DIE LETZTE KUGEL. Paul-Heinz Schwan

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DIE LETZTE KUGEL - Paul-Heinz Schwan


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      Die Verpflichtung ihres Gottes, auch die noch so weit entfernten liebend zu halten, zu umhüllen, ist in der Theologensphäre die ontologische Allianzfigur.

      So wird die Schalenbesessenheit der Europäer nachvollziehbar. Sie dienen der Weltabdichtung im Sinne einer Universal-Immunologie. Von acht, zehn, zwölf, vierzehn kosmischen Wällen und Gräben umschlossen, genoss die Menschenwelt auf der Erde das demütigende Privileg, in der inneren Burg des Seins zu verweilen.

      Was Oben die Schalen, sind auf Erden die Stadt- und Burgmauern.

      Gott sichert die Grenzen gegen das Nichts, das Außen und die Unendlichkeit. Nur solange konnte er sich in Kraft halten, wie er in einer zwar riesenhaften aber endlichen Kugel seine schützenden Hände für jeden denk-bar ausstreckte.

      Doch sobald die Theologen das Attribut Unendlich ins Denken einwarfen, zerstörten sie die Immunitätskraft ihres Gottes. In einer unendlichen Kugel der metaphysisch brisante und immunologisch bedeutende Unterschied zwischen innen und außen verlorengeht.

      Es waren die klügsten Theologen die Gott getötet haben, als sie anfingen ihn unendlich zu denken.

      Sobald der Kugel das Prädikat unendlich zugesprochen wird, stirbt sie an Überdehnung ins Unanschauliche. Ihr wurde die sammelnde Kraft genommen, damit vom Interesse der Lebendigen getrennt und somit das Größte heillos gemacht.

      Die vormals epizentrischen Punkte werden gezwungen entweder sich selbst als Mitte aller Beziehungen zu wählen, oder sich jenseits der Mitte in ein herrenloses Spiel der dezentrierten Ereignisströme fallen zu lassen.

      Aus der ersten Option erwachsen die Systemtheorien aus der zweiten die nach-monossphärischen Philosophien.

      Jetzt ist es nicht das (metaphysische) Wesen sondern das Ereignis das den Lauf bestimmt.

      Folglich musste das Kernthema der Moderne: Selbstbezüglichkeit, als eine

      wie auch immer verspätete und unterdrückte, doch unvermeidliche Konsequenz ins Denken einbrechen.

      Die letzte verbleibende Zentrierungschance in der infinitisierten Zeit ist der

      Egoismus der Punkte.

      Alles, was ein Selbst oder ein System ist, hat sich deswegen um sich selbst zu sorgen, ob Individuen, Staaten, Familien oder Wirtschaftsunternehmen. Sie alle sind heilige Egoisten; ihre Askese heißt Selbstbezug.

      Die göttliche Kugel endet in der Vergleichgültigung des Raumes. Kontinente und Ozeane sind von aktuellen Verkehrs- und Kommunikationssystemen erschlossen;

      potentiell jeder Punkt im neutralisierten Raum ist ein Standort geworden – das heißt ein Relais für durchkommendes Geld auf der umrundeten Erdoberfläche. Keiner der Punkte kann sich für andere nicht erreichbar machen.

      Die Anhäufung selbstbezüglicher exzentrischer Punkte mitsamt ihrer Umwelten in mittelpunktlosen Strukturen wird Sloterdijk in Band III die Schäume nennen.

      Eine neue Konfiguration menschlicher Immunitäten in der Zweiten Ökumene, die ein Integral aller Isoliertheiten ist, kann nur in einem Denken gelingen, das sich vom Einen-und-Allen absetzt.

      poetisch zugang zum anthropisches klima

      lernziel: das alles um homo sapiens herum sphäre, raum, klima wird und ist

      das er nur in starken beziehungen lebt, webt und ist

      warum das atmosphärengefühl ursprünglicher als geschmäcker ist

      auch wenn das Umfeld wächst: von nest, zimmer, höhle, hütte, haus, herd, halle, dorf, paar, familie, stamm, stadt und mehr, immer wächst die sphäre als bergende hülle mit, auch mit wachstumsschmerzen, aber wird auch trotz zerstörung wieder-errichtet

      homom sapiens lebt und ist eine unaufhörliche sphärenschaffende regung, unruhige bewegung ohne rast sein bestechendes merkmal

      herzlich willkommen in den

      wandlosen treibhäusern

      der menschlichen nähe-beziehungen

      ausgestellt wurden:

      von zwei-raum-teilung bis zur welt-gemeinde

      menschliche beseelungsverhältnisse

      zwischen weinrauschenden festen

      und blumenbindender delirien

      verwöhnt-geschmeichelten seelen

      und blutrünstigen gelagen

      kreuz-errichtende komplizenschaft

      waffenschmiedendend-grämende herzen

      der kurator? anonymos

      die sondierungen bisher haben gezeigt:

      menschenwesen können nirgendwo

      anders sein als in den wandlosen

      treibhäusern ihrer nähe-beziehungen

      ihrem verhalten im gemeinsamen raum

      d.h. proxemische anthropologie

      mit dem kern der starken-beziehungen

      sie formen autogene gefäße

      der primärsolidaritäten

      für sie gilt:

      sie sind „ihr eigener ort“

      als geschöpfe auf das

      fördernde mikroklima ihrer frühen binnenwelten angewiesen

      dieser fundus setzt alle übertragungen in gang

      wir sind zuerst und vor allem

      mit einer urteilskraft

      über das atmosphärengefühl

      ausgestattet

      ursprünglicher als geschmäcker

      in atmosphären sind wir eingetaucht

      über sie spricht das offenbare

      zu uns: der raum

      als atmosphäre ist sie

      die amme des werdens

      klima-stimmung-atmosphäre

      die dreifaltigkeit des umgreifenden

      weil sie nicht-gegenständlich ist

      wurde sie bisher beiseite gelassen

      aber

      wenn die saite der existenz

      in einem individuum sich spannt

      schwingt sie in den klangfarben

      einer stimmung oder eines

      prägenden klimas

      atmosphären bilden sich nur

      als geteilte zwischen mehreren

      die nähe-räume für einander durchtönen

      einräumen-leben-weben-und sind-

      wir sind mikrosphärisch

      klimaaktive lebewesen

      mit aktionen aufeinander

      und leiden aneinander

      nähe ist gelebte redundanz

      fülle des offenkundigen

      in dem die synchronisierten schwingen

      wir sind wettermacher

      für unwetter und aufklaren

      beziehungswetter

      bleibt wichtiger und wirklicher

      als große politik und hochkultur


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