Retourkutsche. Kendran Brooks

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Retourkutsche - Kendran Brooks


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trug. Als er wieder in Mei Lings Augen blickte, erkannte er darin eine gespannte und irgendwie auch hoffnungsvolle Erwartung. Vielleicht nach mehr? Oder machte sie sich bloß einmal mehr lustig über ihn?

      Rasch zog er seine Hand von ihrem Schenkel weg und drehte sich wieder in Richtung Strand um. Möglichst sachlich und ohne Betonung fragte er die Studentin dann: »Gehen wir heute Abend in den Klub?«

      Damit meinte er das Nuth, die derzeit angesagteste Diskothek in Rio.

      »Wenn du willst?«, gab die Chinesin mit ebenso neutraler Stimme zurück. Chufu glaubte allerdings, darin eine Spur von Enttäuschung herauszuhören. Sie stierten nun beide ohne großes Interesse auf die anderen Halbnackten am Strand, die sich mit Ballspielen und Sonnenbädern den späten Nachmittag totschlugen, hingen irgendwelchen Gedanken nach. Und so schwiegen sie beide eine lange Zeit, empfanden vielleicht dasselbe Gefühl, so als wenn ihre bislang so ausgelassene und unbekümmerte Freundschaft auf einmal durch eine hohe Mauer blockiert war.

      Als seine Erektion endlich abgeklungen war, bot Chufu ihr an, ein Eis im Strandlokal zu besorgen. Mei Ling lehnte mit den Worten, »Nein danke. Sonst werde ich nur noch fetter«, recht schroff ab, worauf der Philippine einen heftigen Kloß in seinem Hals verspürte und gleichzeitig fühlte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Er antwortete nichts darauf.

      *

      Zwanzig Meilen außerhalb Juárez lag auf einem flachen, mit Bäumen und viel Buschwerk überwucherten Hügel eine weiße und hellstrahlende, riesige Hazienda. Die üppige Vegetation war im Grunde genommen ein Wunder, hier im trockenen Norden von Mexiko, doch nicht, wenn ein reicher Drogenboss für genügend Bewässerung sorgte. Vicente Carrillo Fuentes hatte sich hierhin zurückgezogen, bezahlte brav jeden Monat seine Bestechungsgelder an den Polizeichef und die Armeeführung in der Region und lebte mit seiner Familie seit mehreren Jahren völlig unbehelligt vor der Justiz. An diesem Sonntagnachmittag lag er mit seiner dritten Ehefrau Denise aus Detroit unter ein paar schattigen Bäumen am Pool. Ein Diener servierte ihnen zwei Frozen Margaritas. Die Kinder plantschten mit ein paar Freunden ausgelassen im großen Becken.

      »Du hast Sorgen, Vicente«, stellte seine Gattin fest, nachdem sie durch den Strohhalm ein Schlückchen des Getränks gesogen und geschluckt hatte.

      Carrillo blickte weiterhin grimmig geradeaus und auf das glitzernde Wasser des Pools, schien erst gar nicht antworten zu wollen.

      »Es ist nichts. Das Übliche«, beschwichtigte er dann kurz angebunden.

      »Teil deinen Kummer mit mir«, verlangte seine Ehefrau. Denise wusste selbstverständlich von den Drogengeschäften ihres Mannes, hatte sie schon bei ihrem Kennenlernen vermutet. Für einen Geschäftsmann, der sein Geld ehrlich und manchmal auch mühsam verdiente, gab er viel zu viel und viel zu locker aus. Denn Vicente lebte damals so, als wenn jeder Tag sein letzter wäre. Das konnte bei einem Drogenboss der Fall sein. Erst einige Jahre nach ihrer Hochzeit, der Geburt der Zwillinge und ihrer Tochter Felicitas wurde ihr Ehemann ruhiger, legte seine stets ein wenig gehetzt wirkende Art ab. Doch an diesem Nachmittag schien er wieder einmal mehr innerlich aufgewühlt und angespannt. Ein bestimmtes Problem schien seine Gedanken zu fesseln.

      Endlich drehte Vicente seinen Kopf zu seiner Frau herum und begann, ihr von seinen Sorgen zu erzählen.

      »Das Sinaloa-Kartell hat schon wieder einen meiner Transporte auffliegen lassen. Dabei sah alles so perfekt aus. Wir hatten das Flugzeug in Chihuahua bereits beladen und waren startklar für den Direktflug nach Amarillo. Auch dort war alles längst vorbereitet und der Weitertransport organisiert. Doch kurz vor dem Start tauchte auf einmal die Drogenfahndung auf und beschlagnahmte alles.«

      »Und wie viel hast du dabei verloren?«

      »Ach«, winkte der Boss des Juárez-Kartells unwirsch ab, »im Prinzip nur den Jet, den wir für knapp zwei Millionen gekauft hatten. Die Ware gehörte mir gar nicht. Was aber wirklich schwer wiegt, das ist die steigende Unzuverlässigkeit meiner Transportwege. Weißt du, Liebes, wir führen pro Jahr für etwa fünf Milliarden Dollar Kokain aus Kolumbien in die USA ein. Gegen eine Milliarde betragen unsere Frachtgebühren. Die zwei Millionen für das Flugzeug fallen also nicht ins Gewicht. Doch meine Geschäftsfreunde in Kolumbien und den USA werden langsam nervös. Viel braucht es nicht mehr und sie wechseln zu Guzman über.«

      »Was willst du dagegen unternehmen?«

      Carrillo starrte wieder auf die Wasserfläche mit ihren Reflexionen. Bisher hatte er seinen Drink noch nicht angerührt.

      »Ich vermute, irgendeiner aus meiner Organisation redet, hat die Seite gewechselt. Es kann gar nicht anders sein.«

      »Und wen hast du in Verdacht?«

      »Jeden und keinen. Für meine engsten Vertrauten lege ich meine Hand ins Feuer. Doch bei einem dieser Kerle würde ich sie mir wahrscheinlich verbrennen. Bloß bei welchem?«

      Ein anderer Diener kam um den Pool herum zum Ehepaar, trug auf einem Tablett ein Handy herbei.

      »Ein Anruf, Señor, aus der Stadt.«

      Vicente griff nach dem Telefon.

      »Ja?«

      Seine Stimme hatte jede Unsicherheit verloren. Hart, klar und fordernd drang sie an das Ohr seines Gesprächspartners.

      »Es gab einen Überfall. Auf unsere Zentrale in Juárez. Vor zwei Stunden«, tönte es aus dem kleinen Lautsprecher. Carrillos Gesicht nahm eine fahle Farbe an.

      »Ein Überfall? Von wem?«, schnarrte er ungeduldig ins Mikrofon.

      »Es waren zwei Mexikaner. Sie haben anschließend Feuer gelegt. Das Gebäude ist vollständig ausgebrannt.«

      »Wie viele Tote?«

      »Keine Toten. Unsere Wächter wurden bloß ausgeschaltet. Dann durchsuchten die beiden Männer die Büros, nahmen wohl auch einige der Akten mit, legten Feuer und brachten unsere Leute ins Freie, bevor sie so rasch verschwanden, wie sie aufgetaucht waren.«

      Vicente Carrillo war einen Moment lang still, dachte angestrengt nach.

      »Habt ihr die Kerle gefilmt?«

      »Ja, natürlich. Die Kameras in der Lerdo funktionierten einwandfrei.«

      Die Mine des Kartellbosses hellte sich etwas auf.

      »Okay. Treffen wir uns bei Alvarez. In einer Stunde. Ruf die Jungs zusammen.«

      Als er die Leitung unterbrochen hatte, blickte ihn seine Frau Denise aufmerksam an.

      »Ein Überfall? Wo? Gab es Tote?«

      Carrillo schien immer noch nachzudenken, antwortete seiner Gattin geistesabwesend: »Nein, keine Toten. Das ist das Seltsame. Irgendjemand hat meine Zentrale in der Stadt überfallen, die Wachen ausgeschaltet und Feuer gelegt. Doch sie ließen alle meine Leute am Leben. Ich begreife das nicht. Das ergibt doch keinen Sinn?«

      Denise kümmerte sich in der Regel kaum um die Geschäfte ihres Gatten. Dass er wegen des anhaltenden Kriegs zwischen den rivalisierenden Drogenkartellen immer öfters gereizt und manchmal auch verbitterte war, kannte sie schon. Doch ratlos hatte sie ihn noch nie zuvor erlebt.

      »Vielleicht ein Außenseiter? Ein Neuer? Der noch gewisse Skrupel kennt?«, versuchte sie die Gedanken ihres Ehemannes in eine bestimmte Richtung zu lenken.

      »Nonsens. Niemand in unserem Geschäft kann sich den Luxus von Skrupeln leisten. Das ganze sieht mir auf den ersten Blick eher nach einer Polizeiaktion aus. Doch die mexikanische hat dafür gar nicht die richtigen Leute. Die würden auch gleich mit fünfzig oder gar hundert Mann anrücken, das gesamte Gebiet absperren, Unbeteiligte evakuieren und erst danach stürmen. Doch diesmal sollen es bloß zwei Mann gewesen sein, die meine Leute ausschalteten.«

      »Stecken vielleicht die Amerikaner dahinter?«

      »Die hätten zwar die richtigen Männer für so was, doch warum sollten sie sich ihre Geschäfte mit uns verderben? Immerhin bezahlen wir sie fürstlich für ihre Dienste.«

      »Vielleicht ein Konkurrent deiner amerikanischen


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