Retourkutsche. Kendran Brooks
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Sollte er diese Akte wie viele andere ein paar Wochen lang herum liegenlassen und danach als unlösbaren Fall abschließen? Oder sollte er sich der Sache doch etwas stärker annehmen? Dasher wankte, dachte an den Berg von anderen Fällen, vom bewaffneten Raubüberfall bis zum Einbruch in die Stadtwohnung eines Senators, für die er noch Berichte schreiben musste.
Ein völlig unwichtiger Mensch war aus dem Leben befördert worden. Das Motiv war nicht offensichtlich und die Befragung der Anwohner der Gasse durch die Police Officers hatte keinerlei Hinweis ergeben. Es schien kaum Anhaltspunkte für eine weiterführende Untersuchung zu geben. Höchstens in der Person des Toten selbst.
Doch womit konnte ein Buchverkäufer von Barnes & Noble die Wut von Profikillern erregt haben?
Hatte er ihnen die falsche Lektüre angedreht?
Der Detective Sergeant fischte sich die Fotos der Leiche und des Tatorts aus dem Aktendeckel und breitete sie auf seinem Pult aus. Auf einem war das Gesicht des Toten in einer Nahaufnahme zu sehen. Die beiden hässlichen, dunklen Löcher in seiner Stirn störten. Die Augenlider von Publobsky standen offen und die blaugrünen, matten Pupillen des jungen Mannes starrten ins Nichts, schienen dort selbst nach der Antwort für den Mord zu suchen.
Dasher hatte sich entschieden. Er würde ein paar Stunden seiner stets knappen Zeit in diesen Fall investieren und einige Nachforschungen anstellen. Vielleicht ergab sich doch noch ein Anhaltspunkt? Wahrscheinlich aber verlief der Fall eh im Sand.
*
Genau eine Woche nach der Unterredung in Genf traf Jules Lederer auf dem Nassau International Airport auf den Bahamas ein. Er war über London und Miami angereist. Henry Huxley, sein guter und langjähriger Freund, war in London in dasselbe Flugzeug zugestiegen. Doch da Jules wie vereinbart Business und Henry Economie flogen, hatten sie sich nur kurz beim Umsteigen in Miami und nur von Weitem erblickt. Keiner der beiden Männer hatte dabei eine Regung gezeigt, so als wären sie sich völlig fremd.
Jules hatte Henry und Toni Scapia zu einem Meeting auf die Bahamas gebeten. Da Jules ab und zu von Geheimdiensten begleitet wurde, hatte er für das Treffen höchste Sicherheit vorgesehen. Kaum jemand kannte bislang seine persönlichen Beziehungen zu Huxley und Scapia. Und das sollte auch weiterhin so bleiben.
Toni Scapia, ein Millionärssohn und erfolgreicher Geschäftsmann aus Florida, kannte Jules seit einigen Jahren. Sie hatten sich bei einem internationalen Treffen von britischen und amerikanischen Mitgliedern der Freimaurerloge kennengelernt. Beide erkannten damals rasch ihre ausgeprägte Affinität für Abenteuer und Rätsel, fanden sich zudem sympathisch und hatten sich seither einige Male bei ihren Projekten unterstützen können.
Toni war Ende dreißig, Jules Mitte vierzig und der dritte im Bunde, Henry Huxley, hatte sein fünftes Jahrzehnt mit Sicherheit schon vor einiger Zeit angetreten.
Henry war der typische britische Gentleman, recht groß, schlank und ausgesprochen drahtig. Henry trug in seinem meist ernst blickenden Gesicht einen angegrauten, kurz geschnittenen Schnauzer. Man konnte sich ihn gut als pensionierten britischen Offizier vorstellen, wie er an der Spitze einer kleinen Gruppe von Verwegenen den Hindukusch für sein Königreich eroberte, in der linken Hand die Zügel seines Reitpferdes, in der rechten eine Webley Mk VI.
Jules und Henry verließen den Flughafen auf getrennten Wegen, wobei Henry rasch ein Taxi bestieg und zu seinem Hotel am Hafen fuhr, während Jules erst noch seine Alabima in der Schweiz anrief, um ihr die problemlose Ankunft in Nassau mitzuteilen.
Am nächsten Morgen bestieg Jules mit der ausgeliehenen Taucherausrüstung ein ebenso gemietetes Segelboot, tuckerte mit dem Hilfsmotor aus dem Hafen, setzte draußen auf See das Vorsegel und das Hauptsegel und steuerte auf direktem Weg die Steilwandtauchgründe von Paradise Island an.
Henry traf sich zu diesem Zeitpunkt mit Toni am Hafen.
Scapia sah wie der geborene Sonnyboy aus, immer heiter und gut gelaunt mit einem breiten Lächeln im Gesicht, sportlich und selbstverständlich stets braun gebrannt. Man sah ihm den genießenden Lebemann an, hätte hinter seiner mittelhohen Stirn nie den cleveren Geschäftsmann und harten Verhandlungspartner erwartet. Doch das war der Mann aus Miami tatsächlich. Stets von Gegnern und von Partnern unterschätzt zu werden war sein Geheimnis für den außergewöhnlichen Erfolg.
Henry und Toni waren sich zuvor noch nie begegnet, hatten jedoch ihre Fotos über eine sichere Internetverbindung ausgetauscht. Ihr Händedruck war kräftig und kurz, sie nickten sich zu und klopften sich wie alte Bekannte auf die Schultern. Dann lud Toni den Briten auf sein Schnellboot ein, das er von Miami aus über die See bis hierhin gesteuert hatte. Es war seine neue Sunseeker XS Sport, ausgestattet mit zwei 410 kW starken MerCruiser Benzinmotoren und damit fast 150 Kilometer pro Stunde schnell. So schmolz die Fahrt von Florida bis auf die Bahamas auf wenige Stunden zusammen Das Boot verfügte über keinen großartigen Komfort, sah man von den bequemen, weißen Ledersitzen ab, die dem Steuermann und seinem Co-Piloten selbst bei starker Beschleunigung sicheren Halt boten.
Toni und Henry hatten das Auslaufen von Jules Segelboot ohne Interesse zu zeigen beobachtet, hantierten ihrerseits noch eine gute Viertelstunde lang an Bord herum, wobei der Amerikaner dem Briten die Funktionsweise des Schnellbootes zu erklären schien. Unterbrochen wurden die Ausführungen von Toni einzig durch das Einschenken eines vorzüglichen Whiskeys, einem über vierzig Jahre alten Glan Garioch Single Malt, den Huxley mitgebracht hatte.
Dem Zuprosten, genießerischen Riechen und dem erwartungsvollen Nippen am Glas folgten Sekunden des andächtigen Schweigens. In der Nase hatte sich zuvor eine wahre Schlacht zwischen Torf und Sherry Düften entfaltet, am Gaumen verband sich geschmolzene Schokolade mit süßem Torf, darin fanden sich Einschlüsse von Kirschen und Vanille.
Jules hatte vor der Bucht Anker geworfen und sich die Taucherausrüstung angezogen. Er war längst in den Tiefen der See verschwunden. Erst Minuten später tauchte das Schnellboot von Toni Scapia hinter einer Landzunge auf und fuhr langsam an der Küste entlang. Henry und Toni schienen etwas an Land zu suchen, blickten angestrengt in Richtung Ufer. Für Jules hatten sie eine Leine mit einem daran befestigten Gewichtsstein auf der Seeseite ausgeworfen. Der Schweizer packte sie in zwei Metern Tiefe, ließ sich mit dem Motorboot eine kurze Strecke lang mitschleppen, zog sich dann an den Knoten im Tau rasch an Bord.
Ein Zuschauer hätte es sicher als großen Trick gewertet, dass ein Taucher die ausgeworfene Leine eines vorbeifahrenden Bootes im Wasser ansteuern und ergreifen konnte. Doch im Zeitalter des GPS war dieser Trick kein wirkliches Kunststück mehr und die exakte Einhaltung eines zuvor vereinbarten Weges zwischen zwei definierten Punkten kein Hexenwerk.
Jules zog sich Taucherbrille und Kopfschutz ab, zeigte ein breites Lächeln voller Freude, schüttelte Henry herzlich die Hand, während Toni das Boot auf die offene See steuerte und das Tempo langsam erhöhte. Wenig später flogen sie über die Wellenkämme dahin, erreichten rasch mehr als sechzig Knoten.
Jules hatte sich neben Scapia ans Ruder gestellt, ihm zur Begrüßung leicht und freundschaftlich auf die Schulter geklopft. Der Amerikaner grinste ihn freudig an, behielt seine Hände jedoch am Steuerrad. Henry reichte Jules und Toni die bereitgelegten Headsets und endlich konnten sich die drei trotz Motorengeheul miteinander unterhalten.
»Vielen Dank, dass ihr Zeit gefunden habt«, begann Jules ihr Meeting auf hoher See.
»Jederzeit, mein Freund«, meinte Toni.
»Wer kann schon einem Ausflug auf die Bahamas widerstehen, mitten im europäischen Winter«, warf Henry ein, »doch warum diese Vorsicht? Ist sie nicht etwas übertrieben, Jules?«
»Es geht um einen äußerst delikaten Auftrag, den ich letzte Woche angenommen habe. Und ich hoffe, ihr beide macht mit, wenn ihr erst einmal die Details und die Hintergründe kennt.«
Weder Toni noch Henry antwortete, was Jules als Aufforderung verstand, weiterzusprechen.
»Ich soll für eine Interessengruppe in der Schweiz die Regierungsbehörden der USA bloßstellen, vor allem die amerikanischen Geheimdienste.«
Toni sah Jules kurz von der Seite her an,