TARZAN IN PELLUCIDAR. Edgar Rice Burroughs
Читать онлайн книгу.Lederriemens unter seinem Gewicht verursacht worden war, hatte sich zu einer sanften Drehbewegung abgeschwächt, so dass er dem Thag manchmal ins Antlitz blickte und ihm manchmal den Rücken kehrte. Die völlige Hilflosigkeit seiner Lage machte den Affenmenschen wütend und beunruhigte ihn mehr als jeder Gedanke an den bevorstehenden Tod. Von Kindheit an war er Hand in Hand mit dem Sensenmann gegangen, und er hatte den Tod in so vielen Formen gesehen, dass er ihm keine Angst mehr einjagte. Er wusste, dass er die letzte Erfahrung aller geschaffenen Dinge war, dass er genauso unvermeidlich zu ihm kommen musste wie zu allen anderen. Obwohl er das Leben liebte und noch nicht sterben wollte, löste das nahende Ende keine unsinnige Hysterie in ihm aus. Aber zu sterben, ohne eine Chance zu haben, um sein Leben zu kämpfen, war kein Ende, das Tarzan gewählt hätte. Und jetzt, als sich sein Körper langsam drehte und seine Augen sich von dem angreifenden Thag abwandten, betrübte ihn der Gedanke, dass ihm nicht einmal die magere Genugtuung zuteilwerden sollte, dem Tod von Angesicht zu Angesicht zu begegnen.
In dem kurzen Augenblick, in dem er auf den Aufprall wartete, wurde die Luft von einem so grässlichen Schrei zerrissen, wie er niemals zuvor in die Ohren des Affenmenschen gedrungen war. Das Brüllen des Bullen stieg plötzlich in eine höhere Tonlage und vermischte sich mit diesem anderen furchterregenden Geräusch.
Noch einmal drehte sich der baumelnde Körper des Affenmenschen und sein Blick fiel auf eine Szene, wie sie den Menschen der äußeren Welt seit unzähligen Zeitaltern nicht mehr vergönnt war.
Auf den massiven Schultern und dem Genick des großen Thags krallte sich ein Tiger von so gewaltigen Ausmaßen fest, dass Tarzan seinen eigenen Augen kaum glauben konnte. Große säbelartige Zähne, die aus dem Oberkiefer herausragten, steckten tief im Hals des Ochsen, der, anstatt zu fliehen, stehen geblieben war und nun versuchte, das große Raubtier zu vertreiben, indem er seine riesigen Hörner nach hinten schwang, um den lebenden Tod von seinen Schultern zu stossen. Ebenfalls schüttelte er seinen ganzen massigen Körper panisch hin und her und brüllte dabei vor Schmerz und Wut.
Allmählich veränderte der Säbelzahn seine Position, bis er einen für seinen Zweck geeigneten Halt gefunden hatte. Mit blitzartiger Schnelligkeit holte er mit einer Vorderpranke aus und versetzte dem Ochsen einen einzigen, gewaltigen Schlag gegen die Seite seines Kopfes – einen titanischen Schlag, der den mächtigen Schädel zertrümmerte und den riesigen Bullen auf der Stelle zu Fall brachte. Und dann ließ sich das Raubtier nieder, um sich an seiner Beute zu laben.
Während des Kampfes hatte der Säbelzahntiger den Affenmenschen nicht bemerkt; und erst als er begonnen hatte, den Ochsen zu fressen, wurde sein Blick von dem sich drehenden Körper angezogen, der einige Meter entfernt über dem Pfad schwang. Sofort hörte das Tier auf zu fressen, senkte seinen Kopf verzog die Oberlippe zu einem grässlichen Knurren. Er beobachtete den Affenmenschen. Ein tiefes, bedrohliches Knurren dröhnte aus seiner Kehle. Sein langer, gewundener Schwanz peitschte wütend, als er sich langsam von dem Körper seiner Beute erhob und auf Tarzan von den Affen zuging.
Kapitel 3: Die großen Katzen
Die verebbende Flut des großen Krieges hatte menschliches Treibgut an manch unbekanntem Strand zurückgelassen. In ihrem vollen Lauf hatte sie Robert Jones, einen hohen Gefreiten in den Reihen eines Arbeitsbataillons, aus einer ungemütlichen Umgebung herausgehoben und ihn in einem Gefangenenlager hinter der feindlichen Linie geschwemmt. Hier gewann er durch seine Gutmütigkeit Freunde und Gunst, aber weder das eine noch das andere half ihm dabei, seine Freiheit zu erlangen. Robert Jones schien in den Wirren verloren gegangen zu sein. Als das Gefängnis schliesslich geräumt wurde, blieb Robert Jones zurück, worüber er aber nicht traurig war. Er hatte die Sprache seiner Entführer gelernt und viele Freunde unter ihnen gefunden. Sie fanden eine Arbeit für ihn und Robert Jones aus Alabama war zufrieden damit, zu bleiben, wo er war. Er war vom Laufburschen zum Koch einer Offiziersmesse aufgestiegen und in dieser Funktion war er Captain Zuppner aufgefallen, der ihn daraufhin für die O-220-Expedition anwarb.
Robert Jones gähnte, streckte sich, drehte sich in seiner engen Koje an Bord der O-220 um, öffnete die Augen und setzte sich mit einem Ausruf der Überraschung auf. Er sprang auf den Boden und steckte den Kopf aus einer offenen Luke.
»Meine Güte!« rief er aus. »Wir hab’n alle ganz schön verpennt.«
Einen Moment lang starrte er auf die Mittagssonne, die auf ihn herabschien, dann zog er sich hastig an und eilte in seine Kombüse.
»Komisch«, sagte er zu sich selbst, »da rührt sich niemand – müss’n wirklich alle verschlafen haben.« Er schaute auf die Uhr an der Kombüsenwand. Der Stundenzeiger zeigte auf sechs. Er spitzte seine Ohren und lauschte. »Sie ist nich’ stehen geblieben«, murmelte er. Dann ging er zur Tür, die aus der Kombüse führte, und schob sie zurück. Er lehnte sich weit hinaus und schaute wieder zur Sonne hinauf. Dann schüttelte er den Kopf. »Da is’ doch was faul«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich jetzt Frühstück, n’ Mittagessen oder n’ Abendessen kochen soll.«
Jason Gridley kam aus seiner Kabine und schlenderte den schmalen Korridor entlang in Richtung Kombüse. »Guten Morgen, Bob!«, sagte er und blieb in der offenen Tür stehen. »Wie sieht es mit dem Frühstück aus?«
»Hab’n Sie Frühstück gesagt, Sir?«, erkundigte sich Robert.
»Ja«, antwortete Gridley. »Nur Toast und Kaffee und vielleicht ein paar Eier – was Sie gerade da haben«
»Wusst ich’s doch!«, rief der Schwarze aus. »Ich wusste, dass die alte Uhr da richtig geht – im Gegensatz zur Sonne, die einen völlig’n Quatsch zusammenleuchtet.«
Gridley grinste. »Ich gehe mal runter und mache einen kleinen Spaziergang«, sagte er. »Ich bin in einer Viertelstunde zurück. Haben Sie Lord Greystoke schon gesehen?«
»Nein, Sir. Ich habe seit gestern nichts mehr von Tarzan gesehen.«
»Eigenartig«, sagte Gridley. »Er ist nicht in seiner Kabine.«
Eine Viertelstunde lang wanderte Gridley schnellen Schrittes in der Umgebung des Schiffes umher. Als er in die Messe zurückkehrte, fand er Zuppner und Dorf, die auf das Frühstück warteten, und begrüßte sie mit einem freundlichen »Guten Morgen«.
»Ich weiß nicht, ob es ein guter Morgen oder ein guter Abend ist«, sagte Zuppner.
»Wir sind seit zwölf Stunden hier«, sagte Dorf, »und es ist immer noch dieselbe Zeit wie bei unserer Ankunft. Ich habe die letzten vier Stunden Wache gehalten, aber wenn der Chronometer nicht gewesen wäre, könnte ich nicht sagen, ob ich eine Viertelstunde oder eine Woche Wache geschoben hätte.«
»Man spürt hier sicherlich ein Gefühl der Unwirklichkeit, das schwer zu erklären ist«, sagte Gridley.
»Wo ist Greystoke?», fragte Zuppner. »Er ist doch sonst normalerweise ein Frühaufsteher.«
»Ich habe gerade Bob gefragt«, sagte Gridley, »aber er hat ihn auch nicht gesehen.«
»Er hat das Schiff verlassen, kurz nachdem ich die Wache übernommen habe«, sagte Dorf. »Ich würde sagen, das war vor etwa drei Stunden, vielleicht auch länger. Ich sah, wie er über die Ebene schritt und im Wald verschwand.«
»Ich wünschte, er wäre nicht allein losgezogen«, sagte Gridley.
»Er scheint mir ein Mann zu sein, der auf sich selbst aufpassen kann«, sagte Zuppner.
»Ich habe in den letzten vier Stunden einige Dinge gesehen«, begann Dorf, »die mich daran zweifeln lassen, ob ein Mann in dieser Welt auf sich selbst aufpassen kann. Besonders einer, der nur mit den primitiven Waffen bewaffnet ist, wie Greystoke sie bei sich trug.«
»Wollen Sie damit sagen, dass er keine Feuerwaffen bei sich trug?«, fragte Zuppner.
»Er war mit Pfeil und Bogen, einem Speer und einem Seil ausgerüstet«, sagte Dorf. »Und ich glaube, er hatte noch ein Jagdmesser dabei. Aber er hätte genauso gut nur mit einem Luftgewehr losziehen können, falls er einigen der Viecher begegnet, die ich gesehen habe, seit ich auf Wache bin.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Zuppner. »Was haben Sie