Die sieben Masken des Teufels. Eva Siebenherz

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Die sieben Masken des Teufels - Eva Siebenherz


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war total verzweifelt, wollte einfach nicht mehr da sein und wusste gleichzeitig, dass das unmöglich war. Ich musste da durch, ob ich wollte oder nicht. Ich erhielt einen Tritt und hinter mir fiel die schwere Tür ins Schloss. Ich stand allein in einem Raum von sechs mal sechs Meter für fünfzehn Menschen! Fünf Betten mit je drei Etagen; ein Tisch, fünfzehn Hocker, ein Waschbecken und eine Toilette vervollständigten die Einrichtung. Zeit zum Nachdenken blieb mir keine, denn die Tür ging abermals auf und spuckte ein Rudel Frauen in den Raum.

      Sie beäugten mich argwöhnisch und fragten nach Name und Vergehen. Rein intuitiv sagte ich nichts. Genutzt hat mir das wenig, denn die Verwahrraum-Älteste wusste durch die Wachteln schon Bescheid. »Haltet euch von der fern, die ist das Allerletzte!« sagte sie und sah mich dabei höhnisch an. »Die sitzt, weil sie ihre eigenen Kinder misshandelt hat.« Empörung machte sich breit und ich wurde von allen Seiten angespuckt. »Hast du nichts dazu zu sagen?«, fragte man mich.

      Ich sah sie nur stumm an. Mitten in der Nacht wurde ich aus dem Bett gezerrt und in die Mitte des Raumes gestoßen. Die Frauen standen um mich herum und jede hatte ein Handtuch in der Hand. Plötzlich schlugen alle auf mich ein. Lange, sehr lange und die Schläge waren fürchterlich, denn sie hatten große Seifenstücke in die Handtücher eingebunden.

      Damit es richtig weh tat und keine Spuren hinterließ.

      Normalerweise wurde nachts alle paar Minuten das Licht eingeschaltet und jemand sah durch den Spion. Die Lichtkontrolle blieb aus. Also wussten die Wachteln Bescheid oder hatten dass selbst angeordnet. Nach einer gefühlten Ewigkeit flammte das Licht auf und die Frauen ließen von mir ab.

      Ich kroch in eine Ecke und blieb liegen, es war mir nicht möglich, mein Bett in der dritten Etage zu erklimmen. In der darauffolgenden Zeit wurde mir klar, dass ich zum Sündenbock gemacht wurde und für alles und jedes als Blitzableiter herhalten musste. Jede Nacht schlief ich erst ein, wenn mein Körper nicht mehr anders konnte. Jede Nacht Angst, jede Nacht, in der nichts passierte, steigerte sich die Unruhe auf die nächste ins Unermessliche. Panik überkam mich überfallartig. Schritte erklangen. Gleichmäßige Schritte auf einem harten Boden.

      Der Schall der Schritte brach sich an den Wänden, wurde überdimensional laut. Ich wurde starr und lauschte. Die Schritte bewegten sich nicht auf mich zu, aber auch nicht weg. Sie bewegten sich mit mir, ich spürte ein merkwürdiges Schaukeln. Sehen konnte ich mich auch nicht. Plötzlich war es still. Vor mir sah ich eine Tür aufgehen. Das zu einer höhnisch bösen Grimasse verzogene Gesicht meiner Mutter kam auf mich zu und wurde größer und größer.

      Ich wedelte entsetzt mit den Armen. Erstaunt hielt ich inne. Mir war schwindlig und das Wedeln war sehr mühsam, ich hatte das Gefühl, mich gegen etwas ganz Großes stemmen zu müssen.

      Doch erstaunt hatte mich eher das Geräusch.

      Es klang, als ob man in einem Topf mit Wasser rühren würde.

      Meine Mutter kam immer näher, doch kurz bevor sie mich erreichen konnte, machte es »Blubb« und sie war weg. Nein, weg war sie nicht. Sie war nur etwas kleiner, stand an einem Tisch und sah mich süffisant lächelnd an. Ihre Hände bewegten sich und ich sah die Fäden. Meine Mutter zog an den Fäden einer Marionette und diese Marionette war ich. Und wieder kam sie auf mich zu:

      »Und du kannst daran überhaupt nichts ändern«, und lachte und lachte. Ein böses, dunkles Lachen, das lauter und lauter wurde. Es gab einen Ruck und die Tür schwang herum und fiel mit einem ohrenbetäubenden Knall ins Schloss. Ein unkontrolliertes Schaukeln setzte ein und die lauten, hallenden Schritte ertönten wieder. Der Gang war immens lang. Hoch und grau. Eine Tür an der anderen, links und rechts.

      Unzählige. Zwei Schritte, drei, vier, sechs. Ein Ruck. Das Hallen der Schritte war verstummt. Ich wurde herumgewirbelt, als würde ich im Wasser einen Salto schlagen. Ein äußerst merkwürdiges Gefühl, das ich nicht einordnen konnte.

      Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen. Ich sah erstaunt auf die Tür.

      Es war zwar eine genauso große und schwere Eisentür wie die anderen und doch sah sie anders aus. Auf der Tür war ein See und dieser bewegte sich jetzt und ein Boot kam auf mich zu.

      Ein Mann saß darin, der mir den Rücken zukehrte und mich mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, aufforderte einzusteigen. Ich tat es.

      Wir ruderten stumm. Plötzlich kam ein schöner bunter Schmetterling und setzte sich auf meine Schulter. Ein Flügel streifte meine Wange. Sie brannte danach wie Feuer.

      Das Ufer kam in Sicht und ich sah den Garten meiner Großeltern und ich sah mich. Es war Sommer und es war heiß. Mein Großvater hob mich hoch und tauchte mich in die Regentonne. Es war herrlich bei der Hitze. Dann nahm er mich an die Hand und wir gingen ins Haus. Meine Oma stand am Herd und backte Kuchen. Im Vorbeigehen drückte sie meinem Opa ein Glas in die Hand. Gefüllt mit einer roten Flüssigkeit, in das sie jetzt noch ein rohes Eigelb und schwarze Kügelchen mischte. »Stopp!« donnerte eine Stimme. Der Mann im Boot stand auf und drehte sich zu mir herum. Völlig entsetzt sah ich ihn an. Er richtete seine erschreckend leeren Augen auf mich.

      «Das hat es nie gegeben! Das ist ein Produkt Ihrer Phantasie, das müssen Sie vergessen!«, sagte er. Ich verstand ihn kaum, er hatte fast geflüstert.

      Aber messerscharfe Akzente gesetzt. Der modale Kontrast der letzten vier gleich stark betonten Wörter verfehlte seine Wirkung nicht. Sie gingen mir durch und durch. Ich ließ meinen Blick an dem Mann herunter gleiten. Er saß nicht mehr im Boot, sondern stand in einem langen grauen Flur.

      Die linke Hand lag auf der Klinke einer Tür, in der rechten Hand hatte er einen durchsichtigen, mit einer Flüssigkeit gefüllten Cellophan-Beutel. Er schüttelte jetzt diesen Beutel und mir wurde schwindlig. Als ich wieder geradeaus sehen konnte, lächelte der Mann fies und hob den Beutel hoch, direkt vor mein Gesicht. Und da sah ich es. Ich sah sie. Die Gestalt im Beutel, in dieser Flüssigkeit. Ich sah mich.

      »Wir haben die Macht über Sie. Ihr Denken. Ihr Handeln. Wir können alles tun und Sie können es nicht verhindern. Vergessen Sie das nie!«

      Max saß neben mir und erzählte mir etwas, ich hörte ihm jedoch nur mit halbem Ohr? zu. Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Plötzlich nahm er ein Buch in die Hand und las mir eine Geschichte vor.

      Zwei kleine Mädchen saßen im Garten auf einer Decke und spielten. Plötzlich wurde es laut. Die Mädchen stritten sich und Helene lief weinend ins Haus zur Mutter und wurde von ihr in den Arm genommen. Sie sah das andere Mädchen nur ganz kurz an und drehte sich dann weg. Warum? Das Mädchen Eva senkte den Kopf und ging wieder hinaus in den Garten. Eva sah verglich sich mit Helene. Sie hatten Beide dunkelbraunes Haar, einen Pagenkopf. Beide trugen sie dieselben Kleider, die die Großmutter für sie nähte. Auch die Schuhe und die Haarschleifen waren gleich. Helene war ein Jahr jünger als Eva, aber sonst gab es keinen großen Unterschied. Und doch war er da. Es war nicht das erste Mal, dass Eva spürte, das etwas mit ihr nicht stimmte. Sie kannte diese Blicke der Mutter und sah den Unterschied zwischen den Blicken. Den Unterschied zwischen Helene und ihr und dem Herzen der Mutter.

      Es war ein gespaltenes Herz.

      Die linke Hälfte war blutrot und arbeitete ganz schnell. Es quoll über vor lauter Liebe. Die andere Hälfte war kalt und blau. Blau wie das Eis in der Arktis. Und es stand still.

      Nein, nicht ganz. Ein ganz klein wenig schlug es. Es wurde gespeist von einer einzigen Bahn aus der anderen Hälfte. Diese Bahn war schwarz.

      Schwarz wie Hass. Eva wusste damals nicht, was Hass ist, aber spürte instinktiv die Ablehnung und gab sich selbst die Schuld. Sie bemühte sich alles richtig und der Mutter Freude zu machen. Doch egal, was sie sagte oder tat, es war immer verkehrt. Eva verdoppelte ihre Anstrengungen, dabei unterliefen ihr aber immer häufiger Fehler. Um vor der Mutter gut dazustehen, schob sie jetzt immer häufiger die Schuld auf ihre Schwester Helene. „Helene hat das Glas runter geworfen – ich nicht“ und schaute dabei die Mutter sehr unschuldig an. „Sie hat den Hund getreten, ich war das nicht“. Ab und zu kam sie damit auch durch und Helene erhielt


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