Die Therapie entdeckt die Familie. Dr. med. Günther Montag

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Die Therapie entdeckt die Familie - Dr. med. Günther Montag


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meine Wut?

       Zu wem führt mich meine „Verrücktheit“?

      Wie kann man systemisch im Einzelgespräch arbeiten?

      Ein kleiner Ersatz für „lebende“ Aufstellungen sind zum Beispiel Aufstellungen mit Figuren auf dem Tisch. Man kann die nicht so gut fragen, wie sie sich fühlen. Trotzdem haben sie oft schon einiges ans Licht gebracht und in Einzeltherapien geholfen. Mancher Klient hat durch die Figurenaufstellung Mut zu einer Aufstellung mit echten Menschen in einer Gruppe bekommen.

      Wie hat sich die systemische Wahrnehmungsarbeit weiterentwickelt?

      Die klassische Form der Aufstellungen ist weit bekannt, vor allem durch die Arbeit von Bert Hellinger um etwa 1990. Er selbst hat dieses Vorgehen nicht erfunden, sondern wurde direkt angeregt von Les Kadis und Ruth McClendon aus den USA.

      Weitere, noch ältere, sehr bekannte Formen der Aufstellungen, heute genannt „Familien-Rekonstruktionen“ gehen auf Virginia Satir zurück. Ähnlich ist das emotionale Rollenspiel „Psychodrama“ das von Moreno begründet wurde.

      Die klassischen Formen werden noch mehr vom logischen Überlegungen und mit Rückgriff auf ein systemisches Hintergrundwissen gesteuert. Der Klient schildert sein Anliegen, Stellvertreter für bekannte Personen werden aufgestellt, nach ihren Gefühlen gefragt, bei Bedarf umgestellt bis eine Lösung sichtbar wird. Dem Beobachter erscheint dies im allgemeinen vernünftig und nachvollziehbar. Der Leiter ist mehr „direktiv“.

      Viele Seminare und Ausbildungskurse beginnen zum Eingewöhnen mit einer klassischen Form und gehen dann in eine neue Form über:

      Hier erfragen wir keine oder nur wenig Information vom Klienten. Es gibt meist nur wenige Stellvertreter, die oft nicht wissen wen sie vertreten, sie dürfen sich nach einer Zeit der Sammlung intuitiv bewegen. Der Leiter greift wenig ein. Er ist also mehr „non-direktiv“, was manchen Vorstellungen von Therapie weniger entgegenkommt als die frühere Art. Wir vertrauen mehr den Stellvertretern.

      Auch der Leiter der Aufstellung muss hier die Haltung eines Stellvertreter haben, sich führen lassen ohne begreifen zu wollen, ohne eingreifen zu wollen. Statt zu „machen“ werden wir geführt, von einer Kraft die noch über das Familien-Kraftfeld hinausgeht, von der wir wenig wissen – nur dass sie uns allen mit gleicher Liebe zugewandt ist und das Getrennte zusammenführt.

      Was trägt zum Gelingen des systemischen Wahrnehmens bei?

      Man soll eine solche geistige Arbeit nicht aus Neugier versuchen, sondern nur wenn man ein ernsthaftes Anliegen hat. Aufstellungen gelingen nur mit Liebe und Achtung vor allen die zu unserer Familie gehören, und im Einklang mit dem Größeren, das uns trägt.

      Ein erfahrener Leiter ist nötig. Er muss Wissen um die Ordnungen der Liebe und die Ebenen des Gewissens haben. Er sollte Lebenserfahrung haben, und muss auf dem Weg der Versöhnung mit seiner eigenen Familie sein.

      Das Gelingen hängt auch sehr von den Teilnehmern ab. In der Seminargruppe sollen wir uns in den Stellvertreter-Rollen gesammelt den Eindrücken hingeben und ohne Absicht sein, auch ohne die Absicht zu helfen. Es ist kein Schauspielern, kein Besserwissen, kein gegenseitiges Therapieren oder Ratgeben, sondern es geht um das Anschauen einer Familie, wie sie ist, auf einer tiefen Ebene jenseits der Worte und Urteile.

      Kann man sich auf eine Aufstellung vorbereiten?

      Man soll bereit sein an die Eltern und Familie mit Achtung zu denken, eigene Gefühle zu hinterfragen, Eigenanteile an gegenwärtigen Konflikten zu sehen.

      Manchmal ist es hilfreich, Eltern oder Verwandte, natürlich mit Respekt, nach besonderen Schicksalen in der Familie zu fragen – zum Beispiel: Gab es Kinder die nur kurz gelebt haben, zum Beispiel abgetriebene und abgegangene oder früh gestorbene? Wurde jemand ausgeschlossen? Wer ist wessen Vater? Hat jemand einen besonderen Weg gewählt? Das ist die Vorbereitung für den Verstand.

      Aber man kann die Aufstellung nicht planen. Es läuft immer anders. Und was braucht die Seele als Vorbereitung? Zeit der Stille, meditieren, sich öffnen für die Liebe, die an dein Herz klopft. Wir sind immer in Vorbereitung für das Neue das kommt.

      Gibt es immer eine gute Lösung?

      Lösungen kann man nicht „machen“. Sie werden uns geschenkt. Lösungen sind immer nur teilweise. Uns wird nur der nächste Schritt gezeigt. Die Aufstellung ist ein Same. Sie sie bringt etwas in Bewegung.

      Manchmal muss ein Weg, der blind in die Tiefe geführt hatte, noch eine Zeitlang wissend weiter in die Tiefe gehen, bevor er sich wissend nach oben ins Licht wenden kann. Manchmal muss man eine Aufstellung abbrechen – doch der Abbruch ist eine sehr wirksame Intervention. Das Anschauen des Ist-Zustandes klärt etwas und führt uns zum angemessenen Ernst, setzt Kraft zum weiteren Suchen und zur Selbstheilung frei.

      Manche möchten jetzt noch keine Hilfe und können sie jetzt auch noch nicht annehmen. Sie spüren, sie müssen jetzt erst noch Erfahrungen machen – und haben ein Recht auf diese Erfahrungen. Das müssen wir als Leiter respektieren.

      Wie wirken Aufstellungen kurzfristig?

      Auch ohne eigene Aufstellung wirkt ein Seminar mit Aufstellungen bewegend. Man ist am Tag danach oft müde, es war ja eine seelische Arbeit. Es ist meist ein angenehmes Gefühl von „glücklich-müde“. Auch eine Stellvertreter- Rolle die man für jemand anders übernommen hat, kann noch eine Zeitlang nachklingen und an Eigenes erinnern.

      In der Zeit danach braucht man Ruhe, die freie Natur, es ist gut wenn ein lieber Angehöriger in der Nähe ist, und manchmal kommt das Bedürfnis für einen stillen Besuch an einem Grab.

      Wie wirkt systemisches Arbeiten langfristig?

      Die nachhaltige Wirkung hängt von unserer inneren Einstellung ab. Nichts wirkt wenn einer nichts will. Nur in der Grundhaltung der Achtung und Liebe zu unserer Familie und zu den höheren Kräften helfen uns Aufstellungen, einander besser zu verstehen. Wir kommen vom Ich-Denken zum Wir-Denken. Der Blick geht von uns selber auf andere.

      Das bringt nach einiger Zeit ganz praktisch etwas in Bewegung, zum Beispiel kann eine Trauerarbeit vollendet werden, findet eine Versöhnung statt. Wir beenden heimliche Vorwürfe, zum Beispiel an die Eltern. Wir entlassen jemand aus einem inneren unsichtbaren Gefängnis. Das befreit nicht nur ihn, sondern zugleich abgespaltene Teile von uns selbst - unser inneres Kind war auch mit eingesperrt in der Gefängniszelle.

      Dieses innere Heilwerden braucht Zeit. Nicht die Aufstellung erledigt es für uns, aber sie regt uns an zu einer geistigen Arbeit. Nach einer Zeit darf dann Schweres für immer vorbei sein. Neues wächst. Die verborgene Liebe in uns kann wieder fließen. Wir finden unseren Platz in unserer Familie. Wir erleben die gute Kraft, die gleichzeitig das in uns Getrennte und die in der Familie Getrennten zusammenführt. Wir und sie zugleich spüren mehr Wärme, Liebe und Verbindung.

      Braucht man Nachbetreuung nach einer systemischen Intervention?

      Es ist normalerweise gut, nach einer Aufstellung oder einer anderen systemischen Intervention das Erlebte ruhen und wirken zu lassen, ohne viel zu reden oder sofort äußerlich etwas zu ändern. Denn es beginnt in tieferen Ebenen zu wirken. So sammelt sich von dort aus Kraft für die richtigen Schritte zur richtigen Zeit in der Ebene des Handelns.

      Manchmal hilft ein mit Aufstellungen vertrauter Berater, die Verbindung von der inneren Haltungsänderung zur äußeren Verhaltensänderung zu finden.

      Manchmal kann nun erst eine gegenwartsbezogene Verhaltenstherapie wirken.

      Oft aber geschieht eine Verhaltensänderung automatisch, fast unbemerkt. Oft erfahren wir erst durch Rückmeldungen von außen, dass unser Verhalten anders geworden ist.


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