Der veruntreute Himmel. Franz Werfel

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Der veruntreute Himmel - Franz Werfel


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der Schriftsteller nicht.« Der Mann hatte recht. Nur wenn bei einer Erzählung alle Grade der Wahrheit in Ordnung sind, von der niedrigen Wahrscheinlichkeit angefangen, über die feinere Richtigkeit und Aufrichtigkeit hinaus bis zu den letzten Übereinstimmungen, nur dann erlebt ein Verfasser das seltene Wunder, daß gleichnisweise die Quellen des erfundenen Lebens wie von selbst zusammenströmen und einen epischen Wasserspiegel bilden, der ihn wie einen glücklichen Schwimmer hochhebt und trägt. Sein Eigengewicht scheint sich dann zu vermindern, und die elementare Wonne des Schöpfertums durchströmt ihn. In solchen Ausnahmefällen ist er Spieler und Zuschauer zugleich, und die Mühe des Schreibens besteht in einem atemlos raschen Ablesen dessen, was in ihm und um ihn schon fertig aufgezeichnet steht.

       Nie war ich von dem hier geschilderten Glückszustand weiter entfernt als in den Sommertagen nach der Abreise meiner Freunde. Die plötzliche Einsamkeit erzwang eine bestürzende Bilanz der Arbeit, an die ich schon fast ein Jahr gewandt hatte. Der historische Vorwurf meines Buches erschien mir mit einemmal ganz verstiegen, seine Menschen steif und ohne Leben, ihre Gespräche erklügelt, ihre Handlungen verdreht, das Ganze unecht und bis zur Sinnlosigkeit mißglückt. Was sollte ich tun? Es war ein sehr umfangreiches Werk, und fünfhundert Seiten etwa hatte ich mir schon abgerungen. Die moralische Kraft besaß ich nicht, diesen hohen Stapel zu vernichten, noch auch die Geduld, das Fertige aufzutrennen und gänzlich neu und anders zu beginnen. Diese Arbeitsart der Penelope ist für die Kunst die einzig richtige. Die Welt aber verwandelte alle vier Wochen ihr Gesicht, und was gestern noch glaubwürdig war, entpuppte sich heute schon als Betrug. Wer konnte da die Ruhe und Festigkeit aufbringen oder auch die Blindheit und Taubheit, um mit unnachgiebigem Eifer an seinem Phantasiegespinst sitzen zu bleiben! Ich versuchte es trotzdem. Jeden Morgen setzte ich mich stöhnend an den Schreibtisch. Ich brachte meine Phantasie in Gang, die mir zu rasseln schien wie eine eingerostete Maschine, und schrieb ein oder zwei Blätter voll. Dann sprang ich auf und lief hinaus wie vom Teufel gejagt. Mitten im herrlichen Tag und in der teuren Landschaft überfiel mich aber dumpfe Verzweiflung, und ich eilte wieder in mein Zimmer zurück, ohne die Strahlenbilder des Morgens genossen zu haben, die starke, nach Honig schmeckende Luft des Toten Gebirges, und ohne dankbar meiner glücklichen Lage innezuwerden, die es mir erlaubte, in solcher Umgebung, wohlgehegt und ziemlich sorgenfrei der geistigen Arbeit nachhängen zu dürfen. Voll Gereiztheit und Ekel las ich das Geschriebene wieder und wieder durch, um es schließlich zu zerknüllen und in den Papierkorb zu werfen. Wie sehnte ich die Heimkunft meiner Freunde herbei, damit ich erlöst werde von dieser täglichen Konfrontation mit meiner eigenen Unzulänglichkeit. Oft war ich nahe daran, auszubrechen und davonzufahren. Ich war nicht mehr sehr jung und war in Einsamkeit aller Art recht beschlagen. Der diesmaligen Einsamkeit aber fühlte ich mich nicht gewachsen und verschmachtete nach wohlwollender Gesellschaft, die ja das beste Schlafmittel für jede Art von Selbsterkenntnis ist. Manchmal wiederum gelang mir ein Satz, eine Passage, ein Charakterbild, ein Szenchen, ich glaubte es wenigstens. Sofort schöpfte ich übermütige Hoffnung und fühlte mich grundlos erleichtert. Aber was hilft ein guter Satz in einem schlechten Zusammenhang? Ich starrte nachher nur noch zerschlagener auf das Papier, als ich's schon vorher getan hatte. Vielleicht werden nur meine Berufskollegen diesen abscheulichen Zustand würdigen können, dieses zermürbende Hin und Her, diese aus heilloser Verwerfung und flüchtigem Selbstbetrug gemischte Hölle? Ich glaubte erloschen zu sein, erledigt, und meine Gabe für immer verloren zu haben.

       Eines Tages entschloß ich mich, bis auf weiteres Schluß zu machen, und sperrte das Manuskript fort, um es mindestens zwei Wochen lang nicht mehr anzusehen. Wie immer, wenn der Mensch einer Anstrengung ausweicht, einer Versuchung erliegt und somit moralisch Schiffbruch erleidet, war die Folge durchaus kein Katzenjammer, sondern ein unglaubliches Wohlgefühl. Ich hatte mir als mein eigener Vorgesetzter einen Urlaub erteilt. Nun durfte ich rechtmäßig die Zeit vertun, mich regelloser Träumerei hingeben, ohne widerstrebende Ausgeburten gewissenhaft aus dem Nichts heranbannen zu müssen. Ich war befreit, dachte an die unglückselige Arbeit nicht mehr, ging spazieren und fühlte mich passabel.

      Der Park zu Grafenegg bestand aus verschiedenen Teilen. Vor der Stirnseite des Hauses lag ein mächtiger Rasen, Tummelplatz der Kinder und ihrer Gespielen, solange sie klein waren. Rechter Hand dehnte sich ein weiter Obsthain, der den Blick auf Glashaus, Wirtschaftsgarten und Kartoffeläcker verhüllte. Auf der anderen Seite sank das Grundstück allmählich zur Straße hinab. Hier standen in großer Dichtigkeit die edelsten alten Bäume, Ulmen, Platanen, echte Kastanien, Blutbuchen von einer Höhe und Schönheit, wie ich sie sonst nirgends gesehen habe. Ein Stück hinter dem Hause begann aber der eigentliche, der ›wilde‹ Park, eine Berglehne emporsteigend. Auf der Höhe verlor er sich in einen endlosen Lärchenwald, der nur teilweise zu Argans Eigentum gehörte. Die alte Einfriedung war dort auf lange Strecken eingestürzt, und die eigentumsmäßige Natur ging in herrenlose Natur über, ohne daß man die Grenze sah. Dieser Teil des Parks und der anschließende Berg, der in einem recht verlassenen und ungebahnten Höhenrücken verebbte, war die Stätte meiner täglichen Entdeckungsfahrten. Hier gab es sogenannte ›Platzln‹ in großer Menge, und nach zehnjähriger Vertrautheit mit dieser Gegend konnte es noch immer geschehen, daß man auf einen neuen Punkt, auf eine unbekannte Baumgruppe und einen überraschenden Ausblick stieß.

       Einmal, es war schon ziemlich spät am Nachmittag, hörte ich durch das dunkle Sausen der Lärchen hindurch von fern den zirpenden Laut einer Zither und ein sonderbar dünnes Stimmchen dazu, das dann und wann von dem schmerzlichen Heulen eines Hundes begleitet wurde. Ich folgte dem Klang und kam auf eine ziemlich große Lichtung, die noch innerhalb des Parks lag. Hier mußte vorzeiten ein geringes Anwesen gestanden haben. Ein ganz und gar vermorschter Brunnentrog sprach dafür und zwei mächtig schöne, wohl hundertjährige Linden, die gerade abgeblüht hatten, jetzt erst vor Maria Himmelfahrt, wie überall im Hochgebirge. Unter der durchgoldeten Kuppel dieser Linden befand sich eins der berühmten Platzln, die halb zusammengestürzte Ruine eines groben Tisches und einer wackligen Bank. Auf dem Tisch lag der Zitherkasten. Unter die Saiten war ein Notenblatt geschoben. Daneben häuften sich ganze Berge von gesammelten Kräutern, Minze, Erika, Thymian, deren Duft mich erreichte. Auf der Bank saß Teta, den Hund Wolf zu ihren Füßen, diesen ältesten und grimmigsten Veteranen der Meute von Grafenegg, gefürchteten Wächter und geschworenen Feind aller Briefträger der seiner reizbaren Gemütsart wegen sonst stets an der Kette liegen mußte. Wolf war blind. Doch weder Alter noch Blindheit hatte ihm zu einer abgeklärten Betrachtung des Lebens verholfen. Er war bei meinem Kommen aufgesprungen, starrte mich aus der opalisierenden Verglasung seiner Äugen bitterbös an und knurrte leise, aber aus ganzer Seele. Auch die alte Magd hatte sich erhoben. Sie mahnte den Hund, ohne ihn anzublicken

      »No, was ist denn, Hundl? Was hat der Burschl? Das ist doch der gnä' Herr ...«

      Wolf überlegte eine Weile, ob er dieser beruhigenden Kundmachung trauen dürfe, dann ließ er sich voll abweisenden Unmuts auf seine Pfoten nieder und gab mir zu fühlen, daß ich ihm, als unerwünschter Eindringling, eine schöne musikalische Stunde verdorben habe. Teta aber blieb stehen und sah mich aus ihren merkwürdig hellen und schönen Augen erwartungsvoll an. Mir fiel ein, daß ich von Doris öfters folgenden Satz gehört hatte: »Soeben bin ich Fräul'n Teta mit Herrn Gemahl begegnet.« Unter dem Herrn Gemahl wurde Wolf verstanden dem seine Gönnerin den zärtlichen Kosenamen ›Burschl‹ verliehen hatte. In Grafenegg gab es ein paar edle und schöne Hunde, einen Dobermann, einen Setter, einen reizenden Pudel. Teta aber behandelte all diese wohlgeborenen Hausgenossen mit ausgesprochener Feindseligkeit. Ihre eifersüchtig erbitterte Liebe galt einzig dem blinden, sehr unsympathischen Kettenhund, und es ging die Sage, daß kein Braten auf den Tisch komme, von dem der Wolf nicht schon vorher den Löwenanteil erhalten habe. Alljährlich bei der Übersiedlung nach Grafenegg pflegte Teta das Gepäck der Familie Argan um einige Handkörbe und verschnürte Pappschachteln zu vermehren, in denen sie allerlei abgesparte und zum Teil versteinerte Leckerbissen für ihren angejahrten Liebling mitführte. Niemand wagte es ihr wegen dieses widerwärtigen Brockenzeugs Vorstellungen zu machen. Fräul'n Teta, wie die alte Frau auch von der Herrschaft genannt wurde, hatte es verstanden, sich im ganzen Hause Respekt zu verschaffen. Man ging mit ihr vorsichtig um. Auch ich verspürte jetzt etwas von diesem sonderbaren Respekt, als ich auf sie mit dieser Entschuldigung zutrat:

      »Es tut mir leid, daß ich Sie gestört hab', Fräul'n Teta. – Sie haben da Musik gemacht. – Das versteht sich von selbst in


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