Der veruntreute Himmel. Franz Werfel

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Der veruntreute Himmel - Franz Werfel


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diese zornige Tätigkeit:

      »Wer ist Ihre Volksgenossin? Ich bin nicht Ihre Volksgenossin. – Und überhaupt, ich hab' Sie mir gestern beim Kartoffelhäufeln angeschaut, Herr Bichler – ein junger Mensch, der bei der Landarbeit einen Sessel braucht, um sich draufzusetzen wie im Büro, der kann nicht mitreden – der versteht nichts von solchen Sachen. – No, was sagst du, Burschl?«

      Auf diese deutliche Aufforderung hin mischte sich der Hund mit heftiger Parteinahme ins Gespräch. Ich spürte geradezu hinter der geschlossenen Tür, wie dieser grimmige Kavalier der Köchin den Propagator verbellte, so daß dieser wahrscheinlich blaß wurde und zurückwich. Nach ein paar Sekunden wies Teta den Burschl zur Ruhe und schloß den Disput mit barscher Sachlichkeit:

      »Es ist halber zwölf – der Herr muß sein Essen pünktlich bekommen. Stören Sie mich nicht länger.« – Ich entfernte mich leise, ohne meine Pfeife angezündet zu haben.

       Abends gegen acht Uhr erlitt ich einen starken Anfall von Depression. Dergleichen Zustände hatten mich in früheren Zeiten öfters angewandelt, waren aber seit meinem vierzigsten Jahr beinah ganz verschwunden. Es begann wie immer mit einer Blutleere im Kopf, mit Herzgeflatter und einer Auskältung aller Glieder. Der Tod atmete eisig meinen Nacken an. Mir war, als ob sich ein unausdenkbar-unabwendbares Unglück von allen Seiten heranwälze. Nein, ich, dieses Zimmer, dieses Haus, dieses ergrauende Land vor dem Fenster, wir alle schienen vielmehr mit der donnernden Geschwindigkeit eines Schienenautos mitten hineinzufahren in dieses harrende Unglück, das nebelhaft und doch unbeweglich auf seiner Stelle thronte wie vom Beginn der Schöpfung her. Ich warf mich aufs Bett, um von diesem Unentrinnbaren, dem wir entgegensausten, nichts mehr zu wissen. Erst als es ganz finster geworden war, zersprang die Klammer um meinen Kopf. Nichts blieb übrig als das fadschmeckende Bewußtsein von der arktischen Einsamkeit meines ganzen bisherigen Lebens, eines somit heillos verpfuschten Lebens. Ich schlich mich feige aus dem Zimmer. Ich mußte lebendige Wesen sehen, die Bichlers, Teta, die Hunde ...

       Die Küche, in die ich ging, war schon ausgelöscht und leer. Da stieg ich in den Mansardenstock hinauf, wo das Hauspersonal wohnte. Die Angst war noch immer da. Mein Herz arbeitete schnell, und ich mußte mich überwinden, um mich nicht lächerlich zu machen und wie ein furchtsames Kind nach Teta zu rufen. Ich hatte das unsinnige Gefühl, niemand anderer könne mich sicherer vor dem Tode retten als die alte Magd mit ihren Vergißmeinnichtaugen und breiten Backenknochen. Am Ende des Ganges drang durch eine Türritze ein Strich von Licht. Ich klopfte zweimal an. Keine Antwort. Teta war nicht da. Ich öffnete die Tür. Ein echtes Mägdekämmerchen. Auf dem schmalen Bett lag eine Decke, auf der in farbiger Netzstickerei eine Schäferszene mit ausgeblaßten Rokoko-Figuren dargestellt war. Diese rührend vergilbte Decke bildete zweifellos das wohlbehütete Eigentum Tetas, wahrscheinlich ein Erbstück, das sie auf ihrer ganzen Lebensreise begleitete. Die Kammer war vollgeräumt mit Körben, Schachteln, Paketen aller Arten. Die beiden altertümlichen Strohkoffer, die fest versperrt waren, schienen nicht hinzureichen, um die Habseligkeiten und den Krimskrams der Köchin aufzunehmen. In einer Ecke häuften sich die getrockneten Kräuter in verschiedenen Hügeln. Der scharfe Geruch der Minze schlug mir entgegen. Auf dem Fensterbrett standen zwei Levkojenstöcke, auf dem Tischchen zwei Wassergläser mit Zyklamensträußen. Über dem Bette, wo ich eine Muttergottes vermutet hätte, hing unter Glas und Rahmen der Farbdruck eines jungen, bildschönen Heiligen, der mitten in einem ungelenken Walde vor seiner Klause im Gebet versunken kniete, während sich das allzu körperliche Engelgedränge seiner Vision aus einer fast giftig lazuliblauen Himmelswunde auf ihn herabsenkte. Das Gesicht des Ekstatikers aber war jugendfrisch, überaus süßlich und stand in fröhlichem Widerspruch zu dem durch Entsagung erworbenen Heiligenschein. Unterhalb dieses anspruchsvollenGemäldes hing ein zweites, aber bescheideneres Bild, ebenfalls unter Glas und Rahmen. Es war die Fotografie eines jungen Geistlichen im Chorrock, der das Brevier in Händen hielt. Seine Augen blickten schwärmerisch und kurzsichtig in die Ferne, als hätten sie soeben erst von dem erbaulichen Texte aufgesehen. Diese Fotografie im sogenannten Kabinettformat schien schon manches Jahr alt zu sein. Die pathetische Haltung des jungen Priesters bewies das sowie die unnatürlichen Wolken, die hinter seinem Kopf zu einem ewig drohenden Wetter geronnen waren. Ähnliche Bilder mit solchen feierlichen Prospekten im Hintergrund werden noch heute von den Schnellfotografen der Jahrmärkte aufgenommen. Hinter dem Rahmen steckten ein paar drahtige Stengel von pelzigem Edelweiß, auch diese vielleicht schon einige Jahre alt. Ohne einzutreten besah ich mir lange das Zimmerchen, und derselbe Eindruck von merkwürdiger Abgeschlossenheit und Festigkeit wie vor zwei Tagen ergriff mich. Hier hauste jemand, der mittels ein paar armseliger Dinge einem engen Raum den Stempel seines Wesens aufzudrücken vermochte. Ich fuhr zusammen, als ich Tetas Stimme plötzlich hinter mir vernahm. Da sie in Filzschuhen ging, hatte ich ihr Kommen nicht bemerkt. Aus ihren Worten glaubte ich Mißtrauen und Unwillen herauszuhören:

      »Was wünscht der gnä' Herr dahier?«

      »Ich fühl' mich nicht besonders wohl, Fräul'n Teta«, sagte ich verlegen, »vielleicht bekomm' ich ein Fieber. – Es wär' nett von Ihnen, wenn ich einen Tee haben könnt'. – Ich hab' Sie gesucht.«

      Teta warf mir einen prüfenden Blick zu. Dann trat sie zu ihren Kräutern und begann in den Häuflein emsig zu wühlen:

      »Da hab' ich einen Tee«, ächzte sie während des Suchens, »der bringt jede Erkältung weg und Kopfweh und verdorbenen Magen in einer halben Stund' wie ein Wunder.«

      Und indem sie, noch immer gebückt, die Mischung bereitete, blinzelte sie zu mir herüber:

      »Der Tee wird gleich fertig sein. – Geh' der gnä' Herr nur in sein Zimmer – wenn ich bittlich sein darf.«

      Teta hatte mich nicht nur nicht aufgefordert, bei ihr einzutreten, sondern sie schickte mich fort. Vermutlich mochte sie es gar nicht leiden, wenn irgendwer ihrem Sanctissimum zu nahe kam. – »Da mach' ich Ihnen wieder einmal Mühe«, entschuldigte ich mich.

       »Mit Erlaubnis, das ist keine Müh', bitte. – Der gnä' Herr sind ja immer allein und studieren so viel bis in die Nacht. – Und die gnä' Herrschaft hat befohlen, daß ich auf den gnä' Herrn schaun tu. – Ich werd' auch eine Wärmflasche heiß machen.«

      »Fräul'n Teta«, sagte ich, »unsere gemeinsame Wirtschaft geht jetzt zu End. Übermorgen kommen die Herrschaften zurück, ich hab' Nachricht bekommen. – Da möcht' ich mich Ihnen erkenntlich zeigen ...«

      Ich zog einen Geldschein aus der Tasche und drückte ihn ihr in die Hand, hatte aber dabei die peinliche Empfindung, etwas Unangemessenes zu tun. Sie jedoch schloß die Faust ziemlich gierig um das Geld und ließ es schnell in ihre Schürzentasche verschwinden, wobei sie sich mit einem kleinen Auflachen zierte: »Aber was tun der gnä' Herr da? – Nein, so was! – Das wär' ja gar nicht nötig!«

      Ich mußte ihr die Hand entziehen, die sie nach Art alter Mägde zu küssen versuchte. Nur um einen Abschluß zu finden, deutete ich auf den Farbdruck des Heiligen über dem Bette hin: »Ein schönes Bild haben Sie da hängen, Fräul'n Teta.«

      Sie nickte mehrmals, während sie tief aufseufzte: »Ja, das Bild ist eine Pracht.«

      Mein Blick aber blieb lange an der Fotografie des jungen Geistlichen mit dem Brevier hängen. Zwischen Teta, dieser Fotografie und mir ging etwas Undeutliches vor. Ich fühlte, daß mich Teta von der Seite verstohlen ansah, als fürchte sie eine Frage, die zu beantworten sie nicht gesonnen war. Ich aber fragte nichts.

      Ein Lebensplan

      Livia hatte von den Festspielen erzählt, von der buntgemischten, erregten Welt jenseits des Toten Gebirges, die nur eine kleine Autostunde und zugleich sternenweit von unserem Grafenegg entfernt lag. Nach Tisch war ein gewaltiges Alpengewitter niedergegangen. Nun aber hatte sich eine durch den Aufruhr entkräftete Augustsonne hervorgekämpft und umspülte angenehm die Terrasse, auf der wir saßen und in den erschöpften und reingeweinten Park hinaussahen. Wir waren allein.

      »Und du, Theo«, fragte Livia, »warst du gut aufgehoben und hast anständig gearbeitet all die Tage?«

      »Aufgehoben war ich herrlich, wie immer bei euch, und gearbeitet hab' ich – ganz anständig.«


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