf.

      Er sah sich wieder da sitzen, den Blick hinaus auf das dunkle im Sonnenlicht liegende Wasser gerichtet. Während sie ihn kraulte, während sie ihn streichelte, hatte seine Hand ihren Oberschenkel berührt. Erst nur leicht, kaum der Rede wert. Dann aber, als ihr Kopf sich auf seine Schulter legte, ihre Hand mit den in seinem Nacken wachsenden Haaren spielte, hatte seine Hand ihren Oberschenkel berührt. Leicht, schüchtern, dann fester und forscher, als er merkte, dass es ihr gefiel.

      Hatte er damals wirklich auf ihr leises, an sein Ohr wehendes Stöhnen: „Berühre mich hier, und es wird kritisch“, geantwortet: „Weil du kitzlig bist?“

      Die ganze Atmosphäre, die ganze Spannung, die sich den ganzen Nachmittag über zwischen ihnen aufgebaut hatte, war wie weggeblasen gewesen.

      Sie rückte ab von ihm, schaute Daniel verwundert an und verdrehte die Augen, als sie sagte: „Ja, weil ich kitzlig bin!“

      Daniel schluckte damals wie heute.

      Er war ein Trottel gewesen. Der größte Idiot, den es jemals auf Gottes Erden gegeben hatte. Hätte er nur seinen Mund gehalten und genossen, wie ihre Finger über seinen Rücken hin zu seinem Oberschenkel wanderten, wie sie über seinen Schritt hinwegglitten und ihn glauben ließen, er würde jeden Augenblick innerlich explodieren.

       Und warum habe ich nicht weitergemacht? Warum sind meine Finger nicht weiter auf Wanderschaft gegangen? Warum habe ich nicht meine Fingerspitzen kreisend über ihre unter der Bluse liegenden Brüste wandern lassen? Wieso habe ich nicht einfach die Innenseite ihres Oberschenkels berührt und ihre heiser klingenden, in mein Ohr wehenden Worte ignoriert und sie einfach gepackt?

       Warum bin ich so ein Spacken?

      All die Vorwürfe und Beleidigungen, einfach alles, was er gerade durchmachte, ging in dem sanften „Pling“ der eingehenden Nachricht unter, in der Jana fragte: Bist du noch da?

      Klar, schrieb er in einem für ihn lässig klingenden Ton.

       Schön.

      Darf ich dich was fragen?, tippte er ins Display und ignorierte die eingehende Nachricht seines Vaters, der fragte, ob sie heute noch telefonieren würden. Wenn nicht, dann ist es völlig okay.

      Frag, antwortete sie ihm.

       Warum jetzt?

      Keine Antwort.

      Womit Daniel, wenn er ehrlich zu sich selbst war, auch gar nicht gerechnet hatte. Er hatte gewusst, als er die Frage in das Sprachfeld eingab, dass er Jana damit vor den Kopf schlagen würde. Aber jetzt, wo ihn die Erinnerungen überrannten, und er sich in einer Zwickmühle befand, in der er sich ausgesprochen unwohl fühlte, musste er Nägel mit Köpfen machen.

      Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als alle Schwingungen, die sein gerade wieder in geordneten Bahnen laufendes Leben durcheinander zu bringen drohten, im Keim zu ersticken. Er musste wissen, woran er war, und er wollte sich nicht in etwas verrennen, das ihm am Ende den Kopf kosten konnte.

      Was meinst du jetzt damit?, fragte er sich selbst und zuckte gedankenverloren mit den Schultern. Jana oder deine Zukunft?

      Daniel wusste es nicht.

      Kapitel 2

      Daniel erwischte sich dabei, wieder das Profilbild von Jana zu betrachten. Das ihm das Konterfei einer Frau zeigte, deren feingezeichneten Gesichtszüge alles in ihm ansprachen, was er sich jemals in seinen jugendlichen und späteren Erwachsenenträumen ausgemalt hatte.

      Da waren die blauen, diese hell schimmernden Augen, die so angenehm mit ihrem angedeuteten Lächeln harmonierten, und die hoch angesetzten, katzengleichen Kieferknochen betonten.

      Der leicht geöffnete, das Weiß der Zähne durchschimmern lassende Mund, dessen weicher Schwung die Lippen ihn wie gezeichnet erschienen, ließen Daniel wieder an jene Zeit denken, als er sich dabei erwischte, sich vorzustellen, sie zu küssen.

       Ich war so unendlich gerne mit ihr zusammen. Tag für Tag. Stunde für Stunde. Minute für Minute. Ich denke gerne an die Zeit zurück, die wir gemeinsam verbracht haben.

      Die so unbeschwert war.

      Bis die Gefühle kamen, dachte er, während er im Halbdunkel seines kleinen Arbeitszimmers saß, den Laptop vor sich geöffnet, über dessen Tastatur seine Finger eben noch geflogen waren. Bis diese blöden, verkackten, alles ruinierenden Gefühle kamen. Scheiße, Mann, warum sind sie nur gekommen?

       Was sollte das?

      Daniel konnte und wollte sich gegen seine Gedanken nicht wehren.

      Er wollte sie spüren, jeden einzelnen Buchstaben wie ein in ihm aufleuchtendes Flammenmeer fühlen, das das Stroh seiner Empfindungen lodernd in Brand setzte und ihn dazu zwang, sich mit Dingen zu beschäftigen, die er seit Tagen beiseiteschob.

      Daniel hasste es, wenn er an seiner Arbeit saß, und die Flut an Gedanken zu groß wurde.

      Dass sie all seine anderen Ideen und Einfälle fortspülten und ihm keine andere Chance ließen, als sich mit ihnen zu beschäftigten.

       Ich muss sie immer wieder anschauen.

       Wieder und wieder.

       Als würde ich mich quälen wollen, um mir vor Augen zu führen, was ich gerne hätte und was ich nicht habe.

      Dazu kam, dass Jana sich nach seiner Frage nicht wieder bei ihm gemeldet hatte. Bis heute konnte er sehen, dass sie seine Nachricht gelesen hatte. Eine Antwort aber war sie ihm bis heute schuldig geblieben.

      Was vielleicht besser ist, meldete sich seine vernunftbegabte Stimme, die ihn ekelerregend an die seines jüngeren, ängstlicheren Ichs erinnerte, das ihn damals immer vor Abenteuern und Möglichkeiten zu bewahren versucht hatte.

      Es


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