Retourkutsche. Kendran Brooks

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Retourkutsche - Kendran Brooks


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jedoch keinerlei Interesse an ihm oder den anderen Touristen von der anderen Seite des Rio Grande. Ausweise wurden auf der mexikanischen Seite der Grenzbrücke äußerst selten verlangt. Der Unterschied zur Zollstation der US-Behörden am linken Flussufer konnte kaum größer sein. Hier warteten in der Regel mehr als ein Dutzend Beamte auf eine Flut von Einreisewilligen. Jeder Ausweis wurde genau kontrolliert, viele davon elektronisch überprüft, sämtliches Handgepäck durchsucht, mit Drogen- und Sprengstoffhunden zudem Autos und Busse umrundet und mit Spiegeln alle Fahrzeugböden von unten abgesucht.

      Henry schlenderte zusammen mit einigen Tagestouristen die Straße in Richtung Zentrum hinunter. Vor einhundert Jahren musste dies eine prachtvolle Einkaufsgegend gewesen sein. Alte Porzellankacheln pflasterten an manchen Stellen immer noch den Gehweg oder die Hausmauern und zeugten von einer goldenen Zeit. Doch seitdem folgten viele Jahrzehnte des wirtschaftlichen Niedergangs, unterbrochen durch einzelne, nur kurze Zeit aufflackernde Aufschwüngen, zu wenige und zu schwache, um die ehemalige Substanz der Stadt zu erhalten und den Abstieg zu einem billig Eldorado amerikanischer Schnäppchenjäger aufzuhalten.

      Manuel Rodrigez erwartete Huxley in seinem kleinen Café, das an der Ecke zur Tlaxcala lag. Henry drückte die nur angelehnte Eingangstüre auf. Ein helles Klingeln kündigte den Wirtsleuten den neuen Besucher an und Manuel Rodrigez kam mit einem fragenden Gesichtsausdruck auch schon um die schmale Theke herum, seine feuchten Hände an einer vor den Bauch gebundenen Küchenschürze abwischend. Er erkannte im Gegenlicht der Straße seinen alten Bekannten erst nach zwei Sekunden. Doch dann begann sein eckiges Gesicht mit der mächtigen Kinnlade sogleich zu strahlen.

      »Buenos Dias, alter Freund«, der Mexikaner ergriff Henrys ausgestreckte Hand und schüttelte sie überschwänglich, zog ihn näher zu sich heran und umarmte ihn herzlich, »wie lange ist es her? Vier Jahre, oder gar fünf?«

      Auch Henrys Augen blickten seinen Mitstreiter vergangener Tage herzlich und freudestrahlend an: »Es sind fast sechs, Manuel, doch du scheinst kein bisschen älter geworden zu sein. Wie geht es Maria?«

      Die Augen des Mexikaners verschleierten sich augenblicklich und sein Gesicht trübte sich schmerzlich.

      »Sie ist letztes Jahr gestorben. Brustkrebs.«

      Henry war betroffen.

      »Das tut mir so leid, mein alter Freund. Ich habe Maria immer sehr geschätzt und gemocht. Sie war dir eine gute Frau und eine echte Partnerin.«

      Henry umarmte den Mexikaner noch einmal herzlich, diesmal noch länger als zuvor. Er drückte ihn an sich und verharrte, ließ ihn seine Anteilnahme auch körperlich spüren. Als er ihn losließ, hatte Manuel feuchte Augen, die er sich rasch mit den Handrücken auswischte. Ein verlegenes Lächeln erschien in seinem traurig lächelnden Gesicht.

      »Danke, Henry.«

      Sie setzten sich an einen der kleinen, quadratischen Tische mit ihren rot-weiß gemusterten, hübschen, sauberen Decken. Auch nach ihrem Tod war die Hand der quirligen Mexikanerin im ganzen Café noch zu spüren, diesen eigenwilligen Charme, eine Mischung zwischen Gemütlichkeit und Sauberkeit, wie sie nur eine warmherzige Frau herbeizaubern kann.

      Die beiden Männer waren an diesem späten Morgen allein im Lokal. Nur eine Hilfskraft werkelte in der kleinen Küche hinter der schmalen Theke herum, bereitete wohl Speisen für die Mittagszeit zu, wie Henry durch die offenstehende Tür erkannte.

      »Erzähl, mein alter Freund, was führt dich wieder einmal nach Juárez?«

      Huxley vertraute Rodrigez wie einem Bruder. Vor zwanzig Jahren waren sie gemeinsam hinter einer Bande von Menschenhändlern her gewesen. Die Kerle beschwatzten leichtgläubige mexikanische Mädchen vom Land, versprachen ihnen gutbezahlte Stellen in der Stadt und steckten sie anschließend in die Bordelle der Orte auf beiden Seiten der Grenze. Manuel war damals Polizeipräfekt der gesamten Region gewesen, Henry im Auftrag eines mexikanischen Millionärs unterwegs. Dieser vermutete eine seiner zahlreichen Enkelinnen in den Fängen der Bande. Die beiden fanden nützliche Hinweise, dann erste Spuren und wenig später hoben sie das Hauptquartier der Mädchenhändler aus. Zwei Polizeibeamte starben während der wüsten Schießerei. Von der Schlepperbande überlebte kein einziger. Rodrigez geriet zuvor jedoch mit einigen seiner Männer in eine geschickt gestellte Falle und wurde durch zwei Kugeln schwer verwundet. Eine Gewehrkugel traf sein rechtes Knie und zertrümmerte es, ein weiteres Geschoss hatte sich neben dem Ärmelloch seiner schusssicheren Weste von der Seite her in die Brust gebohrt und Herz und Lungenflügel nur knapp verfehlt. Henry rettete Manual damals das Leben. Der Brite stürzte trotz wildem Kugelhagel aus seiner Deckung hervor, warf sich über den Polizeipräfekten und zog ihn hinter einem Mauervorsprung in Sicherheit, brachte anschließend die stark blutende Wunde am Knie zum Stoppen und betreute den Bewusstlosen bis zum Eintreffen eines Notarztes.

      Manuel Rodrigez quittierte einige Monate später seinen Dienst als Präfekt. Das rechte Knie war steif gebliebenen und er war nicht mehr einsatzfähig. Die enge Verbundenheit mit Henry, dem er sein zweites Leben verdankte, wie Manuel und Maria ihm immer wieder gerne beteuerten, hatte jedoch über all die Jahre hinweg Bestand.

      Zusammen mit seiner Frau übernahm Rodrigez damals das kleine Café in der aufstrebenden Grenzstadt. Es wurde zu einem beliebten Treffpunkt seiner ehemaligen Kollegen. Nach ihrer Schicht gönnten sie sich bei Manuel eine kühle Cerveza oder sie feierten eine Beförderung. Doch auch diese Zeit ging nach einigen Jahren zu Ende, starb mit der Pensionierung der alten Mitstreiter von Manuel langsam aus.

      Henry Huxley wusste, dass bei Rodrigez keine Umwege notwendig waren, er sofort auf den Punkt kommen konnte.

      »Ich suche nach Beweisen für Verbindungen von US-Behörden zu den mexikanischen Drogenkartellen. Mein Auftraggeber interessiert sich vor allem um Machenschaften von FBI und CIA, aber auch von anderen Regierungsstellen. Es geht ihm um Bestechungsgelder, mit denen die US-Behörden geschmiert werden, damit sie beim Drogen- und Waffenschmuggel wegschauen. Und er will anschließend den Weg dieser Gelder verfolgen können und so herausfinden, welche illegalen Operationen damit später finanziert werden. Ich bin nach Juárez gekommen, weil ich hoffte, du kannst mir weiterhelfen. Hast du einen Tipp für mich, wo ich ansetzen soll?«

      Manuel schob nachdenklich seinen Kopf hin und her, dachte nach und wägte ab.

      »Du begibst dich auf äußerst dünnes Eis, mein alter Freund. Doch das weißt du bestimmt schon«, schickte er seiner Erklärung voraus. Henry nickte ernst, meinte jedoch: »Schildere mir doch bitte erst einmal die Verhältnisse hier in der Region. Wer hat was zu sagen und wo könnte ich mit meinen Ermittlungen ansetzen?«

      Manuel dachte einen Moment lang nach, sammelte sein Wissen. Dann begann er zu erzählen.

      »Vor zwanzig Jahren war die Welt hier im Norden Mexikos noch in Ordnung. Schon damals wurden zwar große Mengen an Drogen über die Grenze in die USA geschmuggelt, doch das Geschäft lief im Verborgenen ab und Gewalt gab es eher selten. Doch vor zehn Jahren hat sich dies drastisch geändert. Man begann, die Drogen im großen Stil auch an die mexikanische Jugend zu verkaufen. Rasch bildeten sich Banden, die Straßen und ganze Viertel beherrschten. Sie übernahmen für die Bosse der Kartelle die Drecksarbeit. Im Gegenzug bekamen sie Drogen, Geld und Waffen. Bald einmal begannen sie sich gegenseitig zu bekriegen. Doch die Gewaltbereitschaft steigerte sich von Jahr zu Jahr noch. Unser Staatspräsident musste sogar Armeeeinheiten in die Grenzregion entsenden, wollte auf diese Weise den unzähligen Morden endlich Einhalt gebieten.«

      »Und welche Drogenkartelle sind hier in der Stadt besonders aktiv? Geben einzelne den Ton an oder sind sie alle etwa gleich stark?«

      »Das Juárez Kartell war lange Jahre unangefochten die Nummer eins in Juárez. Doch Vicente Carrillo Fuentes, ihr oberster Boss, hat in letzter Zeit stark an Einfluss verloren. Vor allem das Sinaloa-Kartell von Joaquim Guzman Loera macht ihm das Leben schwer. Der operiert zwar mehrheitlich weiter westlich, an der Grenze zu Kalifornien, drängt nun jedoch immer weiter auch nach Osten und in Richtung Golf vor. Doch auch das Zetas-Kartell und das Tijuana-Kartell mischen hier kräftig mit. Und La Familia aus dem tiefen Süden, das Golf-Kartell und die Beltrán-Leyva Organisation versuchen, ihren Machtbereich immer weiter nach Norden auszudehnen. Letztendlich gibt sich hier in Juárez die Drogenprominenz


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