RedStar. Juryk Barelhaven

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RedStar - Juryk Barelhaven


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Pfandleihe, hinter dessen Tresen aus Panzerglas und carbonbeschichtete Fläche sein Assistent und Freund Jonathan Aldonini arbeitete. Schmuckvoll und voller Ambitionen hatte Gideon damals das Schild „Departement“ selbst gebastelt und angebracht – jetzt schien es ihn jeden Morgen zu verhöhnen.

      Gideon öffnete die Tür und stand im Vorraum, wo schon lange keine Objekte zum Kauf angeboten wurden. Es gab mehrere Hocker, eine Kaffeemaschine, ein altes Sofa, einen Prospektständer und sogar einen Stapel Papier und Kugelschreiber. Rechts von ihm hing eine Pinnwand mit gesuchten oder vermissten Personen – zumindest dieses Objekt wurde regelmäßig genutzt.

      „Immer, wenn ich komme, ist der Kaffee schon alle.“ Er nahm die Glaskanne und schob sie durch die Anreiche durch.

      „Du hast mir gesagt, wir könnten überleben, wenn wir als Team arbeiten.“ Jonathan war eine gepflegte, aber verlebte Erscheinung mit weitem Bauchumfang und fliehenden Kinn. Er war erst vierzig Jahre alt, wirkte aber wie an die fünfzig. Sein fein gezwirbelter schwarzer Bart war stets korrekt getrimmt, aber soweit Gideon denken konnte, trug er immer die gleiche graue Jogginghose und den gleichen braunen Pullover. Er nahm die Kanne entgegen, befüllte sie mit Wasser und reichte sie zurück. „Seit drei Tagen sitze ich hier, nehme Nachrichten an und schwitze mir die Haare vom Kopf. Barbecue und Schweißgeruch. Was bekomme ich eigentlich dafür?“

      „Kaffeepulver. Filter.“ Der Sheriff nahm das Gewünschte und machte frischen Kaffee. „Ich war arbeiten. Draußen.“

      „Dir gefällt das doch, habe ich nicht recht? Ich meine, dass wir nichts zu tun haben.“ Jonathan stöhnte leise. „Gott, ich hätte mich nie darauf einlassen sollen. Diese Station ist wie ein Grab weit draußen. Der letzte Mord ist zehn Monate her. Du hast mich anfangs darauf eingeschworen, dass wir gegenseitig unsere Rücken decken sollen. Aber vor was?“

      „Du kannst Gott danken, das wir nicht in Chicago sind. Zweihundert Tote pro Jahr. Wo sind Fernandez und Oswald?“ Er nahm seine Waffe aus dem Holster und legte sie neben sich. „Jeden Tag die gleiche Meckerei.“

      „Fernandez und Oswald sind schon auf ihrer Schicht.“ Das Department hatte zu Spitzenzeiten zwölf Beamte gehabt, von denen die meisten aber sich versetzen ließen – es war einfach zu wenig los. Das wirklich Schlimme war, dass es schrecklich plausibel klang. Jonathan nickte zaghaft, schloss schließlich die Tür auf und reichte ihm ein selbst belegtes Sandwich, an dem schon abgebissen war. Gideon nahm die versöhnliche Geste zur Kenntnis und biss ab.

      „Fleißig, fleißig. Was warst du nochmal in deinem alten Job? Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, wenn die Leute fragen…“

      „Stadtreinigung.“

      „Ach ja, stimmt.“ Jonathan wirkte nicht überzeugt und setzte sich ihm gegenüber: „Lustige Geschichte. Du kennst doch Tom. Tom Muccha.“

      Er nickte knapp.

      „Tom ist bei den Maschinisten, die draußen täglich ihren Hals riskieren. Er erzählte mir heute Morgen, dass er dich gestern Abend zufällig vor dem Haus hat stehen sehen…“

      „Und?“ Ungeduldig wippte er mit dem Fuß. „Ich wollte mir die Beine vertreten.“

      Jonathan hob beschwichtigend die Hände hoch. „Alles gut, Gideon. Tom wartete auf seinen Kollegen, der nicht kam. Nach Feierabend fand er die Tür eingetreten vor. Und die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt. Von Wilson Leland keine Spur. Im Grunde ist es mir egal aber halt mich nicht für blöd. “ Er nahm seine Finger dazu und zählte: „Erstens, Leland war jemand der gerne Frauen schlug. Zweitens, man konnte ihm nichts nachweisen. Drittens, Tom sieht dich in der Nähe herumlungern. Und jetzt ist Leland fort und hat heute Morgen das erste Shuttle genommen. Leland ist ein Bär von einem Mann, der trinkt und als Unhold galt. Tom war ziemlich beeindruckt, er sagte, dass wir vielleicht Ninja-Jack aus dem Computerspiel hier als Schutzengel haben und ich sagte ihm, dass es den ja nicht wirklich gibt und er meinte daraufhin, dass ich mal mit dir sprechen sollte.“

      „Mit mir?“

      „Mit dir.“ Er nickte weise. „Du machst deinen Job besser als dein Vorgänger. Aber halte mich nicht für blöd. Wenn ich also frage was du früher getan hast, dann kannst du mich zwar anlügen, aber ich wäre höchst erfreut, wenn ich mir sicher wäre, wer für die Station seinen Hals riskiert.“

      Gideon blickte ihn an, nahm einen Bissen und räusperte sich. „Du willst wissen, was ich gemacht habe?“

      „Ja.“

      „Stadtreinigung.“

      Jonathan seufzte und rieb sich die Stirn.

      „Jonathan, was willst du?“

      „Ich wollte dich wissen lassen“, er pausierte, dachte angestrengt nach und kam zum folgenden Schluss, „dass wir uns an die Gesetze halten müssen. Wir sind nur ein kleines privates Sicherheitsunternehmen, aber solche Alleingänge setzen uns in ein schlechtes Licht. Wenn du nicht reden willst, dann ist es so.“

      „Du fragst nicht mehr?“

      „Ist mir egal. Aber du kannst ja nicken, wenn ich recht habe. Schützendivision der Commando Brigade? Sondereinsatzkommando der Speznas? Nein?“ Er neigte den Kopf zur Seite, sah ihn von der Seite an und grinste leicht. „Ich lernte einige Schläger bei den Colpueras kennen. Du bist kein Amateur…“

      „Was gibt es sonst? Das Übliche?“

      Jonathan wankte zur Kaffeemaschine und sprach, während er zwei Tassen befüllte: „Wir haben viermal Ruhestörungen. Und die Leihbücherei vermisst ein Buch.“

      „Ich übernehme das…“ Gideon nickte und erinnerte sich an etwas. „Ja, kannst dich drauf verlassen. Kannst du eine ID raussuchen?“ Jeder Bewohner der Station hatte einen eingepflanzten ID-Chip, eine Vorsichtsmaßnahme der Gesellschaft um eher die Leute an der Arbeit zu kontrollieren als aus sorgenvollen Gründen. Viele hatten nichts zu verbergen, oder es war ihnen einfach egal. Ganz Schlaue wickelten Alufolie in ihre Schals und versuchten so das Signal zu stören. „Der junge Mann nennt sich Marlon Goyer.“

      Jonathan bewegte sich zum Terminal und tippte einen Befehl ein. „Was kommt jetzt? Nun, das wird dir wohl kaum gefallen“, entschied er und machte eine dramatische Pause. „Er ist bei dir.“

      Gideon brauchte einen Moment, um zu verstehen. Dann stand er abrupt auf und verließ das Departement rasch.

      „Willst du mir nicht sagen, was das soll“, rief ihm Jonathan hinterher.

      Gideon brauchte keine zehn Minuten, bis er an die aufgebrochene Tür kam. Das zweistöckige Heim lag etwas von dem Boulevard entfernt und verfügte über ein Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und einen Hobbyraum. Nur ein Eingang, der von einer schweren Metalltür mit einem ID-Scanner zugänglich war. Bislang hatte er seine Bleibe als stiller Rückzugsort gesehen, als sein heiliges Refugium. Er starrte auf das demolierte Schloss und betrachtete den Schlamassel: mehrere Kratzer, der deutliche Schuhabdruck eines sehr unerfahrenen Einbrechers auf der Tür, der zudem gewalttätig werden konnte und für Heimlichkeit wenig Sinn hatte. Die Jalousien waren nicht heruntergelassen. Unzufrieden nahm Gideon das zur Kenntnis. Es bedeutete, dass Marlon entweder ein kompletter Idiot oder es ihm schlichtweg egal war, ob ihn jemand dabei beobachtete. Letzteres würde sich als heikel erweisen. Er betrachtete seine Unterkunft und entschied sich für eine vorsichtige Herangehensweise. Es gab keinen Grund, laut zu werden.

      „Mister Nikolaeff“, meldete sich Mrs. Parker leise von ihrem offenen Fenster herüber und zeigte regte Anteilnahme: „Haben Sie schon gesehen, dass…“

      Seine Nachbarin, eine rüstige alte Dame, beugte sich weit aus dem Fenster und starrte aufgeregt zu ihm herüber. Ihr Dutt unordentlich, der Morgenmantel weit offen gewährte sie Einblicke, auf die der Sheriff getrost verzichten konnte. Zumindest bewies sie sich wieder mal als aufmerksame Beobachterin.

      „Ja, Mrs. Parker. Danke für die Mitteilung.“ Gideon holte seine Walther P99 hervor und kam zu ihr herüber. „Halten Sie das mal.“

      Die Walther P99 war eine selbstladene Handfeuerwaffe mit 15 x 9mm Kugeln und


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