Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf. Heinrich Mann

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Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf - Heinrich Mann


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über seine Schulter.

      Er verstand: vielleicht heiraten Sie mich, ich werde bald reif dafür sein, und machen Ihre Karriere mit Hilfe meiner Ersparnisse und meiner Verbindungen. Ihm ward ein Pakt angeboten, der den bürgerlichen Anstand verletzte und eine Demütigung war. Nicht die entfernteste Möglichkeit bestand, ihn einzugehen, – aber darum war er noch immer gewollt von seinem Dasein, denn es hatte hierher geführt. Demütige Dich! Habe den Mut zu mir! sagte sein Dasein. Der Arm der Frau von drüben hing noch immer von seiner Schulter. Er griff nach der Hand, er näherte ihr ruckweise sein Gesicht; plötzlich drückte er, mit wilder Hingabe, zuerst die feuchte Stirn darauf, dann seine bitteren Lippen.

      Kurschmied und der Dichter Hummel standen noch immer im Haustor. »Erschütternde Szenen haben sich abgespielt«, sagte der Dichter. »Die soziale Frage ist das dankbarste aller Probleme.«

      »Wenigstens haben Sie sich schadlos gehalten«, stellte Terra fest. Dies galt freilich nur im Hinblick auf das Geistige. Sowohl Hummel wie Kurschmied sahen für die Sitzung der »Weltwende«, wohin sie sich begaben, eine wahre Katastrophenstimmung voraus. Terra ward aufgefordert mitzukommen. Ihm war nicht wohl dabei, er war sich bewußt, zum Ausbruch der Katastrophe das Seine getan zu haben. Aber Kurschmied hatte Terra dem Dichter als wertvollen Bestandteil des Publikums genannt, für das Drama, das Hummel den Ausschußmitgliedern der »Weltwende« heute Abend vorzulesen dachte. Im Menschengewühl gelang es Kurschmied, mit Terra einige Schritte hinter Hummel zurückzubleiben. »Sie haben heute furchtbar gehaust«, sagte er mit einer Art Andacht. »Der Direktor wird nicht der einzige Tote bleiben.« – »Ich bin selbst wie vor den Kopf geschlagen«, gestand Terra. Kurschmied aber: »Ich flehe Sie an, vor mir keine Maske! Ihr unstillbares sittliches Bedürfnis schafft Katastrophen, wohin Ihr Fuß tritt. Aber sollte es auch mich selbst hinstrecken, ich bleibe der Ihre!« – mit glühendem Händedruck.

      Die Vereinigung »Weltwende« tagte im »Askanischen Hof.« Ein kahles Separatzimmer enthielt an einem langen Kneiptisch die vollzählige Gilde der Modernen, Männer bis zu vierzig Jahren. Die Älteren waren Rechtsanwälte, sie gaben den geistigen Verschwörungen abseits lebender Literaten den bürgerlichen Rückhalt. Leider hatten auch sie in die Generalagentur für das gesamte Leben ein Vertrauen gesetzt, das verhängnisvoll enttäuscht worden war. Jetzt freilich gestanden sie, dem Zauber nie getraut zu haben; sie hätten nur der Vorliebe ihrer naiveren Genossen für das sozial Angehauchte, so sagten sie, nachgegeben. »Grünfeld soll nicht mithauchen«, erwiderte jemand dem, der Terra gegenüber saß und merklich am Magen litt. Der Ton war hier so scharf, wie die Geister. Es ging anspruchsvoll zu, erfordert wurden Witz, Entschlossenheit, die zeitgemäße Kunstdoktrin und eine soziale Gesinnung. Hinter der Spottsucht des Ausdrucks herrschte ein Glaube, bei dem einen echt, beim andern falsch, aber er herrschte, das Gespräch war durchtränkt mit ihm. Nichts geringeres stand mit Sicherheit bevor, als die Lösung der sozialen Frage. Im Zusammenhang damit war ein Jahrtausend neuen Geistes soeben angebrochen. So konnte es der Vereinigung »Weltwende« nicht fehlen. Was sie aber veranstaltete, waren Aufführungen in entlegenen Vorstadttheatern, neue Mittel mußten dafür herbei, Mitwelt und Zukunft geboten es.

      Zu seinem Gegenüber sagte Terra unschuldig: »Ich habe ein großartiges Gefühl. Hier werden revolutionäre Maßnahmen ergriffen.« – »Wie lang sind Sie schon in Berlin?« fragte Herr Grünfeld. – »Einen Tag«, gestand Terra. – »Ich schon zwanzig Jahre, aber Weltwende ist bloß Mittwochs.« Nach dieser Zurechtweisung blieb es Terra nur noch übrig, beim Salamander nachzuklappen, und er war für die Nachbarschaft erledigt. Der Salamander ward kommandiert von einem Mitglied, das in einer goldbraunen Samtjacke an der oberen Schmalseite des Tisches saß. Terra unternahm es für sich, die herkömmlichen Formen der Tafelrunde mit ihren gewagten Zielen in Einklang zu bringen. Es gelang ihm nicht, er fand sich damit ab, als geduldeter Adept in unterer Stellung den Ereignissen beizuwohnen. Hummel las sein Stück vor.

      Neben der goldbraunen Samtjacke saß er in seinem wollenen Gehrock nach Professor Jäger und las mit großem Aufwand von Dialekt und von Entrüstung. Den Dialekt sprachen in dem Stück die kleinen Leute, die Entrüstung des Dichters erregten die Reichen. Sie beuteten die Armen nicht nur von Ferne aus, sie saßen ihnen persönlich wie Tiger im Genick, töteten die Söhne durch Hunger und Arbeit, die Töchter durch ihre Lüste. Kein Zweifel, daß dies stark, düster und gerade kraft des Äußersten an Düsterkeit verheißungsvoll für den kommenden Tag war. Stellen gab es, an denen Terra rückhaltlos zu Hummel stand. So konnte man aussehen, so ungepflegt daherreden und dennoch stolzester Menschenwille sein! In solchen Augenblicken erschienen alle ringsum ihm neu beleuchtet, als hochherzige Wesen, die das Gute wollten: ein seltenes Geschlecht, schließ Dich ihm an! Der lesende Dichter, der wüste Bart entstellte nur leider die fein und sicher arbeitenden Züge seines Gesichtes, verflachte sogar den scharfen Blick: aber welch' eine Spannung der mageren Schultern unter seinem albernen Rock!

      Zum Unglück erschienen nun wieder die kleinen Leute, und in dem Mitleid, das sie begleitete, ob es Natur oder Vorsatz war, verriet sich diese Art, die Welt von unten anzusehen, die Terra beleidigte und abstieß. Hier faßte er den Entschluß, seinen eigenen geteilten Kinnbart zu entfernen, damit keine Ähnlichkeit aufkomme. Er hörte weiter zu, um der weiblichen Hauptrolle willen. Anfangs war sie eine Lehrerin, was ihm nicht günstig schien, und verband das reiche Haus, wo sie geliebt wurde, mit dem armen, dem sie entstammte. Allmählich aber ward aus der Lehrerin eine Person mit Haaren auf den Zähnen, die eine fürstliche Villa bewohnte und das Haus der Reichen, samt ihnen selbst, so gut wie vollständig verschlang. »Nicht übel für Lea«, sagte er sich. »Nach ihrem Frankfurter Erfolg ist sie reif für Berlin. Aber hat diese ganze Gesellschaft Bedeutung genug, daß meine Schwester sich ihretwegen bemüht? Vielleicht war ihre sogenannte Bewegung nur ein Schwindel der Generalagentur für das gesamte Leben.« Hummel war fertig, ihm zu Ehren wurde ein Salamander gerieben und dann kam die Kritik. Scharfgeistig, wie alle hier waren, hatte jeder etwas auszusetzen. Grünfeld brachte juristische Einwände vor, die das Ganze untergruben, die Samtjacke erklärte glucksend, daß sie bei der im Stück bestehenden Promiskuität zwischen den Beziehungen der Geschlechter nicht mehr hindurchfinde. Eine unvorhergesehene Pause ward von Terra unterbrochen. »Ich möchte als blutiger Laie und außerdem erst seit heute in Berlin, mit aller gebotenen Bescheidenheit mir eine kurze Frage erlauben.« Die befremdende Einleitung bewirkte völlige Stille. Er sagte von unten, es konnte anzüglich oder schüchtern sein: »Werden solche Stücke geschrieben, weil es eine soziale Frage gibt, oder kommt die soziale Frage von solchen Stücken?« Wie er es gehofft hatte, fanden sich mehrere, die das zweite bejahten. Der Dichter, gereizt durch die sachverständigen Ausstellungen, setzte sich mit seinem Bierglas zu dem wohltuenden Laien, der ihn so ernst nahm. Terra äußerte, daß die Figur der Lehrerin ihn besonders interessiere. »Sie finden,« schob der Dichter ihm unter, »daß die Rache der Ausgebeuteten sich in ihr verkörpert.« Terra erwiderte, die Rache der Ausgebeuteten scheine ihm Nebensache, aber solchen Damen sei er schon begegnet und wenigstens darin nicht ganz Laie. »Wir müssen die Sache zu Ende besprechen. Gehen Sie mit?« schlug Hummel vor. Terra begriff, daß jener bis in alle Ewigkeit über sein Stück zu reden gedenke; nur die Rolle für seine Schwester bewog ihn, aufzustehen.

      Zu dreien, mit dem unvermeidlichen Kurschmied, gingen sie, ohne sich über ein Ziel zu einigen, immer redend durch die Straßen. Ihre gestikulierenden Gestalten spiegelten sich im nassen Asphalt. Man sah ihnen nach. Kurschmied, angeregt bis zur Schwärmerei, schwur, das Stück werde ein Welterfolg sein, aber nur mit einer einzigen Hauptdarstellerin! »Unmöglich!« rief Terra. »Meine Schwester kommt nicht in Frage, und wenn Sie Gold reden. Meine Schwester ist zu herb, zu sehr Natur und Volk, sie berauscht nicht.« Kurschmied, der aufsteigen wollte, bekam einen Stoß. Der Dichter frohlockte. »Das will ich gerade, und finde es nicht! Um Gotteswillen keinen Rausch, keine ruchlose Schönheit! Was für Haare hat ihre Schwester?« – »Sie ergraut schon«, sagte Terra.

      Vor einem Bouillonkeller hielt Terra an. »Ich habe nur noch wenig Geld«, gestand er zynisch. »Wie steht es bei den Herren?« Aber Hummel, der von Rechts wegen hier zu Hause sein mußte, machte einen Bogen, er esse nichts. Den nächsten Versuch machte Terra vor dem glänzenden Eingang des Wintergartens, und Hummel war bereit. Die Vorstellung mußte noch eine Weile dauern; wie sie aber an der Kasse standen, kamen schon Fortgehende heraus. Terra riß sich herum, bot die Brust dar, und die Lippen krampfig geöffnet, zuckte er die Hand zum Hut. Er kam nicht


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