Retourkutsche. Kendran Brooks
Читать онлайн книгу.vier Männer besaßen glasig-kalte Fischaugen, die keine Gefühle zeigten. In ihren Gesichtern regte sich nichts, waren wie Masken. Sie blickten sich nicht an, sprachen lange Zeit auch kein Wort. Sie glichen Fremden, die sich auf einer Bahnfahrt zufällig im selben Abteil zusammenfanden, sich gegenübersaßen, aber nichts voneinander erfahren wollten.
Plötzlich ruckte der Kopf von einem der beiden Mörder hoch und sein Mund verzog sich ärgerlich, machte aus seinem Gesicht eine angewiderte Fratze. Gleichzeitig fasste er an sein linkes Hosenbein unterhalb des Knies.
»Schau dir bloß diese Sauerei an, Herb«, meinte er wütend und wedelte dabei mit dem Stoff zwischen seinen Fingern herum, »das war bestimmt deine Kugel«, fügte er vorwurfsvoll hinzu.
Am Hosenaufschlag klebten ein paar gräulich-braune, längliche Tropfen, wohl Gehirnmaße des Toten. Das fette Gewebe sprenkelte den schwarzen Stoff, ähnlich den Lehmspritzern, wie sie von Baustellenlastwagen beim Vorbeirollen auf Fußgänger und Fahrradfahrer verspritzt wurden.
»Mach deswegen bloß keinen Aufstand, Jimmy«, war die gleichgültig klingende Antwort seines Kollegen, »Langley wird dir die Reinigungskosten bestimmt ersetzen.«
Januar 2010
»Herr Lederer, zuallererst möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie sich so kurzfristig die Zeit für dieses Meeting genommen haben. Wir baten Sie zu uns, weil wir Ihren Rat in einer etwas diffizilen Angelegenheit benötigen.«
Der Sechzigjährige fixierte mit dem scharfen Blick eines hungrigen Adlers den wohl fünfzehn Jahre jüngeren Mann am Ende des Konferenztisches, schien ihn mit seinem Blick geradezu hypnotisieren zu wollen.
Jules Lederer, der Problemlöser aus La Tour-de-Peilz, war für diesen Nachmittag ins Grand Hotel Kempinski nach Genf gebeten worden. Die Einladung an ihn erfolgte über einen Auftragsdienst, der außer dem Ort und dem Zeitpunkt keine weiteren Angaben machte. Wer ihn nach Genf beordert hatte, wusste Jules also nicht. Er ging trotzdem hin. Denn das Auflösen von Geheimnissen war nicht nur Teil seines Berufs, sondern seine große Leidenschaft.
Auch der Mann an der Rezeption des Kempinski hatte ihm nichts verraten, schickte ihn bloß hoch zu einer der Bel Horizon Suiten. Hier hatte Jules angeklopft und war sogleich von dem älteren Mann eingelassen worden.
Die Suite war abgedunkelt. Im Vorraum brannte kein Licht. Nur aus einem der angrenzenden Räume drang ein wenig Helligkeit heraus, schuf lange Schattenbilder. Der Ältere hatte Jules in diesen Salon hineingeführt, hieß ihn am Ende des langen Konferenztisches Platz nehmen, im Schein einer Tischlampe, die seine Augen blendeten und zuverlässig verhinderte, dass er erkennen konnte, was links und rechts vom Tisch saß oder stand.
Eine zweite Tischlampe war auf den älteren Mann am Kopfende gerichtet, der ihn an der Tür eingelassen hatte, ließ ihn durch den riesigen Schatten hinter ihm bedrohlich aussehen.
Jules konnte einige männlich geformte und behaarte Hände auf der spärlich ausgeleuchteten Tischplatte erkennen, was auf mindestens ein halbes Dutzend weitere Anwesende schließen ließ.
Bei seinem Eintreten waren flüsternde Stimmen zu hören gewesen. Doch die Gespräche waren längst verstummt. Und so schuf die Dunkelheit mit den tiefen Schatten zusammen mit dem Schweigen eine fast körperlich zu spürende Stimmung einer Verschwörung.
Der ältere Mann am Kopfende des Tisches, war für Jules Lederer durchaus kein Unbekannter. Franz-Xaver Wermelinger, Vorsitzender des Vereins privater Banken, trat regelmäßig mit klugen Kommentaren zur Wirtschaftslage oder zu den Entwicklungen auf dem Schweizer Finanzplatz in den Medien auf. Jules hätte nur zu gern gewusst, wer die übrigen Anwesenden waren.
Direkt zu seiner Rechten trug einer am kleinen Finger der linken Hand einen Ring. Jules erkannte im goldgefassten Lapislazuli das eingravierte Wappen. Es zeigte eine Lilie mit Schwert. De Castell, assoziierte Jules Gehirn, wahrscheinlich der Privatbankier Frédérick de Castell aus La-Chaux-de-Fonds.
Der Mann daneben trug keinen Ring an seinen schlanken, langen Pianistenfingern, ja nicht einmal Manschettenknöpfe oder eine Armbanduhr. Doch seine Handrücken waren mit dichten Büscheln recht langer, tiefschwarzer Haare überwuchert, erinnerten an einen Schimpansen. Falls auch er ein hochrangiger Bankier wie Wermelinger und De Castell war, dann konnte es sich nur um Martin Brechtbühl handeln, CEO der HNB aus Zürich. Brechtbühl galt als Senkrechtstarter auf dem Schweizer Finanzplatz, hatte sich in wenigen Jahren und dank einiger spektakulärer Erfolge in die Herzen der Investoren gedrängt. In seiner kleinen, aber feinen Privatbank wurden ein halbes Dutzend Fonds mit einer Gesamtsumme von über zehn Milliarden Franken verwaltet. Zweihundert handverlesene Ultra-High-Net-Worth Individuals, deren Privatvermögen er sich annahm, ergänzten sein gut laufendes Geschäft, wie man sich erzählte.
»Doch bevor ich auf die Details unserer Besprechung komme, möchte ich von Ihnen die Zusage erhalten, dass Sie absolutes Stillschweigen über den Inhalt dieser Unterredung bewahren werden, egal, ob sie anschließend für uns tätig sein werden oder nicht.«
Die Stimme Wermelingers riss Jules aus seinen kurzen Gedankengängen. Der Problemlöser aus La Tour-de-Peilz trug sein dichtes, dunkelbraunes Haar ein wenig zu lang, so dass sich die Haarspitzen im Nacken auf dem Hemdkragen stülpten. Seine ebenfalls braunen Augen blickten völlig ruhig, zeigten Verlässlichkeit. Die mittelgroße Nase, der recht schmale Mund mit den sinnlichen Lippen, verrieten Beharrlichkeit. Sein ganzes Gesicht war länglich geformt, wirkte darum sehr sportlich, ja fast schon asketisch, da sich seine Wangenknochen leicht unter der gebräunten Haut abzeichneten. Die Mundwinkel hatten sich bei den Worten von Wermelinger zu einem spöttischen Lächeln verzogen, was ihm für einen Moment das Antlitz eines Wolfs verlieh, dynamisch und durchaus anziehend auf der einen Seite, gleichzeitig aber auch höchst bedrohlich wirkend.
»Diskretion ist mein Geschäftsprinzip. Doch das wissen Sie längst, meine Herren, sonst hätten Sie mich wohl kaum hierher bestellt.«
Wermelinger starrte Lederer ein wenig verärgert an, vielleicht weniger über den leichten Spott in seinen Worten als über seinen Gesichtsausdruck. Der Vorsitzende des Vereins privater Banken atmete scharf ein, schien sich eine Erwiderung zurecht zu legen. Doch noch bevor er damit ansetzen konnte, meldete sich eine andere Stimme am Tisch, direkt aus der Dunkelheit heraus.
»Lass gut sein, Franz, und komm doch bitte gleich zur Sache.«
Wermelinger ruckte seinen Kopf unwillig herum, starrte auf den Punkt, wo sich das Gesicht des Sprechers befinden musste, schien die Schwärze mit seinem Blick durchdringen zu können und stumme Zwiesprache mit dem Mann zu halten. Nach zwei Sekunden wandte er sich wieder Jules zu.
»Also gut, Herr Lederer. Kommen wir direkt auf den Punkt zu sprechen, warum wir Sie eingeladen haben. Sie wissen, dass eine unserer Banken in den letzten drei Jahren unter heftigen Anfeindungen durch die amerikanische Administration zu leiden hatte?«
Jules nickte leicht mit dem Kopf.
»Bestimmt wissen Sie auch, dass die amerikanische Steuerverwaltung mit ihrer Drohung eines Strafverfahrens das Ziel verfolgte, unseren Bundesrat zum Aufweichen des Bankkundengeheimnisses zu zwingen und dass die IRS dieses Ziel auch teilweise erreicht hat?«
Wiederum nickte Jules, warf jedoch gleichzeitig ein: »... wobei dies erst durch das jahrelange Fehlverhalten der Bank in tausenden von amerikanischen Steuerfällen möglich wurde.«
Diese Entgegnung trug Jules zwei ärgerliche Grunzer am Tisch ein und auch Franz-Xaver Wermelinger kaute sichtlich an der Klarstellung, wie seine ärgerlich aufblitzenden Augen verrieten.
Aus der Dunkelheit aber schob sich eine weitere Hand auf die spärlich beleuchtete Tischplatte, machte eine beschwichtigende Geste in Richtung des Vorsitzenden. An ihrem Handgelenk saß eine Rolex GMT Master II Ice, wie Jules als Liebhaber und Sammler wertvoller Armbanduhren unschwer erkannte. Das war genau das Uhrenmodell, das sich der ehemalige Präsident der von der Steuersache betroffenen Großbank vor ein paar Jahren gleich im halben Dutzend gekauft hatte. Dies jedenfalls erzählte man sich in der Bankenszene kopfschüttelnd. Wer zum Henker brauchte sechs exakt gleiche Armbanduhren,