Retourkutsche. Kendran Brooks

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Retourkutsche - Kendran Brooks


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      Der Alte stand hilflos zwischen den beiden jungen Männern, wurde von diesen brutal zu Boden gedrückt und landete tapsig wie ein Tanzbär neben seiner eigenen Kotze auf Händen und Knien. Verstört blickte er hoch zu den Gesichtern der beiden, schien nicht zu verstehen, was sie eigentlich von ihm wollten. Seine Augen bettelten jedoch um Schonung und mit dünner Stimme meinte er »Bitte tun Sie mir nichts, apreciados Señores míos.«

      »Du sollst die Kotze aufwischen, Borrachin. Mit deinen Händen.«

      Mit schwankendem Oberkörper betrachtete der Betrunkene ohne Verständnis den unappetitlichen Inhalt aus seinem Magen, hob ergeben die Hände, nestelte dann doch sein Hemd aus dem Hosenbund hervor und begann unbeholfen, den Brei vom Asphalt zu schaben und in einer Hemdkuhle vor seinem Bauch zu sammeln.

      Als das meiste Unverdaute aufgewischt war, ließen ihn die jungen Männer endlich aufstehen. Stöhnend kam der Alte hoch, schwankte danach unsicher davon, die tropfende Hemdkuhle mit beiden Händen umfasst, als hielte er einen kostbaren Schatz vor seinem Bauch. Das meckernde Lachen der jungen Männer folgte ihm.

      *

      Als der Air France Flug 444 in Rio de Janeiro aufsetzte, atmete Chufu Lederer befreit auf. Nicht dass er sich unwohl an Bord des Airbus 332 gefühlt hätte. Keineswegs. Als junger, gutaussehender Mann in der Business Klasse war er von den beiden hübschen Stewardessen geradezu verwöhnt worden. Auch kannte der junge Philippine keinerlei Flugangst. Sein befreites Aufatmen betraf vielmehr den seit Wochen herbeigesehnten Aufenthalt in Brasilien. Endlich hatte er die elterlichen Fesseln in der Schweiz abgeworfen und war wieder einmal auf sich allein gestellt, so wie früher als Waisenjunge und später als Schiffsjunge auf einem Tanker. Hier an der Copacabana würde er als freier Student ein oder auch zwei Semester verbringen, umschwärmt von Dutzenden braungebrannter, knackiger Mädchen. So jedenfalls stellte sich der junge Mann sein zukünftiges Leben vor.

      Ende Woche begann bereits der Karneval, wohl die beste Zeit, um sexuelle Kontakte mit den herrlichsten Mädchen der Welt zu knüpfen, wie ihm einige seiner Mitschüler im Internat Le Rosey in Rolle immer wieder begeistert erzählt hatten. Als junger, gesunder Mann freute sich Chufu auf eine Zeit voller neuer, unbeschwerter sexueller Erfahrungen.

      Seine Gastfamilie wartete vollzählig in der Ankunftshalle auf ihn, zeigten bei seinem Auftauchen ein breites Lachen, freuten sich über den Asiaten aus der Schweiz. Die Ferreiras hatten drei fast erwachsene Töchter und so fiel die Begrüßung erfreulich herzlich aus, mit vielen Küsschen auf viele weiche Mädchenwangen. Die hübscheste von ihnen, Ricarda, lehnte sich bei ihrer Begrüßung so stark an seinen Körper, dass Chufu ihre erregten Brustwarzen durch sein Hemd auf seiner Haut spüren konnte. Die Siebzehnjährige wurde jedoch sogleich von ihrem Vater unsanft am rechten Oberarm gepackt und zur Seite gezerrt, was sie mit einem ärgerlichen Ausruf und anschließendem Schmollmund in Richtung ihres Papas quittierte.

      Ei, ei, ei, das kann ja heiter werden, dachte sich Chufu wenig respektvoll, als er in die nun verkniffenen Gesichter der Eltern Ana und Luís blickte, eine läufige Tochter und zwei strenge Zerberusse zu ihrer Bewachung.

      *

      Zwei Tage danach klingelte Toni Scapia vergeblich an der Türe der etwas außerhalb von Vegas gelegenen Villa von Alberto Valandera. Nachdem der Anwalt am ersten Abend nach ihrer Aussprache in der Bar nicht im MGM erschien und gestern über Tag auch nicht telefonisch in der Kanzlei erreichbar war, machte sich Scapia große Sorgen.

      Toni drückte erneut auf den Knopf und wiederum erschallten die wuchtig-tragenden Glockenklänge von Big Ben durch das Innere des Hauses. Hinter der undurchsichtigen Glasfüllung der Türe zeichnete sich jedoch weiterhin weder ein näherkommender Schatten noch irgendeine andere Bewegung ab.

      Toni Scapia ging um das Haus herum, gelangte so in den Garten. Er hoffte nicht vergebens, denn die Terrassentüre stand offen. Irgendwo musste auch noch ein Fenster geöffnet sein, denn die weiße Gardine wurde vom Wind immer wieder erfasst und weit nach draußen gedrückt.

      »Alberto?«, rief Toni in das Innere des Hauses, hatte den Vorhang zur Seite gedrückt und sah in ein Wohnzimmer mit modernen Möbeln und abstrakten Bildern an den Wänden.

      Keine Antwort.

      »Alberto!«, wiederholte er lauter und zwingender.

      Nichts.

      Toni schritt über die Türschwelle und durch den großzügigen Raum hinüber in den Flur, rief dort abermals nach seinem Bekannten.

      Etwas unschlüssig starrte er die Treppe hoch, die ins Obergeschoss führte, stieg dann die Stufen fast bedächtig nach oben, gleichermaßen getrieben und gehemmt durch dasselbe, unbestimmte, aber auf jeden Fall bange Unbehagen.

      Er öffnete eine Türe nach der anderen, fand ein Gästezimmer, ein Klo, noch ein Gästezimmer und danach Alberto, tot auf seinem Bett liegend. Eine hässliche Wunde klaffte an seiner Schläfe. Neben seinem Kopf lag in seiner erschlafften, rechten Hand die großkalibrige Pistole.

      Toni war erschüttert, konnte gleichzeitig seine Augen kaum vom schwarz umrandeten, dunkelrot-braunen Loch im Schädel des Toten nehmen, aus der nicht allzu viel Blut geflossen war. Er hockte sich neben Alberto auf die Matratze und betrachtete mit einem verloren wirkenden Blick den überschuldeten Anwalt, der im Selbstmord wohl den einzig gangbaren Weg für sich gesehen hatte.

      Wie rasch doch ein Menschenleben enden konnte?

      Man war beruflich erfolgreich, vielleicht sogar äußerst beliebt. Alles schien einem möglich. Die Welt stand einem offen. Und dann wurde man von einem betrügerischen Gernegroß in einen Abwärtsstrudel gerissen, aus dem man sich nicht mehr selbst befreien konnte. Frühere Freunde entpuppten sich plötzlich als eher lockere Bekannte, die einen lieber verleugneten als unterstützten. Immer mehr private Kontakte brachen weg. Man fühlte sich allein gelassen mit einem gänzlich wertlos gewordenen Leben.

      Toni erblickte auf einem der Nachttische ein gerahmtes Foto mit Alberto und einer Frau darauf. Beide strahlten in die Kamera, standen auf einer Hochseejacht. Er hielt noch die mächtige Angelrute in seinen Händen. Am Haken hing ein Barrakuda. Es war wohl eine Szene aus glücklichen Tagen, eine Momentaufnahme des persönlichen Triumphs. Hatte ihn seine Freundin oder Frau nach dem finanziellen Absturz verlassen? Es musste wohl so sein. Wie sonst hätte sich Alberto fast jeden Abend im Kasino herumtreiben können?

      Im Bericht der Detektei stand nichts über seine Familienverhältnisse. Doch die Pleite von Madoff lag mehr als ein Jahr zurück. Genügend Zeit für eine endgültige Trennung oder eine Scheidung.

      Toni Scapia schüttelte seine trüben Gedanken ab, konzentrierte sich darauf, was als Nächstes zu tun war.

      Hatte er irgendetwas im Haus berührt? Ja, die Türgriffe zu den Räumen hier oben. Mechanisch erhob er sich, strich mit der Hand den Abdruck seines Hinterns auf dem Laken glatt, ging hinaus auf den Flur, zog dort ein Taschentuch hervor und begann alle Fingerabdrücke von den Klinken abzuwischen. Zurück in seinem Hotel würde er auch seine Kleidung komplett auswechseln und die alte wegwerfen. Auch das Hotelzimmer würde er nun wechseln. Denn kein Polizist und schon gar kein Special Agent eines Geheimdienstes sollte eine Verbindung zwischen ihm und dem Haus von Alberto Valandera und damit zu Hecksmith & Born herstellen können.

      Erst am späteren Nachmittag wurde Toni so richtig bewusst, dass ihm von seinen drei Zielpersonen gerade mal eine übrig geblieben war. Seine volle Aufmerksamkeit musste nun Caspar Jakes gelten. Hoffentlich überbrachte ihm die Detektei endlich nützliche Informationen über die eigentlichen Ziele des General-Managers der Kanzlei in Los Angeles und San Francisco.

      *

      »Dein Tipp mit dem Haus in der Quergasse war goldrichtig, Manuel«, berichtete Henry wenig später seinem mexikanischen Freund, während er sich mit den Fingerkuppen vorsichtig die dunklen Linsen vor seinen Pupillen entfernte, »ich hab ihnen vor die Tür gekotzt und kam danach kaum drei Schritte weit, schon waren zwei Bewaffnete draußen und hatten mich am Wickel. Eine Kamera konnte ich zwar nirgendwo entdecken, doch sie scheinen diese Türe oder auch die gesamte Gasse ständig zu überwachen.«

      Manuel


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