Der letzte Tag. Walther Nithack-Stahn

Читать онлайн книгу.

Der letzte Tag - Walther Nithack-Stahn


Скачать книгу
frage Sie, warum die Leute nicht schießen?«

      »Ich weiß nicht, Herr Admiral. Ich werde sofort feststellen ...«

      Offiziere eilen davon. Fernsprecher rufen nach allen Teilen des Schiffes.

      »Wie war denn das? Wo bleiben die Geschütze der anderen da hinten?«

      »Sie haben keinen Schuß gelöst, Herr Admiral.«

      »Ja, haben die nicht gehört ...?«

      »Der Befehl ist erteilt.«

      Ein Offizier atemlos von unten: »Herr Admiral, die Leute weigern sich zu schießen.«

      »Wa–s?!« Mit beiden Fäusten umklammert der Admiral die Eisenstangen der Brücke. »Sind die Leute verrückt geworden?!«

      »Sie sagen, sie wollten nach Hause. Die Welt ginge unter.«

      Ein heiseres Auflachen, der Admiral nestelt an dem Lederverschluß seiner Gürtelpistole. »Das werden wir sehen!« Er ist im Begriff, die Treppe hinunterzuspringen ... Plötzlich wird es auf Deck lebendig. Von allen Seiten stürmt ein dunkles Gewimmel heran: Matrosen, Kanoniere, schwarzrußige Kohlenschipper, Heizer, halbnackt mit triefenden Stirnen – durcheinander schreiend: »Herr Admiral! Nach Hause! Frieden! Die Sonne! Die Erde! Nach Hause!«

      Wachsgelben Gesichts steht der Admiral, er hat die Pistole frei: »Meuterer! Ich schieße euch nieder! Offiziere!«

      Die stehen regungslos. Eine Riesenwelle schlägt an Bord, prasselnde Sturzsee, niemand achtet darauf.

      »Herr Admiral – sehen Sie dort! Der Feind hißt die weiße Flagge!«

      Unglaubliches geschieht. Aus der feindlichen Linie hat sich ein Schiff gelöst und strebt mit hoher Fahrt heran. Am Großmast flattert es weiß, einer Taube ähnlich. Wie ein gespenstisches Traumbild am hellen Tage wächst es mit unheimlicher Schnelle vor den sprachlos Zuschauenden in den Himmel hinauf. Jetzt scheint es zu stoppen, am Bug Flaggensignale. Langsam entziffert man: »Angesichts naher Weltkatastrophe stellen wir unsrerseits Feindseligkeiten ein.«

      Einige Augenblicke wortlose Stille. Dann auf der Brücke die schneidende Stimme des Admirals: »Was? Sind hier lauter schwimmende Tollhäuser?! Gut, also nehmen wir die ganze Bande gefangen. Winkt das hinüber!«

      Der Kommandant, die Hand an der Mütze: »Das wird nicht gehen, Herr Admiral.«

      »Nicht gehen – wieso?«

      »Wollen Herr Admiral rückwärts blicken.«

      Neues sprachloses Erstaunen. Ein Schiff des Geschwaders nach dem anderen schert aus der Linie und wendet die Fahrt.

      »Kommandant ...! Was ist das?«

      Der Diensthabende drängt sich durch das Getümmel und ruft hinauf:

      »Funksprüche von Linienschiffen und Kreuzern des Inhalts: Befehlshaber abgesetzt, unter neuem Kommando Heimfahrt beschlossen!«

      Brausender Jubel auf Deck, Mützenschwenken.

      Der Admiral umklammert die Pistole, sein Blick irrt von einem Offizier zum anderen: »Was sagen Sie?«

      Nach kurzer Pause der Kommandant: »Herr Admiral, weichen wir der höheren Gewalt.«

      »Welcher Gewalt?«

      Der Kapitän deutet stumm nach oben. Aller Blicke wenden sich zur Mittagssonne hinauf, die blendend im reinen Blau steht, dicht neben ihr, weißlich grell, der Doppelgänger.

      »Wahnsinn!«

      Die Offiziere springen von allen Seiten auf den Admiral zu, der die Pistole an die Schläfe gesetzt hat, man biegt dem keuchend Ringenden den Arm herunter. Da stürmt schon jemand, einen neuen Meldezettel schwenkend, herauf. Weil niemand ihn entgegennimmt, liest er laut: »Befehl der Regierung: Da Küstenverteidigung den Dienst versagt, Seeschlacht abbrechen. Sofortige Heimkehr.«

      Die Pistole klirrt zu Boden.

      »Kommandant, übernehmen Sie den Befehl – ich gebe keinen mehr.« –

      Kaum eine Minute, so ist das Deck leer.

      In rasender Fahrt entfernen sich die beiden Flotten voneinander. So fieberhaft haben Maschinisten und Heizer noch nie gearbeitet. Das Führerschiff jagt mit dumpfklopfenden Pulsen hinter den flüchtigen andern. Im übrigen gibt es keinen Dienst mehr. In Gruppen stehen die Mannschaften in Gängen und Winkeln umher, ratlos, die Hirne von einem Gedanken zerhämmert: Nach Hause! Reicht noch die Zeit? Die Welt geht unter!

       * * *

      II

      Nun haben es die gedankenschnellen, lautlosen Ätherwellen über alle Erdteile getragen. In allen Sprachen ist es Wort und Klang geworden. Die Drucker haben es mit zitternden Fingern gesetzt, Blatt auf Blatt fliegt aus den Maschinen. Mit Windeseile springt es von Mund zu Mund. Jetzt reden davon die dunkelhäutigen Söhne der Wüste im Schatten der Pyramiden, jetzt leuchtet es auf in schwarzen, großen Augen unter den Palmen Indiens und den Schneeketten des Himalaja. Jetzt ruft es an eisigen Küsten des Nordens ein Matrose den aufhorchenden Menschlein zu. Es summt durch das bunte Straßengewimmel von Peking, es fliegt stromaufwärts wie ein Vogelschrei durch die Urwälder des Orinoko, durch die heißen Dickichte des innersten Afrika trägt es ein schwarzer Botenläufer von Kraal zu Kraal, wirbeln es Trommelzeichen weiter über die Hügel, hinüber zuckt es zu den weltfernen Eilanden des Ozeans, wo nur ein Ohr ist, Menschenwort zu verstehen – und immer der eine, selbe Satz, der wie ein Donnerschlag die Gemüter trifft, begriffen unbegreiflich, sich hineinwühlend in das Bewußtsein der lebendigen Erde.

      *

      In der Hauptstadt, vor dem Großdruck des Maueranschlages stehen die Menschen. Hundert vielleicht, nicht mehr; es ist ja an tausend Stellen zu lesen. Fast unbeweglich stehen sie, ganz vorn einige Kinder mit offenen Mündern, in den hinteren Reihen reckt man die Hälse, neue treten heran ohne Drängen, niemand geht. Lernen sie es auswendig oder ist es so schwer zu verstehen, daß sie immer von vorn anfangen? – Ganz ruhig, sachlich ist es gesagt, in wenigen Zeilen. Wie ein Krankheitsbericht erfahrener Ärzte über einen Allbekannten, der in ernster Gefahr schwebt, wenig Hoffnung. »Menschlicher Voraussicht nach ...« Das ist im Druck gesperrt. An diesen Worten haftet das gleitende Auge der Lesenden, dahin kehrt es zurück, daran klammern sich die Gedanken ... Am Schluß die Mahnung: »Ruhe zu bewahren«. »Jedermann gehe, solange er kann, an sein Tagewerk.« »Laßt uns unter allen Umständen der Menschheit Ehre machen!« Tägliche Mitteilungen der maßgebenden Forscher werden verheißen; wenn es not sei, noch öfter ... so verkünden die Obersten im Rate der Völker.

      Etliche haben wohl ausgelesen. Sie wenden sich halb und blinzelnd mit beschatteten Augen zur Sonne hinauf und zu – dem daneben ... und lesen wieder.

      Mit einem Male läutet es vom Dome, mit allen Glocken, und nah und fern setzt das tiefe Gedröhn ein, hunderttönig.

      Die Menschen stehen und schweigen ...

      *

      Das große blonde Mädchen hat das Fenster leise geöffnet und steht nun, in den Rahmen gelehnt, den Kopf zurückgelegt, mit halb geschlossenen Lidern, während über die Dächer und Höfe hinweg das dumpfe Tongewühl fließt. Unter dem weißen Latz der häuslichen Schürze hebt sich die volle Brust wie im ruhigen Schlaf, die kräftigen Arbeitshände, mit dem einzigen goldenen Reif an der Linken, hängen lose gefaltet, warm weht's von den Blütenbäumen herein, daß die Gardine sich wie ein Schleier über ihr bauscht ...

      Da poltert es drinnen die Treppe herauf, die Tür wird aufgerissen, mit erhitzten Gesichtern Schulknabe und -mädchen.

      »Du, unser Lehrer sagt –!« Der Anblick der Träumenden läßt ihn stocken. Auf den Zehen schleichen die beiden durchs Zimmer und kramen leise in ihren Sachen.

      Nun kommt die Mutter, fast unhörbar, steht einige Augenblicke still, blickt über den einfach gedeckten Tisch; dann geht sie zu dem großen Mädchen,


Скачать книгу