Retourkutsche. Kendran Brooks
Читать онлайн книгу.Anwälten und Treuhändern. Jules Tipp mit dieser Kanzlei schien Toni bereits zu diesem Zeitpunkt goldrichtig zu sein.
Bei der Auftragsvergabe hatte Scapia der betreffenden Detektei mitgeteilt, er sei Vertreter einer Gruppe von Anlegern, die durch Caspar Jakes vor Jahren ein paar Millionen Dollar verloren hätten. Vor Gericht konnte man ihm damals die ungetreue Geschäftsführung und den Betrug nicht nachweisen. Doch die Geschädigten hätten noch nicht aufgegeben, versprachen sich viel von einer lückenlosen Überwachung, um auf diese Weise mehr über ihn und sein neues Umfeld zu erfahren.
Toni erhöhte das Spesenbudget der Detektei auf unbestimmte Höhe. In Zukunft sollte die Agentur diesen Jakes notfalls auch auf eine Weltreise begleiten können oder an den Zielorten des überwachten Subjekts andere Detekteien einschalten. Damit war die Basis gelegt, die Tagesabläufe des General-Managers lückenlos aufzeichnen zu können.
Scapia kehrte an jedem der folgenden Abenden an die Spieltische im MGM zurück. Meist war auch Alberto Valandera dabei. Geschickt lenkte Toni das Gespräch immer wieder auf Themen wie Arbeit oder Privatleben, gab sich dabei als millionenschwerer Sohn eines reichen Industriellen zu erkennen, der er in Wahrheit ja auch war.
Valandera begann, sich für den Sonnyboy aus Florida stärker zu interessieren. Er lud ihn sogar zu sich nach Hause ein, für eine private Runde Poker mit einigen engen Freunden. So lernte Toni auch Thomas Martin persönlich kennen, sein drittes Zielsubjekt, das sich so gerne und regelmäßig mit drei Huren der Stadt abwechselnd vergnügte und der in den Augen von Toni nicht genügend Angriffsfläche für Korruption oder Erpressung bot.
Vor allem einer Erpressung gab Toni von Anfang an geringe Chancen, um an Informationen über die Klienten der Kanzlei zu gelangen. Denn erpresste Menschen taten oft verrückte Dinge, begingen Selbstmord oder versuchten gar, ihren Peiniger umzubringen. Sie waren viel zu unzuverlässig, um mit ihnen ernsthafte Geschäfte einzugehen. Und bei Korruption bestand immer die Gefahr eines Verrats, um sich selbst ab einem bestimmten Punkt zu schützen.
Über das stundenlange Beisammensein beim Spielen, dem Reden und Scherzen, begann dafür Alberto Valandera immer mehr Vertrauen zu Scapia zu fassen. Und als sie an einem der Abende nach dem Pokerspiel im MGM noch für einen Schlummertrunk an einer der Bars saßen, begann der Anwalt mit einer Art Lebensbeichte.
»Weißt du, Toni, ich bin im Grunde genommen ein ganz armes Schwein«, die Zunge von Alberto lag ihm bereits etwas schwer im Mund, zeigte den erhöhten Alkoholpegel nach dem dritten Scotch an, »ich hab mich mit Anteilen an den verdammten Madoff Fonds völlig verzockt. Mein ganzes Vermögen ist dabei draufgegangen. Und noch viel mehr.«
Scapia klopfte sanft auf die Schulter seiner Zielperson, zeigte ihm so seine Anteilnahme.
»Ja, Madoff hat viele Menschen übers Ohr gehauen. Auch ich habe mehr als zweihunderttausend Dollar verloren. Wie schlimm ist es denn bei dir?«
»Grässlich. Ich sag’s dir ganz ehrlich, Toni. Im Grunde genommen bin ich längst bankrott und schlag mich bloß noch von Monat zu Monat mehr schlecht als recht durch.«
»Und trotzdem pokerst du weiter?«
»Ach, die paar Kröten jeden Abend spielen längst keine Rolle mehr. Mir sitzen ein paar Kredithaie aus Vegas im Nacken. Wenn ich nicht bald eine größere Summe herüberschiebe, bin ich fällig.«
»Wie viel brauchst du denn?«
»Sofort? Achthunderttausend. Das würde mich das nächste Vierteljahr über Wasser halten.«
»Und insgesamt?«
Alberto Valandera stierte sinnend auf das zu einem Drittel gefüllte vierte Glas mit bestem schottischem Whiskey.
»Noch einmal zwei Millionen«, gestand er seinem Drink.
Toni legte mitfühlend den Arm um die Schultern seines Opfers.
»Das ist aber mächtig viel Heu.«
Valandera nickte traurig, führte dann eher ruckartig als energisch die Hand mit dem Glas zu Mund, nahm einen kräftigen Schluck, ließ sie wieder auf die Theke zurückfallen. Dann wandte er sich Toni zu, rülpste laut und meinte: »Du sagst es.«
»Ich könnte dir vielleicht aus der Klemme helfen«, begann Toni das Netz dichter um sein Opfer zu spinnen.
Ein kurzer Funken voller Hoffnung zeigte sich in den Augen des leitenden Mitarbeiters der Anwaltskanzlei, verglühte jedoch sogleich wieder.
»Ach was. Mir ist nicht mehr zu helfen. Ich könnte dir den Betrag eh nie mehr zurückzahlen. Ich verdiene weniger als zweihundertfünfzig Tausend im Jahr. Abzüglich der Steuern und der Hypothek fürs Haus bleiben mir davon bloß hundertzwanzig übrig. Zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben, sag ich dir. Ich bräuchte mehr als zwanzig Jahren, um meine Schulden abzustottern und dies ohne Zinsen. Dann wäre ich dreiundsechzig und hätte das letzte Drittel meines Lebens wie ein Hund zu leben. Nein, Toni, dieser Madoff hat mich erledigt.«
Wie viele andere Amerikaner hatte auch Alberto an der Börse gerne auf Sicherheit gesetzt. Die sehr regelmäßig im Kurs steigenden Werte der Madoff Fondsfamilie versprachen einen langfristig zuverlässigen Vermögenszuwachs. So investierte Toni nicht nur all sein verfügbares Geld, sondern sammelte zu niedrigen Zinsen zudem noch hohe Schulden an, um so den Geldsegen noch zu erhöhen. Das Platzen des Ponzi Systems von Madoff hatte ihn und viele weitere tausend Anleger finanziell ruiniert.
»Du könntest immer noch alle Brücken hinter dir abbrechen und irgendwo neu beginnen«, versuchte Toni ihm einen anderen Ausweg aufzuzeigen.
Alberto sah ihn aus stieren Augen an. Dann schüttelte er schwerfällig seinen Kopf.
»Aber Toni, ich bin doch Anwalt. Wie könnte ich mir eine neue Identität zulegen und gleichzeitig meinen Beruf weiterhin ausüben? Sobald ich mich an irgendeinem Gericht einschreiben ließe oder ein neuer Arbeitgeber mich überprüft, kriegen die mich doch sofort dran. Ich müsste mit etwas anderem beginnen. Und das kann und will ich nicht mehr.«
Toni Scapia überlegte sich, welcher nächste Schritt sein Opfer am ehesten in die von ihm gewünschte Richtung lenkte. Er wusste, er musste behutsam vorgehen. Sonst sprang ihm dieser Fisch wieder vom Haken.
»Komm, Alberto«, sagte er leise und eindringlich zu Valandera, »ich bring dich erst einmal zu dir nach Hause. Schlaf dich aus. Morgen Abend können wir weiter darüber reden und nach einer Lösung suchen.«
Scapia legte einen hundert Dollar Schein auf die Theke und stand vom Barhocker auf, fasste Valandera an den Oberarmen und zog ihn hoch. Widerstandslos ließ sich der Anwalt aus dem Kasino führen.
*
Die Hitze flimmerte in der schmalen Gasse, die von der Lerdo zur Ramón Corona führte. Ein alter Mexikaner ging sie langsam, fast schleppend und gefährlich schwankend entlang, musste sich immer wieder mit einer Hand an der brüchigen Fassade abstützen, um das Gleichgewicht zu halten. Vor einer schäbig wirkenden Haustüre blieb er pendelnd stehen, neigte sein Gesicht gegen die Sonne, schien sich zu konzentrieren.
Der ehemals braune Anstrich des Türblatts hatte sich größtenteils gelöst, hatte Wellen geworfen und war teilweise abgeblättert. Darunter trat mürbes, von der Sonne grau gebranntes Holz hervor.
Der Alte würgte plötzlich ruckartig, beugte sich heftig nach vorne und kotzte einen langen Schwall seines Mageninhalts klatschend auf den Asphalt vor der Türe. Ein zweiter, etwas kürzerer Auswurf folgte gleich darauf dem ersten. Danach wischte sich der alte Mexikaner mit dem Handrücken unbeholfen über den verschmierten Mund und murmelte ein »Madre mia«.
Der betrunkene Alte machte zwei torkelnde Schritte nach links, umging so den Teich aus Kotze. Da öffnete sich hinter ihm die schäbige Holztür und zwei junge, schlanke Männer in sportlichen Anzügen traten heraus, bedachten den Betrunkenen mit einem Haufen wüster Flüche und Beschimpfungen.
Mit drei langen Schritten hatten sie ihn eingeholt, packten ihn an seinem Hemd aus grobem Wollstoff und zerrten ihn zurück zur Türe. Klatschend landeten zwei Ohrfeigen in seinem Gesicht, dann wurde er auch noch kräftig durchgeschüttelt.