Retourkutsche. Kendran Brooks

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Retourkutsche - Kendran Brooks


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Ich weiß nicht, woher diese Harddisks stammen, und ich möchte im Grund genommen auch nichts weiter über sie erfahren. Doch der Eigentümer der Daten wird bestimmt alle Hebel in Bewegung setzen, um sie zurückzubekommen. Und er wird jeden aus dem Weg räumen, der zum Mitwisser wurde.«

      Henry drückte verständnisvoll und freundschaftlich den Oberarm von Hancock: »Keine Sorge, James, ich kann dich gut verstehen und es tut mir ehrlich leid, dass ich dich in diese Angelegenheit hineingezogen habe. Ich konnte nicht ahnen, dass die Daten so brisant sind. Doch eine Bitte hätte ich trotzdem noch. Kannst du mir den Inhalt dieser Harddisks vollständig entschlüsseln und die Daten auf CDs brennen? Dann nehme ich alles mit und niemand wird jemals erfahren, dass du mir bei der Entschlüsselung geholfen hast.«

      Hancock nickte: »Okay, Henry. Komm morgen früh, so auf neun Uhr, noch einmal hierher. Bis dahin werde ich wohl fertig sein.«

      Huxley verabschiedete sich von Hancock und hatte dabei das unbestimmte Gefühl, einen weiteren guten Bekannten und Freund verloren zu haben. Jimmy Access würde sich bestimmt hüten, ihn in nächster Zukunft noch einmal zu treffen.

      *

      Die nächsten zwei Wochen verbrachte Henry damit, die Datenfülle der Harddisks zu sichten, zu katalogisieren und auf diese Weise nach und nach ein Netzwerk an Geldströmen aufzuzeichnen. Im Mittelpunkt des entstehenden Geflechts an Firmen und Bankkonten saß als fette Spinne die Wachovia Bank mit Hauptsitz in Charlotte, ein alteingesessenes Institut, gegründet im Jahre 1879 und bis zur Finanzkrise im Grunde genommen über die meisten Zweifel erhaben.

      Doch die Auswertung der Dokumente ergab ein klares Bild. Viele Milliarden von US-Dollars waren über die Konten dieser Bank aus Mexiko und anderen Ländern in die USA geflossen. Dort wurden sie gesammelt und anschließend weitergeleitet. Doch die ungeheure Menge und die zweifelhafte Herkunft des Geldes hatten bestimmt sämtliche Alarmglocken der Bank schlagen lassen. Henry stellte zudem fest, dass diese riesige Geldwaschmaschine über sehr lange Zeit in Betrieb war, zumindest fünf Jahre lang. So etwas war im Grunde genommen nur möglich, wenn das oberste Management der Bank gemeinsame Sache mit dem Drogenkartell in Juárez machte.

      Wo lag wohl die Grenze zwischen einem Manager einer Bank und einem Ganoven? Hier wurde sie auf jeden Fall weit überschritten. Schon Karl Marx meinte vor mehr als hundert Jahren, was ist schon ein Bankraub im Vergleich zur Gründung einer Bank.

      Die Wachovia war ein erschreckendes Beispiel dafür, zu was Geldgier führen konnte. Denn wer diese Drogengeldwaschmaschine aufgebaut und für das Kartell betrieben hatte, der wusste ganz genau, dass hinter den riesigen Summen aus einem Drittweltland auch Tausende von Toten und Millionen von Verzweifelten standen. Nicht nur Kriminelle und Drogenjunkies, sondern auch viele unbeteiligte, ja zufällige Opfer, Familienangehörige und Freunde.

      Huxley dachte mit Grauen an das Ausmaß seiner Entdeckung. Denn das Juárez Kartell war ja nur eines von über einem halben Dutzend und die aufgelisteten Umsätze in Milliardenhöhe musste man darum vervielfachen, um die eigentliche Dimension zu erhalten. Ein solch riesiges Geschäft konnte nur unter dem Deckmantel von mächtigen staatlichen Behörden betrieben werden. Geheimdienste wie Regierungsstellen mussten daran beteiligt sein, hingen bestimmt längst am Geldtropf der Drogenmafia, waren mit ihr verbandelt.

      Henry musste sich unbedingt mit diesem James Woods in Verbindung setzen.

      *

      Vicente Carrillo Fuentes saß in einem provisorisch eingerichteten Büro im Schlachthof von Gonzales Alvarez. Der Kartellboss war äußerst gereizt. Vor drei Wochen hatte er Jeffrey Immels angewiesen, ihm die Passagierlisten vom Flughafen in El Paso zu bringen und seitdem nichts mehr vom CIA Agenten gehört. Das musste sich schleunigst ändern.

      »Rocky«, rief er befehlend ins Vorzimmer hinüber, zu dem die Bürotür offenstand. Sofort erhob sich dort einer der vier wartenden Mexikaner ächzend vom niedrigen Sofa und ging zu seinem Boss hinüber. Rocky war nur mittelgroß, jedoch ungeheuer breit gebaut, mit einem mächtigen Brustkorb und überdicken Oberarmen. Sein Kopf schien kugelrund, mit kurz geschnittenem, schwarzem Haar. Das Atmen durch seine breite, flach gedrückte Nase fiel ihm schwer und er schnaufte darum ständig, so dass er einem gereizten Toro glich, der durch seine Nüstern schnaubte.

      »Ja, Vicente?«

      Carrillo pflegte einen eher lockeren Ton mit allen Mitarbeitern, im besonderen Maße jedoch mit seinen zahlreichen Leibwächtern. Die Bindung zu ihnen verstärkte sich durch den familiären Umgang und wer verrät schon gerne seinen Vater oder den eigenen Bruder, lässt ihn abschießen oder tötet ihn gar selbst?

      »Geh rüber nach El Paso und such diesen Jeffrey Immels auf. Sag ihm, meine Geduld ginge langsam zur Neige.«

      »Zur Neige?«

      Rocky schien über keinen allzu großen Wortschatz zu verfügen.

      »Na, zu Ende, conexíon, al final.«

      »Aha, das meinst du, Boss«, der Toro nickte bedächtig, »und wo finde ich diesen Immels?«

      Stupide Menschen waren zwar nützlich, konnten einem aber auch gehörig auf den Senkel gehen. Carrillo schluckte eine scharfe Erwiderung, die bereits auf seiner Zunge lag, trocken hinunter und bellte stattdessen: »Na, wo schon. Im Hotel Carlyle. Das solltest du mittlerweile wissen.«

      »Und wenn er nicht dort ist?«

      Carrillo Geduldsfaden spannte sich bis knapp vor dem Zerreißen.

      »Dann hinterlässt du ihm eine Nachricht an der Rezeption.«

      Rocky wandte sich um und tappte zur Tür, drehte sich dann aber wieder zu Carrillo um.

      »Was für eine Nachricht?«

      Der Kopf des Kartellbosses lief dunkelrot an, während sich seine Augen vor Verzweiflung und Wut weiteten. Rocky quittierte dies mit einem verstört fragenden Blick. Ihm war immer noch nicht bewusst, dass er mit seiner Dämlichkeit kurz vor einer Bleikugel im Schädel stand.

      Vicente Carrillo stieß hörbar die Luft aus seinen Lungenflügeln und die ungesunde Farbe wich aus seinem Gesicht.

      »Dass meine Geduld bald zu Ende sei.«

      Rocky nickte.

      »Comprende, Vicente. Bitte hab etwas Geduld mit mir. Ich kapier nicht alles auf Anhieb.«

      »Aber die habe ich doch, Rocky«, meinte Carrillo mit aufgesetzter Freundlichkeit, hinter der sich seine innere Wut nur ungenügend verbarg, »und schließe bitte die Türe hinter dir.«

      Der Muskelmann war noch nicht lange Teil seines Rund-um-die-Uhr Bewachungsteams, vielleicht seit drei Monaten. Er ersetzte Franco, der in Untersuchungshaft saß und auf seine Verhandlung beziehungsweise auf seine sichere Verurteilung wegen Mordversuch und illegalem Waffenbesitz wartete. Franco würde wohl kaum in den nächsten sechs Jahren freikommen. Mit etwas Wehmut dachte Carrillo an den ehemaligen Footballspieler, der viele Jahre als Verteidiger bei den Arizona Cardinals gearbeitet hatte und ihm seit seinem Karriereende gute Dienste leistete. Mit seinen dreihundert zwanzig Pfund war Franco stets ein gewichtiges Argument in jeder körperlichen Auseinandersetzung gewesen. Und dabei war der Zwei-Meter-Mann auch noch mit einem gehörigen Maß an Intelligenz ausgestattet, im Gegensatz zum stupiden Rocky. Mit seiner Dämlichkeit war dieser geistige Blindgänger ein Risiko. Carrillo war längst klar geworden, dass er für seinen neuen Bodyguard mittelfristig eine abschließende Lösung finden musste. Eine Felsspalte in den Bergen und eine gnädige Kugel im Kopf konnten das Problem rasch aus der Welt schaffen. Carrillo nahm sich vor, daran zu denken, wenn er seine rechte Hand Armando das nächste Mal traf.

      Leise ging die Tür wieder auf und Rocky schob seinen Kopf ins Büro, sah Carrillo treuherzig an.

      »Was ist denn noch?«, fuhr dieser seinen Leibwächter an, »bist du immer noch nicht unterwegs?«

      »Ich hab’s ihm ausgerichtet, Vicente«, vermeldete der Muskelmann stolz.

      »Wem ausgerichtet?«

      »Na, diesem Immels. Ich hab ihm gesagt, dass deine Geduld zu Ende sei.«

      Carrillo


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