Der letzte Tag. Walther Nithack-Stahn

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Der letzte Tag - Walther Nithack-Stahn


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Um so mehr wächst die Spannung, das Raten und Fragen. Jetzt gilt es ein offenes Wort. Feige, wenn wir es verhehlen, unweise dazu. Denn nur eines ist unerträglich: die Unsicherheit. Wahrheit ist immer befreiend. Sie lautet nicht so, daß wir nichts wissen. Sie besagt mit höchster Wahrscheinlichkeit, daß das Ende bevorsteht. Und diese Botschaft wird uns reif machen. Was Religion, Wissenschaft, Sittenlehre in Jahrtausenden nicht vermochten: die Völker im großen zu erziehen, zur seelischen Einkehr, zum echten Mitgefühl, zur Eintracht, das werden diese wenigen Tage vollbringen. Und so wird wenigstens unser Ausgang nicht unrühmlich sein.«

      Stumme Bewegung des Beifalls da und dort. Der Minister des Innern hebt die Schultern und seufzt.

      Darauf der Kanzler: »Meine Herren, die Sache liegt einfacher, als Sie denken. Wir haben kaum eine Wahl. Nach den letzten Nachrichten sind außer den erwähnten Staaten alle Mitglieder der Völkergemeinschaft entschlossen, den Gelehrtenspruch zu veröffentlichen. Sie sind es in der Erwägung, daß es kein Mittel gibt, ihn länger vorzuenthalten. In einigen Ländern hat man bereits die Regierungsgebäude gegen gewalttätige Wißbegier schützen müssen, einzelne Sternwarten sind im eigentlichen Sinne bestürmt worden. Jede Kundgebung, die man als Ausflucht empfände, würde erbitternd wirken. Der Beschluß der Regierungen erfolgt nach der Mehrheit. Stimmen wir mit Nein, so können wir doch nicht hindern, daß binnen wenigen Stunden Gerüchte des Auslandes unsere Grenzen überfluten. Wir wären vor unserem Volke bloßgestellt. Je früher wir reden, desto besser.«

      Wortloses Summen der Zustimmung. Der Kanzler fragt: »Sie beschließen demnach, daß trotz des Einspruches der zwei Mächte das Gutachten der Sternwarten laut werde? ... Es erfolgt kein Widerspruch. Ich schließe die Sitzung.«

      *

      In langer grauer Linie ziehen die eisernen Schiffe dahin. Tief wirbeln die Rauchwolken über die grünlichen Wasserberge, die schräg heranrollen, sich dumpf klatschend gegen den Panzer werfen und bis hoch über die Verdecke ihren stiebenden Schaum ergießen. Aber mit der glühenden Kraft ihrer Eingeweide drängen die Riesen voran, schneiden ihre Büge messerscharf Welle auf Welle. Und gierig strecken sich aus ihren Leibern die starren Rohre nach ferner Beute.

      Auf der Brücke des Führerschiffes der Admiral mit den Herren des Stabes. Breitbeinig steht er, das mächtige Fernglas an die Augen gepreßt, und späht nach Westen, wo aus dem lichtflimmernden Wasserkreis die Schattenrisse rauchender Schornsteine, schwimmender Burgen tauchen. Er setzt das Glas ab und kehrt das wettergebräunte Gesicht den hinter ihm Stehenden zu. »Es klappt vorzüglich. Diesmal stellen wir sie. Wir sind in jeder Hinsicht überlegen. Dazu kommt, daß sie die Sonne« – es zuckt ihm lustig in den Augenwinkeln – »sogar zwei Sonnen gegen sich haben. Also Volldampf voraus!«

      Ein Offizier kommt eilig die Treppe herauf, ein Blatt in der Hand, und bleibt in dienstlicher Haltung stehen.

      »Nun? Was gibt's?«

      »Aufgefangener Funkspruch ...« Er nennt einen fernliegenden Ort neutralen Festlandes.

      Der Admiral überfliegt die Zeilen und runzelt die Stirn. »Unsinn! Was geht uns das an? Sagen Sie dem Funker, er soll uns ein für allemal mit solchem Geschreibsel verschonen.« Er ballt das Papier zusammen und wirft es mit dem Winde in die Luft, daß es hoch über Bord fliegt. Einen Augenblick tanzt es auf einem schäumenden Wellenkamm und ist verschwunden.

      »Wissen Sie das Neueste, meine Herren?« Der Admiral lacht ein kurzes, stoßweises Lachen. »Die Welt geht unter! Spätestens in einer Woche. Beschluß sämtlicher Sternwarten!« Er lacht noch einmal, daß er sich schüttelt.

      Starres Schweigen der anderen. Nur über diese und jene dienstbeflissene Miene irrt ein verlegenes Lächeln und erstirbt. Man hört nichts als den sausenden Wind im Ohr und die anstürzenden Wasser.

      »Sie haben doch dem Funker eingeschärft, daß dergleichen Blödsinn nicht unter die Mannschaften kommt?«

      »Zu Befehl!«

      »Ich sage es noch einmal, meine Herren: Strengster Befehl der Regierung, daß die albernen Gerüchte über den sogenannten Wunderstern innerhalb der gesamten Wehrmacht nicht besprochen werden dürfen. Zuwiderhandlungen, auch im Zwiegespräch, sind zu bestrafen. Wo es not tut, sind die Unvernünftigen aufzuklären. Was wollen Sie sagen, Kommandant?«

      »Herr Admiral, mir scheint, daß dieses Verbot das Gegenteil seines Zweckes erreicht hat. Es hat die bewußte Himmelserscheinung in einen Nebel des Geheimnisses gehüllt, hinter dem man um so mehr Schlimmes vermutet. Der Seemann ist ohnehin abergläubisch. Kein Vorgesetzter kann verhindern, daß eine gewisse Besorgnis, die unsere Leute von ihrem letzten Landurlaub mitgebracht haben, sich in der Abgeschlossenheit auf See im geheimen weiterfrißt. Ich kann es nicht greifen, aber ich spüre es, in den Mienen der Leute, in ihrem Verhalten. Man munkelt von etwas Unheimlichem, das da kommen soll – in den Messen und in den Kombüsen, vom Deck bis hinunter in die Kohlenbunker, vor den Lafetten der Geschütze bis tief in die Heizräume. Und ich behaupte: auch diese neueste Nachricht ist im ganzen Schiffe bekannt – niemand weiß, woher, niemand wird es gestehen – aber sie wissen es alle. Und so durch alle Schiffe des Geschwaders.«

      »Da soll doch der Deubel –! Rufen Sie die abkömmlichen Offiziere und Mannschaften an Deck. Sofort, die Zeit drängt!« –

      Binnen fünf Minuten stehen die Befohlenen ausgerichtet im offenen Viereck auf dem von Schaumspritzern durchnäßten, leise schlingernden Boden ...

      »Leute! Ihr wißt, es steht ein entscheidender Kampf bevor. Endlich hat sich der hinterlistige Feind dazu bequemen müssen. Wir werden ihn vernichtend schlagen, denn wir sind stärker, tüchtiger, und das Recht ist auf unsrer Seite. Das Vaterland blickt auf euch und erwartet Einsatz der höchsten Kraft, Hingebung bis aufs letzte. Wie mir gemeldet worden, ist unter euch ein dummes Geschwätz entstanden, als wenn da irgendein Stern vom Himmel herunterfallen und uns Unannehmlichkeiten verursachen würde. Die Herren Offiziere, die natürlich solche Märchen nicht glauben, haben euch bereits eines Besseren belehrt. Ich wiederhole das und erkläre jeden, der so etwas glaubt und weiterträgt, für einen Hochverräter. Merkt ihr denn nicht, daß dieser Unsinn von dem Feinde ausgestreut wird, um eure Kampflust zu brechen und leichten Sieg zu haben? Da drüben lachen sie sich ins Fäustchen, wenn ihr wie Kinder und alte Weiber euch graulich machen läßt. Leute! Der alte Gott lebt noch und regiert die Sterne! Er läßt uns nicht verderben! Vorwärts mit ihm zum Siege! Ein Hurra dem Vaterland!«

      Dreimal bricht der Schrei durch das dumpfe Gebrause.

      »Jeder an seinen Posten! – Kommandant, lassen Sie meine Worte dem ganzen Geschwader funken!« –

      Auf die Brücke gelehnt, steht der Admiral mit seiner Umgebung. Der Fußboden schüttert unter dem tiefen Summen der überheizten Maschinen. Immer deutlicher heben sich die Umrisse der feindlichen Schiffe über den Gesichtskreis. Die Offiziere stehen ernst und stumm. Ein seltsames Zwielicht gleißt auf den Schaumkämmen der anstürmenden Wasserhügel. Der Admiral scherzt: »Es gibt da eine niedliche Kasernenhofblüte. Am Tage einer Sonnenfinsternis ist Appell. Und der Feldwebel hebt an: ›Auf Befehl des Herrn Hauptmanns findet heute eine Sonnenfinsternis statt ... ‹ Hahaha, sehen Sie, meine Herren, das nenne ich soldatischen Standpunkt. Wir machen die ganze Geschichte, im Himmel und auf Erden.«

      Niemand lacht. Wie gefroren sind alle Gesichter.

      »Nein, im Ernst. Der Schiller sagt einmal: Wenn damals, als Kolumbus nach Westen steuerte, die Neue Welt noch nicht dagewesen wäre, sie hätte emportauchen müssen. Mit dem Mutigen steht die Natur in ewigem Bunde ... Was, Kuckuck! Wollen uns diese Sternfexe gruseln machen? Früher taten sie es mit den Kometen, und fielen allemal hinein.«

      Er hat das Fernglas wieder gehoben; dann wendet er sich. »Es ist Zeit. Lassen Sie feuern! Breitseite! Das ganze Geschwader!« –

      Der Diensthabende eilt hinunter. –

      Tiefe Stille. Minuten vergehen.

      Der Admiral wird ungeduldig. »Was wird denn?«

      Endlich dröhnt es – einmal, drei-, viermal.

      Durchs Fernglas sieht man in weiter Ferne die Wassersäulen der Aufschläge.

      »Viel


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