"dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile. Markus Roentgen
Читать онлайн книгу.Einheit des Einen ohne Trennendes; s. Lk 2,51: „Und er (der menschgewordene Gott) stieg hinab mit ihnen und kam nach Nazareth“; „Et descendit cum eis, et venit Nazareth“. Indem Gott hier in das selbstentäußernde nicht Gottes, als Abwesenheit in der Anwesenheit geht, wird darin zugleich jedes Nicht Gottes im Menschen als anwesende Abwesenheit geradezu gefeiert; es ist ein heiliger Tausch: Gott ist im Nicht-Gottes bar der Bewusstwerdung, der Besonderung, des Gottesdienstes, der konkreten Erfahrung, anwesend immer schon vor uns da! Vgl. hierzu auch Karl Rahner, Artikel: „Existential, übernatürliches“ im alten Lexikon für Theologie und Kirche = Lthk). Denn die Erfahrung Gottes als anwesend in der „Dunklen Nacht“ der Abwesenheit entspricht der Alltagserfahrung des Menschen im Dickicht der Städte: Dass Gott nicht da ist und nicht erfahren wird.
Den deutlichsten Ausdruck hierzu findet der Seelsorger Eckhart nun in der mittelhochdeutschen Sprache seiner deutschen Predigten.
Er kämpft als Mystiker (Karl Rahner definiert den Mystiker als einen, der etwas erfahren hat – und zwar nicht im besonderen, vielmehr im alltäglich gelebten Durchhalten) mit der Sprache gegen die Sprache. Er ist Sprachgegner und Sprachschöpfer.
Seine Mittel treiben die Sprache ins Extrem: Paradoxie, Hyperbel (= Darüberhinauswerfen; Überziehen des Ausdrucks), Häufung, antithetische Verknüpfungen, Zusammenklingen der Gegensätze, Auflösung fester begrifflicher oder bildlicher Ebenen: Poesie, Anarchie, Nihilismus der Sprache durch Sprache.
Zerstörung der Formen. Sprachlos-Sprachvoll.
Das Deutsche ist hierin beweglicher und zugleich schillernder als das klarere Lateinische; etwa die doppelbödige Doppeldeutigkeit des mittelhochdeutschen „Niht“ als „nichts“ und „das Nichts“ gibt Eckhart in seiner Denkerfahrung größeren Sprachraum; oder das mittelhochdeutsche Wort „eigenschaft“, indem „Eigentum“ mitschwingt, das als Wort schillert zwischen dem lateinischen „proprietas“ und „qualitas“ sowie zwischen dem neuhochdeutschen „Eigentum“, „Eigenheit“, „Eigenschaft“ und „Eigentümlichkeit“.
Das Wort „ein“ besagt bei Eckhart sowohl das Innerste der Gottheit wie das Innerste des Menschen als „Einicheit“.
Die Einheit der göttlichen Natur als Einheit von Gott und Seele; in Gott werden alle geschaffenen Dinge zu Gott verwandelt, alles ungleiche und mannigfaltig geschaffene wird in Gott gleich: „diu einicheit ist der unterscheid und der unterscheid ist diu einicheit“57
57 Vgl. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia..
Eckharts Sprachdenken ist ein unermüdliches Sichauflehnen gegen die Grenzen der Sprache durch Sprengen ihrer gebundenen Verfasstheit im Seienden, um dieser je größeren Einheit von Gott, Welt und Mensch im Lebensvollzug des göttlichen Samens im Seelengrund des Menschen Ausdruck zu geben.
Alles fließt da-hin: Vergottet und vernichtet zugleich!
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Die Analogie dieses Sprechens in dieser Sprache, schwebend zwischen dem reinen Nichts aller geschaffenen Kreatur und dem reinen All-Einen der durchgotteten Kreatur (ob Mücke oder Mensch ist in beidem gleich und eins) dynamisiert das In-Gegeneinander von absolutem und relativem Sein.
Bei Eckhart heißt es, diesmal wieder im affektiven Bildwort gepaart mit philosophischer Terminologie: „Gott ist allen Dingen zuinnerst als das Sein, und so zehrt alles Seiende von ihm: er ist auch zuäußerst, weil über allem und so außer allem. Also zehrt alles von ihm, weil er zuinnerst, hungert (alles nach ihm), weil er zuäußerst ist; alles zehrt von ihm, weil er ganz drinnen, (alles) hungert (nach ihm), weil er ganz draußen ist. So ist die Seele ganz in der Hand und ganz außer ihr (denn die Seele vergeht nicht, wenn dem Menschen eine Hand abgehackt wird. Das ist also der Sinn des Wortes: Wer von mir zehrt, hungert weiter (Eccl. 24, 29; nach heutiger Zählung Jesus Sirach 24, 21: „Wer mich genießt, den hungert noch,/ wer mich trinkt, den dürstet noch“).“ (Lw 2, 143,5ff., n. 163; Lw 2,282, 13ff., n. 54).
Eckhart berührt hier die Quintessenz des großen Werkes von Erich Przywara, der „Anlalogia entis“, das im Aufweis des „Gott-in-über-uns“ gipfelt.
Eckhart findet als Realsymbol hierfür das Spiegelbild: In dem, von dem das Bild ausgeht, ist das Sein real; im Bild ist das Sein jedoch bloß geliehen, abkünftig; das Bild existiert nur, solange es zur Sicht gebracht wird, fällt der Spiegel, so ist auch das Bild dahin.58
58 Dw 1, 154, 1ff..
Was aber geschieht dann, wenn Eckhart diese Rede vorantreibt ins Nicht und nichts von Etwas, in Bildwort und Begriff.
Was ist die Quintessenz von: Keinen Gott/ nichts wissen, keinen Gott/nichts wollen, keinen Gott nichts haben, also keine Gottesbeziehung, kein Gottverhältnis haben, wohin die Predigt 52 treibt?
Disputatio
Die unendliche Gegenwärtigkeit Gottes in meinem Seelengrund als der Wirklichkeit schlechthin, die mir innwendiger, inniger ist als ich mir selber, führt in der Predigt 52 „Beati pauperes“ zu einem Durchbruch, der allem, selbst der Gnade und der Liebe enthoben ist. Es ist vollständige Re-Creation in gänzlicher geistlicher Armut, nackt und bloß wie im ersten Nu meiner ewigen Zeugung in Gott, zeit- und welt- und schöpfungsentbundenes All-eins in/über nichts – nichts in/über All-eins.
Die mögliche Gottesgeburt in jeder Seele – Eckharts eigenste Urerfahrung
Lectio IV
In seinem Kommentar zum Buch Exodus (Lat. Werke II, 21 ff.) gibt Eckhart ein Selbstporträt des schöpferischen Menschen in Auslegung des Wortes „Ich bin, der ich bin“, als Rückwendung des Seins zu sich und auf sich selbst, als „ein Verharren oder Feststehen in sich, ferner aber gleichsam ein Aufwallen oder Sichselbstgebären – (das Sein ist) in sich brausend und in sich und auf sich fließend und wallend, Licht, das in Licht und zu (neuem) Licht (erstrahlt), das sich selbst ganz durchdringt, das von allen Seiten ganz auf sich selbst zurückfließt und –strahlt, nach dem Wort des Weisen: ‚die Einheit zeugt – oder zeugte – die Einheit, und auf sich selbst strahlte sie ihre Liebe – oder ihre Glut – zurück.‘ Daher heißt es: ‚in ihm war das Leben‘ (Joh 1,4). ... So zeigt ich bin, der ich bin die Unvermischtheit des Seins und seine Fülle an...“ (Lat. Werke II).
Diese je größere Einheitserfahrung (Eins mit dem Sein selbst in Abgeschiedenheit), die Eckhart zunehmend, durch Dynamisierung der Sprache, aus den Fängen der Subjekt-Objekt-Gegenüberstellung des vor-stellenden Denkens, also aus der klassischen Metapysik, herausschälen, ja befreien will, ist darin der affirmative Spiegel der „Nicht und Nichts-Erfahrung“, wie sie die Armutspredigt „Beati pauperis“ hervortreibt.
Beidem ist die Überwindung der Metapysik und die Lösung vom konkret-geschichtlich Verhafteten eigen.
So spielt auch der geschichtliche Christus eine ganz untergeordnete Rolle, ja, Eckhart geht so weit, Leben und Leiden Jesu Christi ganz aufzulösen in das je größere Erleben der Gottgeburt in der eigenen Seele, wozu der Sohn keine wesentliche Mittlerschaft mehr hinzufügt.
Eine hochbedeutende Passage aus den lateinischen Werken weist dies aus. Nikolaus von Kues hat in seinem Eckhartkodex hierzu die Randnotiz: „Achtung! (nota!)“ vermerkt. Eckhart schreibt dort (Lat. Werke III, 241): „ich beneide Christus nicht, weil er Gott geworden ist; denn auch ich kann, wenn ich will, nach seinem Vorbild dasselbe werden.“
Auch wenn er als Seelsorger um das konkrete Leiden weiß, auch wenn er das Leiden Christi in der Sohnesgeburt aus dem Vater sieht, Eckhart drängt über das Leiden, Eckhart drängt über Christus hinaus in das Eine der namenlosen Gottheit, weil er deren innergöttlichen Schöpfungsprozess in sich selbst als den einen und eigensten schöpferischen Prozess erfährt als göttliches Leben.
Dies aber, so sehr es durch Geist-Spekulation, Intellekt und reines Denken aufgeladen ist, diese erste und letzte Anliegen, wirklich die Gottheit, wirklich Gott zu denken, es hat einen Lebensgrund und ein Lebensziel, die Befreiung zum Leben selbst bar jeglicher Mittlerschaft. Intellekt und Mystik durchdringen