Der veruntreute Himmel. Franz Werfel

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Der veruntreute Himmel - Franz Werfel


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wolle er stets darin sehen, Tantchen mit Inbrunst in sein tägliches Gebet einzuschließen und ihr damit geistlicherweise Dank abzustatten, um einst in späterer Zeit diesen Dank zu verhundertfachen und als Sohn mit persönlicher Fürsorge zu verbinden. Im Postskriptum dieses herzbewegenden Briefes fügte er hinzu, daß eine letzte größere Zuwendung sich leider als notwendig erweise. Seine Wäsche sei zerrissen, wie Tantchen sich's denken könne, sein Schuhwerk ohne Sohlen. Aller Mittel und jeder Hilfe bar, wisse er nicht, womit er die teuren Anschaffungen bestreiten solle, um als Gottesmann in allen Lagen würdig bekleidet und gestiefelt einherzutreten. Auch hätten sich gewisse der Armut entsprungene Schulden angehäuft, die für einen Studenten verzeihlich sind, einem Priester aber nicht wohl anstehen. Er müsse sie unverzüglich zurückzahlen, ehe er in Gottes Namen seinen Weg beginne. Alles zusammengerechnet werde er bei größter Knappheit diesmal unter einem Tausender nicht auskommen.

       Teta setzte sich auf ihren Küchenstuhl und las den Brief wohl zehnmal von Anfang bis Ende durch. Die Fotografie lag auf ihrem Schoß. Wenn sie sich in das Bildnis versenkte, glaubte sie an den edlen und schmalen Asketenzügen wie von ferne, wenn auch durch Studium und Weihe verklärt, das Gesicht des Jungen durchschimmern zu sehen, der sie vor vollen achtzehn Jahren durch seine schallende Deklamation zur Verwirklichung ihres Lebensplanes überredet hatte. Ernst und unnahbar war Mojmirs schönes Gesicht, daß ihr das Herz aufging davon. Ernst war sogar hinter dem Jünglingskopf das Gewölk, das die Stirn feierlich zu runzeln schien. Nun war das gute und das fromme Werk getan, dessen Verdienst einzig ihr angehörte. Mußte der Herrgott selbst ihr nicht dankbar sein? Nur durch ihre entbehrungsvolle Treue wurde jetzt täglich in der Welt eine Messe mehr gelesen; eine Hand mehr spendete den Leib des Herrn aus. Sie, die Köchin Teta Linek, hatte somit die Dienerschaft Christi auf Erden vergrößert und das Heil der Welt vermehrt. Sie atmete tief und bekreuzigte sich. Dann aber nahm sie Brief, Bild und Zeugnis und ging damit zu Livia Argan. Sie machte ihren altgewohnten Knicks und bat, die Gnädige möge ihr den Lohn eines Jahres im voraus und auf einmal bezahlen. Die Herrin las die Dokumente aufmerksam durch und empfing von Mojmirs Stil und den Begleitumständen einen Eindruck, über den sie selbst nicht gleich ins klare kam. Livia aber wäre nicht Livia gewesen, hätte sie die Bitte ihrer Magd abgeschlagen. So wanderte ein schöner runder Tausender zu dem jungen Priester, damit er in würdig neuer Ausrüstung sein Amt antrete.

      Die Argans bezahlten, ihrer großherzigen und leichtsinnigen Art gemäß, ihr Personal besser als andere Häuser. Teta zum Beispiel erhielt damals einen Monatslohn von hundertdreißig Schilling. Sie war in einem gastfreien Hause, das mittags und abends nur zu oft einer Einkehrstätte glich. Dies verdoppelte und verdreifachte ihre Arbeit, so daß die Alternde manchmal gar nicht mehr nachkommen konnte. Mit verdrießlicher Hast fuhrwerkte sie in ihrer Küche herum und verfiel solcher Unpünktlichkeit, daß man ihr heimlich den Minutenzeiger der Uhr vorrückte. Andrerseits aber verging kein Tag, an dem es nicht üppige Trinkgelder regnete. Die Kasse der gewiegtesten aller Sparerinnen füllte sich daher schnell wieder auf.

       Eine Zeitlang fehlten in den ebenso schwungvoll verfaßten wie kalligraphierten Briefen des jungen Kooperators die leidigen Nachschriften, obwohl in Nebensätzen jedesmal auf »Mutter Sorge« hingewiesen wurde, die ihn nicht freigab. Die Gewöhnung aber hatte sich schon so tief in Tetas Seele eingegraben, daß sie immer wieder Liebesgaben herrichtete und dann und wann auch kleine Geldgeschenke sandte. Sie tat's jedoch nicht nur aus Gewöhnung und weiblicher Obsorge, sondern auch aus einer dunklen Angst, sie könnte die Verbindung mit ihrem Mittler plötzlich verlieren, dessen große Aufgabe ja noch lange nicht vollendet war. Täglich am Morgen und am Abend starrte sie sein Bild an, das nun über ihrem Bette hing, stets mit edlen Blumen geschmückt. Noch immer war in ihr keine Liebe zu dem Ziehsohn erwacht, den sie durch ihrer Hände Arbeit erworben hatte, ohne ihn mehr als ein einziges Mal im Leben gesehen zu haben. An Stelle der früheren Gleichgültigkeit aber trat jetzt eine mütterlich eitle Schwärmerei für ein geweihtes und unendlich überlegenes Wesen, das zwar nicht ihrem Schoße, dafür aber um so mehr ihrem Willensentschluß entsprungen war. Sie allein hatte es vermocht, den sommersprossigen Bauerntolpatsch in diesen ätherisch sinnierenden Jüngling zu verwandeln, der beinahe dem betenden Einsiedler auf ihrem geliebten Farbdruck glich.

      So vergingen einige Jahre, in denen der Neffe in geräumigen, aber regelmäßigen Abständen über seine Gehilfentätigkeit an der Pfarrkirche von Straschnitz Bericht legte. Er klagte darüber, daß diese Tätigkeit zumeist sehr düstere Ämter beinhalte, als da sind Einsegnungen, Begängnisse, Grabreden und Seelenmessen. Auf ihm laste alle Arbeit, während die Trauergebühren und die von den Hinterbliebenen freiwillig entrichteten Geschenke zumeist dem älteren Herrn zugute kämen. So stehe auch hier wie überall anders das grimmige Alter der aufstrebenden Jugend feindlich im Wege. – Teta war nicht übel zufrieden mit diesen düsteren Ämtern, bildeten sie doch eine glänzende Vorschule für den wichtigsten Dienst, den der Berufene ihr selbst einst würde zu leisten haben.

       Einmal wäre es fast zu einem Besuche Mojmirs gekommen. Der Neffe teilte Teta mit eifrigen Worten mit, daß er sich sehne, ihr endlich Aug in Aug gegenüberzustehen, und jetzt gerade habe er Zeit und eine billige Möglichkeit der Reise nach dort, und sein Herz poche vor Freude beim Schreiben, und das Ganze lasse sich unschwer mit zwei Hundertern höchstens bewerkstelligen. Teta warf einen langen Blick auf das Bild des Brudersohnes, dann aber setzte sie sich hin, nahm eine der gewohnten Postkarten und lehnte mit ihrer schiefen, ungelenken, kindhaften Kurrentschrift das Anerbieten dieses Besuches ab. Diese Ablehnung hatte recht verwickelte Ursachen. Ihr ganzes Wesen sträubte sich gegen eine Geldausgabe ohne praktischen Zweck sowie gegen eine freudige Begegnung, die sie sich selbst bezahlen mußte. Und dann? Würde es überhaupt eine freudige Begegnung werden? Da war eine unbehagliche Scham in ihr. Was sollte sie, die Köchin, in der Küche zwischen Herd und Abwasch mit dem Hochwürdigen anfangen, mochte dieser auch seine gelehrte und geweihte Lebenshöhe nur ihr allein verdanken? Sie kostete die Lächerlichkeit vor – ein geistlicher Herr auf dem Küchenschemel – und ihre eigene quälende Verlegenheit dazu. Allzu tief lebte in ihr der angeerbte Standestakt des dienenden Volkes alter Generation. Doch darüber hinaus war's noch ein dunkleres Unbehagen, das ihr die absagende Feder führte. Hochwürden Mojmir Linek, der gehörte bisher ihren Gedanken allein. Warum sollte sie den makellosen Hochwürdigen ihrer Gedanken dem Hochwürdigen der Wirklichkeit entgegenstellen? Noch war's ja nicht notwendig. Noch nicht ...

      Hochwürden nahm die Zurückweisung mit freundlicher Ergebenheit hin. Tantchen habe recht wie immer, seufzte er schriftlich, der Himmel wolle es nicht leiden, daß sich die Armgeborenen ihre irdische Prüfungszeit durch die Erfüllung lieber Wünsche erleichtern. Nicht viel später aber geschah etwas Großes, das wie ein Blitz die unruhig emporstrebende Seele Mojmirs beleuchtete und Teta in heftige Erregung versetzte. Sie erhielt einen dicken unfrankierten Brief, für den sie ein beträchtliches Strafporto entrichten mußte. Ich selbst habe diesen Brief bei Kaplan Seydel in Paris gesehen. Wir unterhielten uns lange über die Geschichte der alten Magd, die einen Berührungspunkt zwischen uns bildete, eine Geschichte übrigens, in der sich eine Groteske mit einer Legende verschlingt. Ich bin daher in der Lage, diesen Brief teilweise rekonstruieren zu können. Mag auch der Wortlaut da und dort anders sein, Sinn und Ton entsprechen genau dem Original:

       »Meine liebe Tante«, schrieb der Neffe, »ich bin gezwungen, Ihnen einen Schmerz zu bereiten, wie ich hoffe, das erste Mal im Leben. So wehe mir dieser Schmerz selbst tut, ich kann nicht anders. Ich ertrage dieses so wenig verdienstvolle und so sehr langweilige Leben nicht länger. Noch bin ich jung. Noch ist die Flamme des Ideals nicht erloschen in mir. Zum untergeordneten Bürokraten der letzten Dinge des Menschen fühl' ich mich zu gut. Mein noch so heißes Herz treibt mich an, nach höheren Verdiensten zu greifen, die einst nicht nur mir, sondern auch Ihnen zugute kommen sollen, Tantchen. Teile daher mit, daß ich mich unwiderruflich entschlossen habe, in die Mission zu gehen. Die Väter von Sankt Gabriel bereiten eine Expedition nach Patagonien vor. Dies ist das sogenannte Feuerland, wo aber keine Hitze, sondern große Kälte herrscht, denn es grenzt an das südliche Polargebiet. Das ist auch der Grund, warum die persönliche Ausrüstung jedes Missionars auf achtzig englische Pfunde zu stehen kommt, zwei Tausender in Eurem Gelde. Damit werden nur die allernotwendigsten Bedürfnisse für drei Jahre gedeckt. Jeder Teilnehmer muß diese Summe erbringen. Für alles andere kommt Sankt Gabriel auf. Einige Posten für junge Missionare waren ausgeschrieben. Ich habe mich bereits gemeldet, verzeihen Sie mir. Meine Aufgabe wird


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