"dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile. Markus Roentgen
Читать онлайн книгу.Ritualen, Dingen, Bildern, Vollzügen und Symbolisierungen irdischen Lebens hängen steht Eckhart als Anwalt des reinen Intellekts, des immanenten wie transzendenten Himmels, da Gottes Einheit rein, entkleidet, bloß, nackt ist von allen Zusätzen (sei es Güte und Liebe) als reiner Geist, reiner Intellekt, unvermischt und ungesondert. Außerhalb dessen dagegen ist Verschiedenheit, Verhaftung, Vorstellung und so die Verdinglichung des be-greifenden, des verfügenden, des ob-jectum als gedachtes Etwas (also die verlorene Einheit und Einichheit reinen Geistes) in Distanz zu dem es begreifenden, es verfügenden sub-jectum.
Der Kerker des Subjekt-Objekt-Gegensatzes wird sichtbar, der unser Weltverständnis bis heute, in der ungeheuren Macht sog. wissenschaftlicher Objektivität, beherrscht.
Verloren geht dadurch der lebendige Beziehungszusammenhang – bis hin in die Gott-rede, die Gott durch Aussagesätze und Attribute in diesen Subjekt-Objekt-Spaltraum einfügt.
Das attackiert Eckhart in seinem reinen Einheitsdenken, das zunehmend jeglicher Trennungserfahrung, jeglicher Verschiedenheit, jeglicher Zufügung in der oscillierenden Dynamik zwischen Eins-Nichts-Gottes-im-Seelengrund-des-Abgeschiedenen zu entspringen sucht.
Eckhart korrespondiert diese vollständige Entkleidung Gottes als dessen reinste Fülle mit dem Wesen des Menschen, mit dem Wesen der Kreaturen, die aus sich selbst „reines Nichts“ sind, nicht ein Geringes oder ein kleines Etwas, sondern ein „reines Nichts“(vgl. den Johanneskommentar Meister Eckharts; s. hierzu auch die Eckhart-Kritik, wo der tiefen Nachtseite und Verheerung dieser „Säuberung“ des Menschen und Gottes gedacht wird).
Dieser Versuch der Aufhebung der Metaphysik geht aber durch die Sprache und Terminologie der Metaphysik hindurch.
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Der vollständigen Entkleidung Gottes von jeglichem Zusatz und Attribut folgt entsprechend das „Enthöhen Gottes“. Diese Enthöhung Gottes (die Kenose Gottes könnte anklingen) ist aber nicht primär als Geschichtsereignis gesehen, vielmehr als Gott-Mensch-inwendiges Einen. Josef Quint erläutert dies wie folgt: „Das Enthöhen Gottes ist nicht zu verstehen als ein absolutes Herunterziehen und Erniedrigen oder Herabsetzen, sondern als Überwindung der Distanz und Transzendenz Gottes durch seine ‚verinnung‘, durch seine Immanenz in der Seele, wodurch sie selbst erhöht wird und zur Einswerdung mit dem immanenten Gott gelangt.“
Die mystische Erfahrung der vollständigen Hereinbergung Gottes in den Schoß des Menschen hat hier ihren Grund.
Es ist allerdings nicht der persönliche Gott („der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“, wie Pascal ihn erfuhr in seiner Gottdurchdrungenheit wie Feuer, im berühmten Memorial aufgezeichnet); bei Eckhart begegnet vielmehr die „weiselose“, über- und unpersönliche Gottheit.
„Denn auch Finsternis nicht finster ist bey dir/
Und die nacht leuchtet wie der tag/
Finsternis ist wie das Liecht.“
(Psalm 139, 12 in der Lutherübersetzung/
Wittenberg 1545)
Das dunkle Licht des Nichts
Lectio V
Otto Karrer hat Eckharts Mystik als „das katholische Gnadenerlebnis in seiner vollen subjektiven Entfaltung“ bezeichnet, ein Christentum neuplatonischer Prägung. Ist das zutreffend?
Einheit und Reinigung, die reine Gottheit wird von Eckhart der „schlechten Vielfalt“ in der Gott-rede seiner Zeit gegengehalten.
Hier ist er ganz in der Folge Plotins und dessen Zeit. In der Plotinforschung ist darauf hingewiesen worden, dass Plotin nur deshalb das Wort „das Eine“ benutzt, weil es im Griechischen kein Wort für die Null gibt, für das, was schon Scotus Eriugena „Nihil“ und Eckhart dann „Nichts“ nennen wird. Dieses „Nichts“, das „Nichts“ der Gottheit, das der vollkommen abgeschiedenen, gelassenen, losgelösten Seele auf ihrem Grund „innig“ werden soll, beinhaltet zugleich ein Nein zu allen geschichtlichen, dinghaften, welt- und personenbezogenen Heilsmittlern und Heilsmitteln.
Ist mit diesem Nein zur Geschichte, zur Natur, zur Materie auch, jedenfalls in der klassischen Zuordnung von Plotin her, ein Nein zur „Frau“ mitgesagt. Von Plotin wird ein Wort übermittelt, dass er nicht wissen wolle, wo er geboren sei, noch dass er von einem Weibe geboren worden sei.
Ist es in der klassischen männlichen Linie nicht eigentümlich, dieses Bestreben, in einem „reinen Geistsystem“ sich selbst zu zeugen? (Vgl. nochmals Eckharts „Ich bin der ich bin“).
Hier der „reine Ort“, die „leere Wüste“ – dort die Materie, das Stoffliche, das Unvollkommene, der Mangel, die Verworrenheit und Vielgestaltigkeit.
Die Geschichte, d.h. die konkrete Zeitsituation wird von Eckhart als hinfällige eliminiert. Zu dieser Geschichte gehört auch der geschichtliche Christus Jesus. So nennt Eckhart es in seinem Johanneskommentar, gleichsam eine Einführung in die Philosophie des deutschen Idealismus, wie folgt: „All dies, was jetzt von Johannes und Christus gesagt worden ist (im Evangelium), betrifft zunächst Dinge der geschichtlichen Wirklichkeit (res quaedam gesta sunt historica veritate); wir wollen aber darin Wahrheiten der Naturdinge und ihre Eigentümlichkeiten erforschen.“ (Lat. Werke III, 19)
Und Eckhart forciert dies, indem er in einem anschließenden Exkurs darlegt, wie Geschichte, Welt, Natur und historischer Christus aufgehoben werden müssten, um dem Menschen die Rückkehr in den reinen Geist, in die reine Gottheit zu ermöglichen.
Da der Mensch sich in der Regel, aus seiner Sehnsucht und seinem konkreten Liebesbedürfnis, gegen diese Aufhebung oder Nichtung sträubt, greift Eckhart nun auch die Liebe selbst noch an und predigt die Notwendigkeit zur Überwindung derselben. Dies geschieht in seiner sehr selbstbewussten „Korrektur“ der beiden „Liebeszentren“ der Heiligen Schrift: Des „Hohen Liedes“ und der johanneischen Schriften. So heißt es gegen das Hohe Lied, wo der Mensch-Gott- und Mensch-Mensch-Beziehung in Liebe gleichsam ursymbolisch gedacht wird: „Freilich die Braut in dem angegebenen Buche sagt: ‚Er ist mein, ich bin sein‘ Sie hätte aber besser gesagt: ‚Er ist für mich nicht da, und ich für ihn nicht.‘ Denn Gott ist nur für sich selber da, da in allem er ja ist.“59
59 Vgl. dazu J. Amstutz, Zweifel und Mystik, besonders bei Augustin. Bern 1950, S. 64.
Die konkrete Liebesbeziehung zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Gott wird also als hinderlich angesehen für die Rückkehr und den Eingang, die Innung des Menschen in die Gottheit.
Wie bereits mehrfach angedeutet, steht in der Grundabsicht der Eckhartschen Denkmystik die Dynamik, den Menschen hinter die Schöpfung zurückzuverwandeln!
Abgeschieden, losgelöst, gelassen so wieder zu werden „wie da er nicht war“, rückzukehren in das „Nichts der reinen Gottheit“.
Hierin, in diesem Purifikationsprozess der Läuterung und Lichtung des theologischen Denkens und Sprechens, wird auch die Trinität (der eine Gott in drei distinkten Personen subsistent) überwunden in eine Form von religiös-mystischem „Nihilismus“, die jeglicher Ideologie-Kritik gegen Religion und Gott-Rede, von der Devotio Moderna bis hin zu Feuerbach, Marx und Nietzsche standhält.
In der theologischen Tradition der Rede von der „Creatio ex nihilo“ ist für Eckhart dieses Nichts nicht, wie bei Augustinus, einfach Nichts, vielmehr ist Eckharts Nichts die nicht steigerbare Fülle der Gottheit.
Keine Mittler mehr, keine Möglichkeit mehr, „Gott“ zu nutzen für Politik, Mächte und Gewalten, Gegenmächte und Revolten!
Ist Eckharts „Nichts“, „die nackte Gottheit“, „die Wüste der Gottheit“, die die Fülle des Seins zugleich enthält, aus dessen Schoß wir entlassen worden sind um wieder darin zurückzukehren, nicht doch eine pantheistische Spekulation aus der großen Bewegung um Chartres im 12. Jhdt. erwachsen in neuplatonischem Erbe?
Gipfelt nicht dieses Denken, dem eine große Tradition vorausgeht und eine ebenso bedeutende Folge (von dem Gedanken der Immanenz Gottes in der Welt des Johannesevangeliums