Der veruntreute Himmel. Franz Werfel

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Der veruntreute Himmel - Franz Werfel


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Ich entnehme ihn nicht nur Livias Bericht, wie er mir von jener schönen Sommerstunde her in Erinnerung geblieben ist, sondern kann ihn durch die Mitteilungen des Kaplans Johannes Seydel ergänzen, mit dem ich vor einiger Zeit in Paris Freundschaft geschlossen habe. In solchen Fällen sagt man mit Recht: »Die Welt ist klein.« Seydel ist der nämliche Geistliche, welcher der alten Magd in den letzten Tagen ihres Lebens und Sterbens Beistand geleistet hat. Die Argwöhnische und Verschlossene hat ihm ihr Herz geöffnet und sämtliche Dokumente ihres Erdenwallens hinterlassen. Er bewahrt als ein merkwürdiges Andenken an einen merkwürdigen Menschen die bewußten Briefe auf, von denen sogleich die Rede sein wird. Johannes Seydel, achtundzwanzig Jahre alt, das Idealbild eines katholischen Seelsorgers und Menschenfreundes, lebt nun – wie könnt' es bei ihm auch anders sein – in der Verfolgung und in der Verbannung.

       Die Argans waren Teta Lineks siebenter und letzter Posten. Das beweist, daß sie in ihrer fünfundfünfzigjährigen Dienstzeit nur ganz selten ihren Arbeitsort wechseln mußte und trotz der von Livia angedeuteten Untugenden sich die dauerhafteste Zufriedenheit ihrer Brotherren von Anfang an erwarb. Sie kam, wie so viele ihresgleichen, als fünfzehnjähriges Bauernmädel aus dem mährischen Lande in die Residenz der damaligen Monarchie. Ihr Geburtsdorf hieß Hustopec. Den Aufstieg vom Abwaschmädel zur »perfekten Köchin« und dann zur Diva ihrer Kunst hatte Teta außer ihrer Begabung verschiedenen Eigenschaften zu danken, die bei den strengen Hausgebieterinnen hoch in Gunst standen. Sie schmuggelte niemals Männer ins Haus, uniformierte Männer gar, auch in ihrer blühenden Jugend nicht. Sie kam niemals wie andere Dienstmädchen von ihren Ausgängen nach Mitternacht heim, in verwahrlostem Zustand, mit zerzausten Haaren, ein unordentliches Lachen auf den betrunkenen Zügen. Sie verzichtete zumeist auf diesen ihr allwöchentlich gebührenden Ausgang und verbrachte den Sonntag in ihrem Kämmerlein, immer zu Diensten stehend. Daß sie täglich um sechs Uhr zur Morgenmesse ging, störte keineswegs die Hausordnung, sondern brachte Teta schon sehr früh in den vertrauenerweckenden Ruf frommer Würdigkeit. Auch wurde sie nur ziemlich selten von Angehörigen heimgesucht. Davon gab es in der Hauptstadt eine ansehnliche Menge, die erst durch die Macht der Jahre auf zwei Frauenspersonen herabgemindert wurde, die beiden Schwestern Tetas. Sie aber besaß nur sehr wenig Familiensinn. Auch lag der Dienerin eine seltsam strenge Auffassung ihres Berufes seit Generationen im Blute. Sie empfand Familienbesuch im Hause der gnä' Herrschaft als ungehörig und der guten Sitte widersprechend.

      Damals – sie hatte bereits ihr vierzigstes Jahr erreicht – war sie bei dem Herrn Sektionsrat im Unterrichtsministerium Slabatnigg in Dienst. Eines Sonntags im Juli, die Herrschaft war glücklicherweise ausgegangen, erschien ein ländlich gekleidetes Weib bei ihr, das einen zehnjährigen Jungen an der Hand führte. Sie erkannte nicht sofort die Witwe ihres jüngst verstorbenen Bruders Mojmir Linek. Kein Wunder, hatte sie doch diese Frau nur zweimal im Leben gesehen. Dem Bruder Mojmir wahrte Teta keine sehr achtungsvolle Erinnerung. Er war niemals über Hustopec hinausgekommen, hatte dort sicherem Vernehmen nach den ererbten Hof vertrunken und sich schließlich als gemiedener Ortsalkoholiker mit irgendwelcher Flickschusterei bis zum verdienten frühen Ende fortgebracht. Ohne Wohlwollen betrachtete die Tante den kleinen Neffen, der Mojmir hieß wie sein Vater und sie aus eigentümlich verschwollenen Schlitzaugen eindringlich abschätzte.

      »Es ist ein Elend«, jammerte die Witwe, »mein Alter hat immer gewollt, daß aus dem Mojmir da was wird, ein Herr Doktor oder so, denn gescheit ist dir das Bübchen und zu gut fürs Land, und es war sein letzter Wunsch, der Arme, Gott verzeih' ihm, und du bist doch die Schwester und ledig und hast gute Stellungen und Ersparnisse ...«

       »Woher weißt du, daß ich Ersparnisse hab'?« fuhr Teta auf. »Ich hab' keine Ersparnisse, mit Erlaubnis ...«

      Die Mutter aber schob den Knaben vor, drückte mit der Hand sein bäurisch widerstrebendes Scheitelhaar nieder und nestelte erregt an seinem Feiergewand herum:

      »Schau dir doch nur das Bübchen an, Schwägerin, den Sohn deines einzigen Bruders. – Was soll ich tun, daß der letzte Wunsch vom Seligen in Erfüllung geht? – Der Herr Lehrer sagt, so einen wie den Mojmir da gibt's in der ganzen Schul' nicht zweimal – er kann dir alles auswendig. – Steh grad, Bub, und sag dem Tantchen etwas auf.«

      Mojmir streckte sich, schnupfte den Rotz hoch, machte eine kurze Verbeugung und begann über Stock und Stein ein Gedicht herzuplärren mit seiner krähenden Knabenstimme, von der die erstaunte Küche des Hofrates Slabatnigg hell erschallte. Es war ein Gedicht des Dichters Neruda und hieß »Die Mittagshexe«. Er hatte noch kaum geendet, als ihn der zwinkernde Blick der Mutter mahnte, diesem Gedicht in Tetas schon halb vergessener Muttersprache ein zweites in bestem Deutsch folgen zu lassen. Darauf plärrte der Junge Schillers »Alpenjäger« in entschlossenem Geschwindschritt her:

      »Willst du nicht das Lämmlein hüten?

      Lämmlein ist so gut und sanft.

      Nährt sich von des Grases Blüten,

      wachsend an des Baches Ranft.«

      Nach dem schallenden Vortrag blickte er Mutter und Tante lohnheischend an wie ein Musikant, der jetzt mit dem Teller einsammeln gehn will. Teta aber gab kein Lobeswort von sich, sondern zog den Jungen zum Fenster, hob sein Kinn hoch und betrachtete sein sommersprossiges und inhaltloses Gesicht mit fragender Eindringlichkeit. War er wirklich so stürmisch und kühn wie der Knabe in dem Gedicht, der Gemsenjäger werden wollte und sonst nichts anderes? Die Mutter, durch diese Prüfung unruhig gemacht, zischte ihm etwas zu, und Mojmir leierte sofort folgenden eingelernten Satz herunter:

      »Wenn das liebe Tantchen uns hilft, dann will ich auch recht brav sein und mich dem lieben Tantchen bis zum Lebensende stets dankbar erweisen.«

      »Wie kann ich euch helfen«, brummte Teta, »ich bin arm wie ihr.«

       Dann aber ging sie zum Herd, wärmte Kaffee auf, zog unter ihrem Bett einen beiseite geschafften Guglhupf hervor und servierte ihren Gästen den Imbiß. Der kleine Mojmir entwickelte für sein Alter einen hochansehnlichen Appetit und bat dreimal um eine weitere Kuchenschnitte, wobei die beschämte Mutter Tränen in die Augen bekam und aufschluckte:

      »Das muß ich sonst alles schaffen mit meiner Hände Arbeit, eine alleinstehende Witwe.«

      Beim Abschied aber, nachdem sie sich die ganze Zeit über kühl und ziemlich unzugänglich verhalten hatte, sagte Teta plötzlich: »Wegen dem Buben da werd' ich mit der gnä' Frau Hofrätin bittlich sprechen.«

      Zuletzt holte sie eine Nickelmünze hervor und steckte sie dem Mojmir zu. Die Hand des Jungen schloß sich schnappend um das Geldstück wie der Rachen eines Raubfisches.

      In Erfüllung ihres Versprechens trat Teta am nächsten Tag festlich gekleidet und mit ihrem umständlichsten Knicks in den Salon der Gebieterin. Diese neigte der Bitte ihrer Magd freundlich das Ohr und erwirkte bei ihrem Gemahl, den Sektionsrat des Unterrichtsministeriums, daß der Linek Mojmir aus Hustopec einen Freiplatz am Gymnasium und Internat zu Olmütz erhielt. Während Teta nämlich im Lichte des Küchenfensters das sommersprossige und inhaltslose Knabengesicht betrachtet hatte, war in ihrer Seele der große, bisher nur undeutlich umträumte Lebensplan zu fester Gestalt gediehen.

       Mit vierzig Jahren hatte Teta bereits dasselbe Altfrauengesicht wie später mit sechzig. Sie erfuhr demnach an sich selbst, wenn sie in den Spiegel schaute, die bedenkliche Kürze dieses Erdenlebens. Ein Tag folgte dem andern, zuerst in gemächlichem, dann in beschleunigtem Ablauf, und kein Tag unterschied sich vom andern. Es war immer dasselbe: erwachen, ankleiden, Morgenmesse, Feuer machen, Frühstück kochen, aufräumen, einkaufen gehen, Mittagessen zubereiten, Geschirr waschen, Tee oder Kaffee am Nachmittag, die verausgabten Summen zusammenrechnen, Abendessen richten, Geschirr waschen, die Küche säubern, schlafen gehen. Teta beklagte sich keineswegs über diesen eintönigen Wandel. Sie arbeitete gern. Sie konnte nicht behaupten, daß dieses Leben für sie ein Jammertal war. Den meisten andern Weibern erging es weit schlimmer. Die hatten zu aller Plage noch Not und Tod im Haus, Lungerer oder Trunkenbolde oder Arbeitslose oder Kriegssoldaten oder verkommene Heimkehrer als Männer; Fehlgeburten, kranke Kinder, alle paar Jahre eine Leiche auf der Bahre und tagaus, tagein nichts als Gefrett und Unglück. Wenn auch dergleichen Schreck und Schmerz Teta erspart blieb, so fühlte sie doch, daß ihr mit all diesen bösen Dingen zugleich etwas entging, was die unglückseligste


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