Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf. Heinrich Mann

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Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf - Heinrich Mann


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und wer begleitete sie? Der Bismarck Tolleben. Ihr Bruder, schlank und schläfrig, folgte ihr neben einem blau und schwefelgelben Leutnant. Terra spähte mit einer Bewegung des Halses wie ein Tier, nach seinen Freunden, ob sie etwas bemerkt hatten, aber sie verhandelten über die Plätze. Sein Blut nahm einen Anlauf: hinterdrein, und sie gestellt, das Pack, das ihn verachten wollte, samt ihr! Auf offener Straße sie an ihre nächtlichen Beziehungen erinnert, den Tolleben aber vor das Maul geschlagen mit dem bloßen Namen der Frau von drüben! Terra hatte Schaum auf den Lippen, er hielt sich an dem Schalter fest. Seine Freunde ließen ihm den Vortritt, damit er bezahle, da sah er, wer sie waren, seine rechtmäßigen Gefährten und er selbst, mit seinem Hohenzollernmantel. Er schluckte hinunter und sagte, bleich, aber überlegen munter: »Wir sollten uns hier die letzten faulen Plätze anhängen lassen? Was kostet Berlin?« Womit er, ihnen voran, aufbrach.

      Dies sei auf andere Art in Ordnung zu bringen, erkannte Terra, indes er das laute Gespräch fortsetzte. Jener Hochmut sollte ihn kennen lernen. »Ich mache mich anheischig, ihm eines Tages so zu begegnen, daß kein Mensch mich noch einmal übersehen kann, – und wär' es in zehn Jahren!« Aber es mußte sogleich sein, ohne Verzug und sobald nur der Tag kam. Er fühlte, die Nacht werde schlaflos sein. Er hatte, da sein Zweck bei ihm erreicht war, diesen Stückeverfasser seinem Schicksal überlassen wollen. Jetzt mochte geschwatzt werden bis an den hellen Morgen.

      Er führte die beiden in eine gut bürgerliche Wirtschaft, wo er Zigaretten verschlang, indes sie aßen. Hummel aß gierig, aber mit dem Anspruch auf gute Erziehung; drüben glaubte er Bekannte zu sehen. Erst als sie es nicht waren, ließ er sich gehen. »Sie halten mich frei und haben es wohl selbst nicht reichlich«, sagte er zu Terra stöhnend, die übereilte Mahlzeit beengte ihn. »Nun sehen Sie dort draußen die gewissenlosen Genießer!« stöhnte er; denn den Theatern entströmte ein gut gekleidetes Publikum. Terra erwiderte, ob die Leute ein Gewissen hätten, sei nur ihre eigene Sache. – »Wie? Sie fühlen nicht sozial?« – »Eine Gegenfrage wollen Sie auf keinen Fall wie unverschämte Zudringlichkeit, sondern einzig und allein als den Ausdruck meines lebhaften Wunsches nach einer sachlichen Aussprache auffassen. Wie lange schreiben Sie schon ohne nennenswerten Erfolg?« Sichtlich vor seinen überfüllten Magen gestoßen, klappte Hummel zusammen. »Ich bin nicht älter als Sie«, – der Dichter hatte blaues Feuer in den Augen. »Nur habe ich mehr gehungert.«

      »Dann werde ich lieber Jahrmarktskünstler. Oder ich mache, bis ich selbst Erfolg habe, Reklame für andere.«

      »Ich«, sagte Hummel, »kämpfe Hand in Hand mit allen anderen Armen, der ganzen Proletarierklasse. Mich trägt die Bewegung, Ihr werdet es erleben, daß ich oben bin!« rief er prophetenhaft; und ergeben aber stolz: »Noch nenn' ich kein Bett mein eigen. Die Bude Kurschmieds ist meine Herberge für Obdachlose.«

      Kurschmied bemerkte trocken, daß er seine Bude aufgebe. »Dann«, sagte Hummel, »verlege ich mein Erdendasein noch weiter nach unten. Demütigungen, Mißerfolg und Hohn sind meine wahre Nahrung, ich wachse durch sie.«

      Terra fragte, zum erstenmal vertraulich: »Haben auch Sie sich überzeugt, daß Sie mehr Haß erregen, als üblich?«

      »Und mehr Liebe!« – mit blauem Feuer. »Ich werde in den Höhlen der Armut wie ein Erlöser betreut.«

      »Ich habe mit mir gerungen, aber ich kann Sie nicht länger dafür halten, Sie sind nicht stark genug«, entschied Kurschmied und rückte zu Terra hin.

      »Sie werden schon noch um Rollen zu mir kommen, Kurschmied.«

      Terra, dies hörend, summte laut durch die Nase, dann rief er lebhaft nach dem Kellner, zahlte und ließ aufbrechen. Plötzlich lud Hummel in das Café Bauer ein, er gebrauchte sogar das Wort »sich revanchieren«.

      »Noch ist nichts verloren«, sagte Terra darauf. »Sie werden Ihren bürgerlichen Weg machen.«

      Die Friedrichstraße zeigte das Bild ihrer Nacht, worin noch immer Geschäfte offen blieben, Lager billiger Kravatten, Zigarrenläden, Juxbazare. Pflasterarbeiter rissen den Fahrdamm auf, die Kette der Wagen umfuhr, ohne abzubrechen, das Hindernis. Ein Volk von Nachtwanderern, die einen zu satt, die anderen zu hungrig um schlafen zu gehen, hielt die Fußsteige in Bewegung wie am Tage, und vom Gaslicht der öffentlichen Lokale fielen blutige Flecken zwischen dies Volk. Besondere Stätten, dem Tage unbekannt und begraben im Grau der Häuserreihe, blühten jetzt rot beleuchtet auf, und ein Schutzmann stand davor. Verließen wenige Herren in Pelzen irgend eine Tür des Genusses, waren auch schon Schwärme derer zur Stelle, die vom Pflaster lebten. Wagen fuhren vor, blasse Halbwüchsige öffneten sie, und Hausierer faßten daneben Fuß, um hinter ihren geöffneten Jacken den Herren die verbotenen Bildchen anzubieten. Diebe stießen jemand an und wurden beim Verschwinden von den Umstehenden begünstigt, alte Kuppler versprachen im Vorbeischleichen den Pelzen etwas Außergewöhnliches in ihre breiten Rücken, aber aus dem Schatten eines Haustores trat ohne Umschweife die ältere Dame, die an der Hand ein geschminktes kleines Mädchen mit offenen blonden Haaren führte. Hochlila war der Puder, den die Dirnen für ihre Gesichter liebten.

      »Wir haben keine Nachtruhe«, sagte Hummel, zum zweitenmal umkehrend, weil er sich nicht trennen konnte. »Wir haben noch keine Sonntagsruhe, wie in England, und selbst des Nachts darf der Zahlungsfähige die Menge der Enterbten zu seinem Auswurf machen, wer denkt an Fürsorge, sei's nur für Frauen und Kinder. Sehen Sie hier den unumwundenen Kapitalismus im Rohzustand! Das kommt nie wieder, haben wir ihn erst in Arbeit genommen, sind wir erst hindurch.«

      »Wenn Sie hindurch sind«, wandte Terra ein, »werden Sie nicht mehr im Ostendtheater gespielt, sondern wo es fein ist, und der Kapitalismus hat dann Sie in Arbeit.«

      »Sie glauben nicht, daß ein Umschwung kommt?«

      »Nicht vom Stückeschreiben«, sagte Terra; und da Hummel seine Zuversicht in die Literatur umfassend begründete, forderte er ihn auf, statt des langweiligen Cafés, eine rötlich sich darbietende »Musichall« zu betreten, zehn Schritte von Unter den Linden. Durch den engen Gang und über eine schmutzige Treppe gelangten sie in eine Weinkneipe mit Bühne. Droben saßen im Halbkreis schön frisierte weibliche Gestalten, halbnackt wogend in meergrünen, ponceauroten oder pailletierten Kleidern, die straff die breiten Knie umspannten und die hohen goldenen Stiefeletten den Blicken freigaben. Die Sechste, deren Stuhl zur Zeit leer stand, sang atemlos in das tolle Treiben des bleichen Klavierspielers hinein, zwei andere bedienten den Saal, ihretwegen schien sogar Streit zu herrschen zwischen den Tischen, obwohl der Saal nicht voll war. Weine für drei Mark und höher waren nicht Vielen erlaubt, Hummel überließ jede Verantwortung seinen Begleitern. An ihrem leeren Seitentisch behielten sie die Bühne halb im Rücken.

      Hummel unterbrach sich nur, um zu trinken, aber Terra ergriff die Gelegenheit. »Womit wollen Sie sich an die Welt, wie sie ist« – über den Saal und die Bühne hin beschrieb er eine Geste – »heranmachen? Mit Ihrem Mitleid. Ich meinerseits bin felsenfest überzeugt, daß die Welt Ihnen Ihr Mitleid noch nicht einmal mit fünfzig Pfennigen gutschreibt.« Hummel lächelte still. »Ich will nichts dafür.« – »Man soll für alles etwas wollen«, behauptete Terra, »Sie beleidigen die göttliche Weltordnung«, – da trank Hummel nur noch. Das Mädchen droben, besten Gestalt breiter als lang war, ließ sich vernehmen: »Erna und ihr Theodor gehn energisch vor. Sie schmachten, sie schmachten, daß die Nähte krachten.« Nach jeder Strophe rollte sie nachlässig zweimal die Hüften und drohte, ohne ihre ablehnende Miene zu verziehen, wie ein Schelm mit dem Zeigefinger. Terra rief:

      »Reden Sie doch zwischen Ihren Kulissen wie eine ganze Legion Engel, im Parkett sitzt kein Börsenpirat, der nicht einflußreicher wäre als Sie. Bilden Sie immerzu Vereine zur Herbeiführung einer Weltwende, ein einzelner junger Mann, Wilhelm der Zweite, der ungehemmt nur seine Persönlichkeit ausschreit, dringt unvergleichlich weiter und tiefer, als alle Ihre Werbungen für eine sittliche Gemeinschaft. Zwanzig Jahre nach dem einträglichsten Kriege möchtet ihr dies Volk vergessen machen, woher seine Wohlfahrt stammt; da ist die Erzwand, vor der ihr verhungern könnt.«

      Hummel, am Boden der Flasche angelangt, schlug mit den Armen Rad. »Daß Sie es nicht sehen! Sie wie ich sind ein Geschöpf jenes Krieges, des letzten. Ein blutgetauftes Geschlecht wie unseres mußte kommen, um, wissend von jung auf, der Welt den Frieden zu bringen. Die


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