DIE LETZTE KUGEL. Paul-Heinz Schwan

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DIE LETZTE KUGEL - Paul-Heinz Schwan


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lässt sich die Kugel des Seienden anschauend in Gedanken fassen.

      Für Parmenides ist der Raum der Philosophen das gelichtete Ungeheure. In der Seh-Schule des philosophischen Gesamt-Umblicks begreift oder spürt der Denker, was es heißt alles zu „wissen“, alles Sehrbare zu sehen, alles Umgebende in den Ring des Seins gefasst zu erkennen und dies alles für immer und stets im selben Licht des Bemerkens, eines „dass es ist“ gebracht werden kann.

      Gewöhnliche Sterbliche scheuen den Blick oder finden vor lauter aktuellen Sorgen und weil sie am nächstbesten haften, inmitten der Kugel, das sie Kugelblinde sind.

      Der Philosoph ist der Günstling der Götter, erhält den Zugang zum besonderen Standort. Außerdem musste er ein Ekstatiker sein, der als absolut kontemplativ, entselbstet umblickende Intelligenz sich ins „nicht-zitternde-Herz-der Wahrheit“ versetzt.

      Während die Außensicht der Kugel als Super-Objekt den Super-Betrachter nicht enthält, verkörpert die parmenideische Kugel den Inbegriff einer all-immanenten Einschließungsfigur die die Struktur eines geistigen Sachverhalts mit einem von innen durchseelten, gleichmäßig ausgeleuchteten Gewölbepanorama besitzt.

      Der Betrachter im Außen müsste eine absolut exzentrische Position, der Betrachter im Innen eine absolut zentrische Position einnehmen.

      Sloterdijk zitiert Alexander Kojève: „..man kann sich in dieser parmenedeiischen Kugel de-platzieren wie man will, man wird überall genau soviel Sein vor sich wie hinter sich haben und es wird überall dasselbe sein.“

      Hier liegen zwei Ansichten in Konkurrenz. Der alles Innen bietet den Vorteil, durch das Innere der menschlichen Selbstbeziehung zu gehen und sich damit eher von dem Verdacht eines „archaischen“ All-einheitsgedankens freimachen zu können.

      Alles-Innen-Ausläufer reichen über den Deutschen Idealismus bis zu Heideggers In-der-Welt-Sein und Gilles Deleuze Immanenzpathos.

      III. Gott tragen

      Nun geht es darum offenzulegen, wie das Grundphänomen der mikrosphärischen Welt – der gegenseitigen Evokation („an sich zu ziehen“„hervorrufen“) der in starker Beziehung vereinten Zwei – auch in der Makrosphäre, dem kugelförmigen Universum wiederholt.

      Das Paar muss auch die absolute Kugel für sich gewinnen.

      Wenn es ein absolutes Zentrum gibt, dann tritt die Frage nach Rolle und Bedeutung der Epizentren auf; nach dem Außen und ihrem Gegenüber auf und was ist mit dem nicht umschlossenen Rest.

      Das schöngerundete Ganze der Außensicht-Kugel ist stets vom Sklavenaufstand der äußeren und unteren gefährdet und hat nur solange Bestand, wie das Zentrum, das epizentrische, in Schach halten kann.

      Der Innen-Seher Kugel droht Gefahr, durch die, von den gewöhnlich Sterblichen nicht einnehmbaren Mitte-Sicht.

      Dadurch entsteht eine zweite Exzentrik: diejenige der gewöhnlich-sterblichen Augen zur optimalen Mitte. Sloterdijk nennt sie Epizentrik: die Spannung zwischen der

      zentrierten Sicht in die ontologische Sphäre und er epizentrischen Weltauffassung vom existenziellen Standpunkt her. Die Spannung zwischen „Der/Meiner Mitte“ und „mir normal sterblichem“.

      Damit ist ein folgenreicher Urteilsspruch über die kognitive conditio humana gefällt:

       Die Menschen sind immer und ohne Einschränkung zum Dasein auf halbblinden epizentrischen Standpunkten verurteilt.

       Sie sind die aus dem Zentrum gerückten, die in die Umstände Verschlagenen, die Randwesen, die situativ Benommenen.

       Menschen sind die Marginalen Gottes und daher unheilbar epizentrisch, halb sichtig, halb klar,

       für alle Zeiten Nicht-Mittelpunkt-Wesen.

      Philosophie ist die Zumutung zu verstehen, dass die Mitte anderswo ist.

      Epizentrische Existenz bedeutet: sich von den Zusprüchen eines höchsten Zentrums angehaucht und in Mitleidenschaft gezogen wissen, ohne sich mit diesem selbst verwechseln zu dürfen. Und genau damit tritt im Raum des bewussten Lebens ein Verhältnis in Kraft, das exakt der Wiederholung mikrosphärischer Intimbeziehungen auf makrosphärischem Niveau bewirkt.

      Metaphysisch denken bedeutet den Zauber zu meditieren, den die Mitte auf die epizentrischen Punkte rings um sie herum ausübt. Das göttliche Zentrum und das menschliche Epizentrum verdoppelnd die ursprüngliche Erweckung der Vorstellung der in starker Beziehung vereinten Zwei.

      An den Beispielen der gottesträchtigen Maria und dem legendären Lastenträger Christophorus wird die Analogie von mikrosphärischen Intimbeziehungen und makrosphärischen Weltbeziehungen dargestellt.

      Es ist die Form der aktiven Ergebung, der dienenden Einfügung vom Epizentrum zur Mitte. Es ist dies die Matrix aller Dienst-Mystik. Das maßgebliche Kooperations-modell der Großwelten: die Metaphysik der Mitarbeit, der Dienst am Zentrum. Nicht im Modus eines Kadavergehorsams. Das Werkzeug soll seinerseits lebhaft zuvorkommend sein und sich damit für die Intentionen der Mitte in Bewegung zu setzen, sich in eine Art von intelligenter Ko-Spontaneität aktiv fallen lassen ins zentrale Projekt.

      Von Christophorus an bedeutet das Spiel mit dem Ball des Seins auch immer eine intime Affäre.

      Die Sphäre die die Welt bedeutet, steht nicht mehr nur als geometrische Figur vor dem Betrachter; sie ist auch nicht nur eine universalisierte Umwelt: Sie ist zum Emblem der starken Beziehung zwischen Menschen und Mittelpunkt geworden.

      Damit hat das Christentum ein im Dualraum verankertem Prinzip der Solidarität in die Welt gesetzt: Denn es denkt, naiv und reflektiert zugleich, solidarisches Handeln als Mitarbeit des Epizentrums beim Projekt der Mitte.

      Dieses dienende Tragen und tragende Dienen zieht sich durch die Geschichte der Menschenfischer, dem dieses Modell der starken Beziehung zu Grunde liegt.

      Königshäuser, Weltentdecker, Kaufleute und Jesuiten beugen sich unter die größten Gewichte, von der Gewissheit beflügelt, dass nur deren Übernahme reale Macht verleiht.

      IV. Das morphologische Evangelium und sein Schicksal

      Es ging in der gelebten und erzählten alteuropäischen Metaphysik des Kugeldenkens nie um Letztbegründung sondern um Letztumfassung oder wie es ab nun auch heißt: L e t z t i m m u n i t ä t. Ein unermesslich umständliches und komplexes Theorie Ritual zu ehren Ihrer Majestät der runden Form in allem.

      Es ging um „letzte Sicherungen“ der bis dato umher irrenden.

      Seine Aufgabe bestand darin, die menschliche Unruhe in einer gefährlich geöffneten, abgründig geweiteten Welt zu beschwichtigen: durch Initiation in die erbaulichste, umfassendste Immungestalt, das Universum, wörtlich: das mit einem einzigen Umschwung Alles-Umgreifende.

      Alles Gute hat Immunkraft.

      Auch meine eigene, vor Verlorenheit zitternde Existenz, wird potentiell und aktuell von einem Strahl aus der Mitte ermöglicht und erreicht.

      Wie der Gott im Kinderlied die Sterne, so hat das Zentrum die Punkte gezählt, dass auch nicht einer ihm fehle an der ganzen unfassbar großen Zahl.

      Ein Umstand, in dem Trost und Zwang ununterscheidbar werden.

      Das Denken in einer Gemeinschaft der Teilhabenden am Kugelrunden wird zur rettenden und therapeutischen Übung. Hier konvergieren Sphäre und Psyche.

      Die Weltseele weltet hält und sammelt uns im Runden.

      Die Theologen waren genötigt, ihren Gott und sein Verhältnis zu den Menschen in die Gussformen der akademischen Zentrums- und Kugelmetaphysik einfließen zu lassen. Der Gott der Morphologen ist älter als der Gott der Basiliken.

      Die


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