Die sieben Masken des Teufels. Eva Siebenherz
Читать онлайн книгу.kleinsten Laut, der aus Versehen zu dir durchkam, hast du wie eine Droge in dieser zwanghaften Enge aufgesogen.
Du hast getanzt, geschrien, gesungen. Nur um Geräusche wahrnehmen zu können.
Und hast mit angehaltenem Atem darauf gewartet, dass irgend etwas deine eigenen Geräusche durchbrechen und dir damit suggerieren würde, dass du am Leben und nicht allein wärst. Doch meistens kam nichts.
Ein 4 qm kleines Universum, mit mir als Mittelpunkt und sonst nichts. Jegliches Zeitgefühl ging mir verloren. Einmal am Tag öffnete sich die Tür. Kübel leeren und Wassersuppe. Kein einziges Wort.
Nur befehlende Gestik und zwingender Augenkontakt.
Nach ein paar Tagen hörte ich ein Klopfen.
Immer wieder. Irgendwann erkannte ich, dass das Klopfen methodisch war. Ich klopfte zurück.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass da jemand versuchte, mir das ABC zu vermitteln.
Nach drei Tagen wusste ich, dass mein Zellennachbar Paul hieß und dass er vierzehn Jahre alt war.
Wie bitte? Das hatte ich bestimmt falsch verstanden. Doch es kam keine Antwort mehr.
BIN ICH ICH?
Was war passiert? Mit mir passiert? Wieso Polizei und wieso Markus? Ich zermarterte mir das Hirn. Mein Unterbewusstsein spielte mir zwar hin und wieder Bilder zu, aber einordnen konnte ich sie nicht. Wieder wurde ich verlegt, auch wieder völlig isoliert. Und wieder erfolgten Befragungen, aber diesmal ganz normale. Ohne Schläge, ohne
Misshandlungen. Das hatte zur Folge, dass ich anfing, mich bruchstückhaft zu erinnern. Und genau darin schien der Fehler zu liegen.
Mitten in der Nacht ging die Tür auf. Drei weiß bekittelte Männer betraten den Raum. Zwei packten mich an den Oberarmen und hielten mich fest, während mir der Dritte eine Spritze in die Vene jagte. Dann bekam er einen Stuhl gereicht, setzte sich hin und beobachtete mich. Mir war heiß und ich wurde müde.
Ich schlief ein, es war ein unruhiger Schlaf. Schemenhafte Gestalten mit riesigen Köpfen tanzten um meine Pritsche herum. Sie streckten ihre krallenartigen Klauen aus und versuchten mir die Bettdecke wegzuziehen.
Doch dann waren sie plötzlich weg und ich schlief relativ ruhig bis zum Morgen.
Diese Prozedur mit der Spritze und der Beobachtung durch den Arzt wiederholte sich jetzt täglich.
Meine Schlafphasen wurden kürzer, die Dämonen und Kreaturen größer und schrecklicher. Ich unterdrückte den Schlaf, um ihnen nicht mehr begegnen zu müssen. Doch das funktionierte nur bedingt.
Sofort wurde das Zimmer taghell und es erscholl Marschmusik mit ohrenbetäubender Lautstärke. Nach ein paar Sekunden war es wieder absolut still. Wieder schlief ich ein. Und wieder kam die taghelle Marschmusik. Immer und immer wieder. Ich fing an zu halluzinieren. Ganz langsam wie in Zeitlupe öffnete sich die Tür und ein Männlein im weißen Kittel mit einem überdimensionalen Ochsenkopf schob sich in das Zimmer, blieb vor mir stehen und grinste mich breit an:
»Na also, jetzt sind wir ja so weit. Hat zwar etwas länger gedauert, aber egal. Das Ergebnis zählt.« Das Zimmer verwandelte sich in ein lebendiges Kino. Ich wurde von Szene zu Szene mitgetragen. In einer saß ich auf einer Wiese und spielte mit meinen Kindern.
Im nächsten Augenblick befand ich mich in einem Keller und wurde von mehreren schrecklichen Dämonen hochgehoben und weggeschleudert und landete in der nächsten Szene. Auf einem Friedhof. Ein Friedhof, in dem alle Gräber geöffnet waren und tote Kinder darin lagen. Plötzlich hielt direkt vor mir eine Straßenbahn und ich wurde hineingeschubst. Darin saß meine ganze Familie. Meine Mutter, Schwester, Oma, Opa, meine Ehemänner und ... Markus.
Er stand auf, nahm mich bei der Hand und begann mit mir zu tanzen.
Ich hatte ein Brautkleid an und fühlte mich in diesem Augenblick leicht, schwerelos und glücklich. Markus lächelte mich an. Das Lächeln wurde immer breiter, verzog sich zu einer Grimasse und plötzlich nahm es die Gestalt eines Hundes an. Ich tanzte mit einer Dogge, die dreimal so groß war wie ich. Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Ich versuchte mich los zu reißen, zu fliehen.
Doch je mehr ich das versuchte, umso näher zog mich die Dogge an sich heran. Blitzartig rauschten Bilder und Szenen durch meinen Kopf. Bildlich erfasst für eine Sekunde, zum Begreifen zu rasant. Und dann war alles weg.
Als hätte jemand an einem unsichtbaren Faden gezogen und ein Rollo herabgelassen. Solche und andere Szenen wiederholten sich tagelang. Ich kann das nicht wiedergeben. Es wirkte alles wie zerrissen und wieder falsch zusammengesetzt.
Wie eine Buchseite, die aus dem einen Buch herausgenommen und in einem völlig anderen an einer x-beliebigen Stelle wieder eingesetzt worden war, sodass die Zeilen der Seite nicht mit dem Inhalt des Buches in Einklang zu bringen waren. Es sei denn, man machte sich das passend, indem man die Passage einfach neu schrieb.
KINOKOPF
Ich sah in dem Zimmer mit immer wechselnden Personen, Kreaturen halb Mensch, halb Tier. Sie sprachen mit mir, sie bedrohten und misshandelten mich. Ich sah laufende Bilder an der Wand, hörte Stimmen, Stimmen, die ich kannte, und unbekannte. Ich sah meine Familie. Und ich sah mich. Das heißt, ich glaubte, dass ich das sei. Ob ich es tatsächlich war, konnte ich weder damals einschätzen noch heute. So nach und nach wurden diese Situationen weniger und hörten schließlich ganz auf. Hin und wieder glaubte ich durch das Fenster in der Tür Hr. Schmidt und auch Markus zu sehen. Doch auch Benjamin und Fabian. Ich war völlig konfus, meist apathisch, dann wieder panisch. Und das abwechselnd. In mir machte sich Wahnsinn breit. Wenn ich die Augen schloss, sah ich einen Dämon mit meinen eigenen Gesichtszügen. Doch das Geschehen änderte sich, die Bilder verschwanden. Eines Tages holte mich eine leise, gleichmäßige, völlig monotone Stimme aus dem ohnehin schon unruhigen Schlaf. Diese Stimme las etwas vor.
Diese Monotonie ließ mich immer wieder einschlafen. In diesem Moment explodierte der Raum mit hochgedrehten, schrillen Geräuschen.
Wie das Quietschen von Autoreifen auf dem Asphalt.
Sofort war ich hellwach und die Stimme verfiel wieder in gleichmäßige Monotonie. Es war immer wieder derselbe Text. Immer wieder derselbe Ablauf. Monotoner Text – Halbschlaf – schrill und quietschend – Monotonie. Über viele Tage, irgendwann konnte ich den Inhalt singen. Ich glaube, dass das genauso geplant war. Ich hatte Zahnschmerzen und musste zum medizinischen Dienst.
Mich holte ein Strafgefangener ab, der dort arbeitete. Der stellte sich vor mich hin und tastete mich ab. Dabei steckte er mir einen Zettel in den BH. Er sah mir in die Augen und ich verstand. Wieder in der Zelle, ging ich in eine Ecke, die für die Wachteln (abwertender Ausdruck für das weibliche Wachpersonal)? (Wachmannschaft?) ein toter Winkel war, also nicht einsehbar, und las. Mein benebeltes Hirn war kaum fähig den Inhalt der Zeilen zu erfassen. Ich musste es mehrmals lesen, ehe ich wirklich begriff. Auf dem Zettel stand, dass ich verschiedene Medikamente gleichzeitig erhalten habe, um das »bestmögliche« Ergebnis zu erzielen. Zunächst eine hohe Dosis Papatral (Hypnotikum) und Radedorm (Schlafmittel) und eine Stunde später das hoch stimulierende Medikament Aponeuron.
Zwischendurch auch immer wieder Leponex als Verstärker des ganzen Medikamenten-Szenariums. All das waren bewusstseinsverändernde Medikamente, die einen orientierungslos machten, Halluzinationen, Depressionen und Psychosen auslösten.
Dieser Medikamenten- Cocktail plus gezielte Fragen, Bilder und Filme hatten bei mir Halluzinationen ausgelöst und wahrscheinlich auch erlebte Situationen wieder ins Gedächtnis gerufen, allerdings vollkommen verzerrt und weitab vom tatsächlichen Verlauf. Und das Ganze einhergehend mit einer galoppierenden Amnesie; zumindest teilweise und mit immer wiederkehrenden Halluzinationen. Wenn ich zwischendurch in der Lage war, stellte sich mir immer wieder nur eine einzige Frage:
Warum? Eine Antwort fand ich nicht. Diese Flashbacks wurden ausgelöst und regelrecht provoziert.
Immer wieder wurde