Jugend und Der Nigger vom "NARCISSUS" - Band 128e in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Joseph Conrad
Читать онлайн книгу.Boot, und ich hatte das kleinste, das Vierzehn-Fuß-Ding. Das Langboot hätte für uns alle reichlich Raum gehabt; aber der Schiffer sagte, wir müssten so viel wie möglich – für die Versicherung – retten, und so kam ich zu meinem ersten Kommando. Ich hatte zwei Leute bei mir, ein Paket Zwieback, ein paar Büchsen mit Fleisch und ein kleines Fass mit Wasser. Ich erhielt den Befehl, mich hart beim Langboot zu halten, damit wir von diesem bei schlechtem Wetter aufgenommen werden könnten.
Und wisst ihr, was ich dachte? Ich dachte daran, dass ich mich möglichst rasch aus dem Staube machen würde. Ich wollte mein erstes Kommando ganz für mich allein haben, ich wollte nicht im Geschwader fahren, solange es eine Möglichkeit zu selbständigem Kreuzen gab. Ich wollte ganz für mich allein landen. Ich wollte die anderen Boote schlagen. Jugend, alles Jugend, die törichte, herrliche, schöne Jugend.
Wir fuhren aber doch nicht gleich los. Wir mussten das Ende des Schiffes sehen. Und so trieben die Boote die Nacht über herum, hoben und senkten sich mit der Dünung. Die Leute dösten, wachten auf, seufzten und stöhnten. Ich sah nach dem brennenden Schiff. Zwischen der tiefen Schwärze des Himmels und der See brannte die Bark mitten in einem purpurnen Feuerkreis auf dem unheimlich glitzernden Wasser. Eine hohe, klare Flamme, eine ungeheure, einsame Flamme stieg vom Ozean empor, und von ihrem Gipfel kräuselte sich unaufhörlich der Rauch in den Himmel. Die Bark stand in hellen Flammen und brannte ehrfurchtgebietend wie ein Scheiterhaufen in der Nacht, umgeben von der See, von den Sternen gehütet. Ein herrlicher Tod war, wie eine Gnade, wie ein Geschenk, wie ein Lohn, dem alten Schiff am Ende arbeitsreicher Tage beschieden worden. Es war ergreifend, anzusehen, wie die Bark triumphierend ihre müde Seele der Obhut der Sterne und der See übergab. Die Masten stürzten gerade bei Tagesanbruch, und einen Augenblick lang gab es einen wilden Funkenregen, der die geduldige und wachsame Nacht, die weite Nacht, die schweigend über der See lag, mit fliegendem Feuer zu erfüllen schien. Bei Tageslicht war die Bark nur noch ein verkohltes Wrack, das still unter einer Rauchwolke hintrieb und einen Haufen glühender Kohle in sich trug.
Dann legten wir die Riemen ein, die Boote reihten sich in Linie und fuhren rings um die verkohlten Überreste wie in einer Prozession herum, das Langboot voran. Als wir hinter ihrem Heck vorbeipullten, schoss eine schmale Feuerzunge giftig auf uns zu. Und plötzlich ging die Bark unter, Kopf voran, unter wütendem Aufzischen der See. Das unversehrte Heck sank zuletzt; aber die Malerei war vergangen, geschmolzen und abgeblättert; und so gab es keine Buchstaben, kein Wort, keinen Wahlspruch mehr, der der Seele des Schiffes glich, um der aufgehenden Sonne Namen und Art entgegenzuhalten.
Wir nahmen Kurs nach Norden. Eine Brise sprang auf, und um Mittag herum kamen alle Boote zum letzten Male zusammen. Ich hatte in dem meinen weder Mast noch Segel, aber ich machte mir einen Mast aus dem Reserveriemen und hisste ein Sonnensegel, mit einem Bootshaken als Rahe. Das Boot war sicherlich übermastet, doch hatte ich die tröstliche Gewissheit, dass ich mit dem Wind aus achtern die anderen beiden Boote schlagen würde. Ich musste auf sie warten. Dann sahen wir uns alle des Kapitäns Karte an und empfingen nach einem gemeinsamen Mahl aus hartem Brot und Wasser unsere letzten Befehle. Sie waren einfach genug: nach Norden halten und so viel wie möglich zusammenbleiben. ‚Seien Sie vorsichtig mit Ihrer Nottakelung, Marlow‘, sagte der Kapitän; und Mahon rümpfte, als ich stolz an ihm vorbeisegelte, seine Adlernase und rief herüber: ‚Sie werden Ihr Schiff da unter Wasser segeln, wenn Sie nicht aufpassen, junger Herr!‘ Er war ein boshafter alter Mann – mag die Tiefsee, wo er nun schläft, ihn sanft und zärtlich wiegen bis ans Ende der Zeit.
Vor Sonnenuntergang ging ein starker Regenschauer über die beiden Boote weg, die weit zurücklagen; und das war für lange Zeit das letzte, was ich von ihnen sah. Den nächsten Tag über saß ich am Steuer meiner Nussschale – mein erstes Kommando – mit nichts als Wasser und Himmel rings um mich. Am Nachmittag sichtete ich die Toppsegel eines Schiffes weitab, sagte aber nichts, und meine Leute bemerkten sie nicht. Ich hatte Angst, das Schiff könnte nach der Heimat bestimmt sein, müsst ihr wissen, und hatte keine Lust, vor der Tür zum Osten umzukehren. Ich hielt auf Java zu. Ein ebenso gesegneter Name wie Bangkok. Ich steuerte viele Tage.
Ich brauche es euch nicht zu sagen, was es heißt, sich in einem offenen Boot herumzutreiben. Ich erinnere mich an Nächte und Tage völliger Windstille, wo wir ruderten und ruderten und das Boot wie behext still zu liegen schien, mitten im Kreis des weiten Seehorizontes. Ich erinnere mich an die Hitze, an die Sintflut der Regenschauer, die uns zu verzweifeltem Schöpfen zwang (aber unser Wasserfass füllte), und ich erinnere mich an die letzten sechzehn Stunden mit völlig ausgetrocknetem Munde, ein Ruder über Heck ausgelegt, um gegen anlaufende See Kurs halten zu können. Bis dahin hatte ich nicht gewusst, was für ein tüchtiger Kerl ich war. Ich erinnere mich noch an die müden, niedergeschlagenen Gesichter meiner beiden Leute, und ich erinnere mich noch an meine Jugend und das Gefühl, das niemals wiederkehren wird – das Gefühl, dass ich endlos aushalten würde, alles überdauern, die See, die Erde und alle Menschen; das trügerische Gefühl, das uns zu Freuden, zu Gefahren, zur Liebe lockt, zu sinnloser Anstrengung – zum Tod; das frohlockende Bewusstsein der Kraft, des blühenden Lebens in dieser Handvoll Staub, der Flamme im Herzen, die mit jedem Jahr trüber brennt, kleiner wird, an Hitze verliert, und auslöscht – auslöscht, zu bald, zu bald – früher noch als das Leben selbst.
Und so sehe ich den Osten. Ich bin in sein Geheimnis eingedrungen, habe einen Blick in die Tiefe seiner Seele getan; aber bis heute sehe ich ihn immer noch von einem kleinen Boot aus, eine Kette hoher Berge, blau, weit weg im Morgenlicht; wie dünner Nebel um Mittag; ein zackiger, purpurner Wall bei Sonnenuntergang. Ich fühle noch das Ruder in meiner Hand, das blendende Flimmern der See in meinen Augen. Und ich sehe eine weite Bai, glatt wie Glas, glitzernd wie Eis durch das Dunkel glänzen. Ein rotes Licht brennt weit weg im Finstern des Landes, und die Nacht ist lind und warm. Wir ziehen mit zerschlagenen Armen an den Riemen, und plötzlich springt ein Windhauch aus der stillen Nacht auf, leise und warm und mit fremden Düften beladen, von Blüten und wohlriechenden Hölzern – der erste Hauch des Ostens in mein Gesicht. Das kann ich nie vergessen. Es war unfassbar und bezaubernd wie eine Feengabe, wie eine geflüsterte Verheißung geheimen Entzückens.
Wir hatten dieses letzte Stück elf Stunden lang gerudert. Zwei ruderten, und der, der gerade zum Rasten an der Reihe war, saß am Steuer. Wir hatten das rote Licht in der Bai gesichtet und darauf zugehalten, in der Annahme, dass es wohl einen kleinen Küstenhafen bezeichnen müsste. Wir kamen an zwei Schiffen vorbei – fremdländisch, mit hohem Heck – die vor Anker schliefen, und während wir uns dem Licht näherten, das nun recht trüb schien, rannten wir mit dem Bootsbug gegen einen vorspringenden Quai. Wir waren blind vor Übermüdung. Meine Leute ließen die Riemen fahren und fielen und rutschten wie tot von den Ruderbänken herunter. Ich legte an einem Pfosten an. Die See kräuselte sich unter einer leichten Strömung. Das duftende Dunkel der Küste türmte sich stumm, phantastisch, in großen Maßen, einem Riesenwuchs wuchernder Vegetation. Der kleine Halbkreis des Strandes an ihrem Fuß erglänzte schwach wie ein Trugbild. Es gab kein Licht, keine Regung, keinen Laut. Der geheimnisvolle Osten lag vor mir, duftend wie eine Blume, stumm wie der Tod, schwarz wie das Grab.
Und ich saß da, müde über jeden Begriff, frohlockend wie ein Eroberer, schlaflos und wie gebannt vor einem tiefen, schicksalhaften Rätsel.
Das Klatschen von Ruderschlägen, die taktfest auf der Wasserfläche widerhallten und gegen das Schweigen des Ufers doppelt laut wirkten, ließ mich auffahren. Ein Boot, ein europäisches Boot kam herein. Ich rief die Namen der Toten auf, rief ‚JUDEA, ahoi!‘ Ein schwacher Laut antwortete.
Es war der Kapitän. Ich hatte das Flaggschiff um drei Stunden geschlagen und war froh, die Stimme des alten Mannes wieder zu hören, zitternd und müde. ‚Sind Sie das, Marlow?‘ – ‚Passen Sie auf das Ende des Quais da auf‘, schrie ich.
Er näherte sich vorsichtig und machte mit der Tiefseelotleine fest, die wir (für die Versicherung) gerettet hatten. Ich ließ meine Fangleine etwas nach und legte mich neben ihn. Er saß ganz gebrochen im Heck, durch und durch nass vom Tau, die Hände im Schoß gefaltet. Seine Leute schliefen schon. ‚Ich habe eine böse Zeit mitgemacht‘, murmelte er. ‚Mahon ist hinter uns, nicht sehr weit weg.‘ Wir unterhielten uns im leisesten Flüsterton, als hätten wir uns gefürchtet, das Land aufzuwecken. Kanonenschüsse, Donner und Erdbeben hätten es damals nicht vermocht, unsere Leute im