Retourkutsche. Kendran Brooks

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Retourkutsche - Kendran Brooks


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auseinander zu setzen und sich auf die Suche nach neuen Hinweisen zur Ermordung ihres Bruders Hank Publobsky zu machen.

      Nach zwei Wochen stand fest, dass dieser Timothy Allen nur wenige Wochen in New York gelebt hatte. Woher er kam, konnte allerdings nicht schlüssig ermittelt werden. Und wie dieser Timothy Allen drei Jahre zuvor in New York wegen Drogendelikten verhaftet werden konnte, obwohl er in dieser Stadt vor Oktober 2009 keinerlei Spuren hinterlassen hatte, blieb für die privaten Ermittler ein Rätsel.

      Doch mit all diesen Informationen saß Lena Publobsky wenige Stunden später wiederum vor dem Pult von Detective Lieutenant Dasher. Dieser schüttelte nach ihrer Aussage und der Beschwerde über seine lahme Arbeit bloß den Kopf, nicht zustimmend, sondern mit einem verbissen wirkenden, fast ärgerlichen Ausdruck im Gesicht.

      »Sie können Ihren Bruder nicht mehr lebendig machen, Miss Publobsky, egal, was Sie noch alles über diesen kleinen Drogendealer herausbekommen sollten. Besser, Sie finden sich endlich mit dem Tod Ihres Bruders ab. Er war ganz einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.«

      Die junge Frau schüttelte ihren Kopf und sah Dasher zwingend an.

      »Wir Publobskys stammen aus der Ukraine, aus Skadovsk am Schwarzen Meer. Meine Urgroßeltern entkamen dem Holocaust im Zweiten Weltkrieg nur knapp, konnten nach Marseille flüchten und wurden dort vor den Nazis verborgen. Doch bereits mein Vater wuchs als stolzer Franzose auf. Er ist dort immer noch Polizist, bei der Autobahnpolizei. Und er ist sehr stolz darauf, Tag für Tag seinen Beitrag für das Land seines Herzens zu leisten, das seine Familie vor dem Konzentrationslager beschützte. Ich kann meinem Vater nicht unter die Augen treten und ihm mitteilen, sein Sohn hätte bloß Pech gehabt. Jedenfalls so lange nicht, bis ich wirklich alles unternommen habe, um die Hintergründe dieser scheinbar so sinnlosen Tat aufzudecken. Das müssen Sie doch verstehen, Detective?«

      Einen Moment lang schwieg sie, ließ ihre Worte auf Dasher wirken und legte sich gleichzeitig neue Argumente zurecht.

      »Interessiert Sie denn gar nicht, woher dieser Timothy Allen aufgetaucht ist und wohin ihn das DEA nach seiner Verhaftung gebracht hat? Glauben Sie immer noch, dass es bei diesem Mord bloß um ein paar Amphetamine oder irgendwelche Informationen ging? Dass mein Bruder in irgendwelche Drogengeschäfte verwickelt war und darum sterben musste?«

      Dasher zuckte mit den Schultern.

      »Ihr Einsatz für Ihren Bruder kann ich nicht hoch genug werten und Sie haben meine volle Anteilnahme, Miss Publobsky. Doch die Akte zum Mordfall an Hank wurde nun mal ergebnislos geschlossen. Ob die Verhaftung dieses Timothy Allen in irgendeiner Weise mit dem Tod Ihres Bruders zusammenhängt, ist bloß Ihre Annahme. Ich habe keinerlei Hinweise oder Spuren gefunden, an die man hätte anknüpfen können. Und darum spielt es auch keine Rolle, was Sie über diesen Allen herausgefunden haben wollen. Finden Sie sich bitte damit ab, dass der Mord an Ihrem Bruder unaufgeklärt bleibt.«

      Die Enttäuschung war der jungen Frau von den aparten Gesichtszügen abzulesen. Ihre schmale Nase war blass geworden, ihre Haut über den hohen Wangenknochen wirkte einen Moment lang eingefallen. Doch dann ging ein Ruck durch ihren Körper und ihr Rücken straffte sich merklich. Auch begannen ihre Augen wieder zu funkeln.

      Nein, Detective Dasher machte sich nichts vor. Diese Frau würde wohl noch eine sehr lange Zeit nicht aufgeben, schien sich in ihre selbst gestellte Aufgabe regelrecht verbissen zu haben.

      Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stand sie auf und ging mit ruhigen Schritten zum Ausgang, drehte sich nicht mehr zu ihm um. Dasher starrte auf ihren schmalen Rücken mit den unter der Bluse leicht abzeichnenden Schulterblättern. Die junge Frau kam ihm so stark, zielstrebig, ja unbeirrbar wie eine echte Amazone vor. Gleichzeitig erkannte er aber auch ihre Verletzlichkeit, ja Zerbrechlichkeit. Sie würde bestimmt im selben Moment zusammenklappen, in dem sie sich selbst eingestand, dass jede weitere Untersuchung sinnlose Zeitverschwendung war.

      Dasher erschauerte innerlich. Dann schüttelte er seinen aufflackernden Beschützerinstinkt mit einem unwilligen Ruck seiner Schultern ab. Für Gefühlsduseleien war er schon viel zu lange Polizist.

      *

      Henry war nach London zurückgekehrt und hatte die Harddisks aus dem Server des Juárez-Kartells einem guten Freund übergeben. Dieser würde sie für ihn dechiffrieren und auswerten. James Hancock, seit der Studentenzeit von seinen guten Bekannten nur Jimmy Access genannt, war seit vielen Jahren Professor für Informatiksicherheit und Kryptografie an der Universität von Cambridge, übernahm jedoch gerne auch anspruchsvolle Aufgaben aus der Privatwirtschaft, galt zudem als ausgesprochen verschwiegen. Henry wartete mit zunehmender Spannung auf Resultate seiner Arbeit. Doch die Speichermedien leisteten hartnäckig Widerstand. Die Verschlüsselung war umfassend und auf dem neuesten Stand der Technik, wie Jimmy Access bald einmal herausfand. Er musste seinen Klienten deshalb jede Woche um noch ein paar Tage mehr Zeit bitten.

      Die Wartefrist nutzte Huxley zur lockeren Kontaktpflege mit seinen Bekannten aus der Finanzbranche. Ihn interessierte dabei vor allem, was sie ihm über die Wachovia Bank in den USA erzählen konnten. Cyrill Fletcher, eine quirlige, sehr schlanke Frau Mitte dreißig, gab ihm den entscheidenden Hinweis, wie sich bald herausstellen sollte.

      »Du solltest dich mit Martin Woods in Verbindung setzen.«

      »Martin Woods?«

      »Ja, er trat 2005 bei der Wachovia ein, als Senior-Manager gegen mögliche Geldwäscherei-Delikte. Doch nach knapp zwei Jahren hat man ihn rausgeschmissen und er arbeitete danach für Scotland Yard. Man erzählt sich hinter vorgehaltener Hand, dass das oberste Management der Wachovia kein Interesse an den vielen Hinweisen und Beanstandungen von Woods gezeigt habe. Sie scheinen dort die Stabsstellen gegen Geldwäscherei nur geschaffen zu haben, weil sie von der Bankenaufsicht dazu gedrängt wurden. Woods sollte ihnen wohl als Feigenblatt dienen.«

      »Und wie kann ich Kontakt zu ihm aufnehmen? Lebt er in England oder den USA?«

      »Soweit ich weiß, lebt er immer noch hier in London. Aber lass mich mal ein wenig herumtelefonieren.«

      Die beiden saßen in der obersten Etage von Harvey Nichols, genauer gesagt in der Café und Espresso Bar. Sie hatten sich zum Lunch Club-Sandwichs bestellt. Ein 2007er Chardonnay vom Newton Wineyard im Nappa Valley, den Henry zuvor im Weinshop erstanden hatte, adelte die eher schlichte Mahlzeit.

      Die Nase des kalifornischen Weißweines duftete verführerisch nach Ananas und Mangos, reifen Pfirsichen und Papaya. Ein einzigartiges Fruchtbouquet, das die Sinne berührte. Dem cremigen Auftakt im Mund folgte ein honigartiger Fluss, der eine enorme Fülle zeigte und von Marillen und Pfirsichen begleitet wurde. Es war ein Wechselspiel von Frische und Fülle, mit edler Vanillenote im Hintergrund und einer überwältigend, fruchtigen Ananas im langanhaltenden Finale.

      »Ein Wein, für den man töten könnte«, war der neckische Kommentar von Cyrill nach ihrem ersten, genießerischen Schluck gewesen.

      Henry blickte sich im Restaurant um, während seine Bekannte verschiedene Nummern nacheinander anrief und nach Woods ausfragte. Ein Pärchen fiel Henry ganz besonders ins Auge. Die beiden blickten angestrengt und lange in die Menükarte des Cafés und gaben anschließend eine äußerst kurze Bestellung beim Kellner auf. Der brachte ihnen wenig später zwei Mineralwasser. Was Huxley jedoch wirklich misstrauische machte, war ihr gegenseitiger Umgang. Sie wechselten kaum ein Wort miteinander, blickten die meiste Zeit aneinander vorbei. Waren das vielleicht zwei Polizeibeamte in Zivil? Gar Agenten von Scotland Yard oder vom MI6?

      Der Mann war Anfang dreißig und wirkte auf ihn wie ein gewöhnlicher Börsenmakler, wie sie zu tausenden in der City unterwegs waren. Dunkles, nicht allzu teures Tuch, eine dezente Krawatte mit Streifen, schwarze Lackschuhe und ein durchschnittlich langweiliges Gesicht.

      Die Frau war wesentlich jünger und sah in den Augen von Henry höchst erfreulich aus, auch wenn ihr Gesicht etwas gewöhnlich wirkte. Ein Landei in der großen Stadt, gehüllt in ein Kleid, das einem Luxusstück von Dolce & Cabana nachempfunden war, eine Billigimitation, welche die Frau wohl am Petticoat Lane Market aufgestöbert hatte. An einem ihrer hochhackigen, recht neu wirkenden Pumps war der Gummiabsatz ein wenig verschoben, Indiz für Ramsch-Ware aus Fernost.

      Henry


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