101 Diamanten. Gudrun Anders

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101 Diamanten - Gudrun Anders


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erhob er sich und Nebel bedeckte die Sicht. „Wo fliegen wir hin?“ fragte Kladibu.

      „Du wirst schon sehen“, antwortete der Zauberer und lächelte. Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts eine Lichtung vor Ihnen auf und der fliegende Teppich senkte sich langsam auf den Boden.

      „So, da sind wir. Bitte denke nur und sage nichts. Gehe ruhig hin und wünsche dir, dass Sterntaler kommen möge. Ich bin mir ziemlich sicher, sie wird kommen und dir den Sinn des Lebens zeigen. Nur: dränge sie nicht und gehe behutsam mit ihr um, denn sie ist sehr verletzlich.“ Und so geheimnisvoll, wie er vorhin gekommen war, ging er auch wieder. Kladibu setzte sich mitten auf die Wiese und genoss in vollen Zügen. Er genoss den Wind, der um sein Haar spielte, den Duft der Blumen und die wärmenden Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Ach, schön ist das Leben, seufzte er, wenn ich nur meinen Lebensinhalt schon gefunden hätte. Aber wer weiß, vielleicht kann Sterntaler ihn mir zeigen oder mir sagen, wo ich ihn finden kann.

      „Nein, das kann ich leider nicht“, sagte da plötzlich eine liebliche Stimme aus dem Hintergrund. Kladibu schreckte von seinem Platz hoch. „Wer ist da? Zeige dich!“ rief er, denn ein bisschen Angst hatte er schon.

      „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben“, sagte die Stimme wieder und Kladibu bemerkte, dass sie aus der Richtung des großen Baumes kam. „Hier oben bin ich, im Lebensbaum. Komm' zu mir!“

      Und jetzt erst entdeckte Kladibu das wunderschöne Sternenmädchen, das dort oben im Baum saß. Es hatte dunkle Haare und noch dunklere Augen und er hatte das Gefühl, als wenn diese Augen durch ihn hindurch sehen können. Fast willenlos ging er auf diesen schönen, alten Baum zu und entdeckte, dass er ohne Schwierigkeiten zu dem Sternenmädchen gelangen konnte, kletterte also in den Wipfel und setzte sich dem Sternenmädchen gegenüber. Etwas mulmig war ihm schon.

      „Ich bin Sterntaler und von der himmlischen Regierung beauftragt, fortan mit dir zu gehen, denn ich bin der Sinn deines Lebens.“

      Kladibu fiel die Kinnlade herunter. Damit hatte er nun überhaupt nicht gerechnet. Erst trifft er einen Zauberer und kurz darauf den Sinn des Lebens, den er so lange gesucht hatte. Er kam aus dem Staunen nicht heraus und konnte es noch nicht richtig begreifen, was hier geschehen ist und erbat sich etwas Bedenkzeit.

      „Gern“, sagte Sterntaler. „Wir haben alle Zeit der Welt. Wir sind füreinander bestimmt und werden den Rest unseres Weges auf dieser Erde jetzt gemeinsam gehen.“ Und Sterntaler erzählte aus ihrem Leben, erzählte von dem Auftrag der himmlischen Regierung, den sie hier auf Erden zu erfüllen hatte und sie sagte Kladibu, das sie sich auf die gemeinsame Zeit mit ihm freut.

      Als der Abend dämmerte, hatte auch Kladibu sich in Sterntaler so sehr verliebt, dass auch er sich ein Leben ohne Sterntaler nicht mehr vorstellen konnte. So ritzten sie noch ihre Namen in den Baum des Lebens, weil das so üblich war und gingen dann gemeinsam Hand in Hand dem Sonnenuntergang entgegen.

      Die Prinzessin und der Höllenhund

      Es war einmal ein Höllenhund namens Wandi. Er lebte im großen Wald draußen vor der Stadt und viele Menschen hatten Angst vor ihm. Man sagte ihm nach, dass er die Macht besitzt, jedermann, der nicht nach seiner Nase tanzte, an den Galgen zu bringen. So mieden die Leute den Wald. Aber das war nicht das Schlimmste an der Geschichte. Ohne den Wald konnte man auskommen. Die Menschen wollten aber ihren König sehen und seine wunderschöne Tochter, die am anderen Ende dieses Waldes lebten und derzeit nur in eine Richtung regieren konnten, denn zwischen ihren anderen Untertanen war der große Wald mit dem Höllenhund, den alle so sehr fürchteten.

      Die Tochter des Königs, Prinzessin Anuga, hatte nun eines Nachts einen Traum. Ein Engel war ihr erschienen und hatte ihr gesagt, dass sie ihre Angst vergessen sollte, denn es gäbe nichts, rein gar nichts, worüber sie sich Sorgen machen müsste. Sie sollte die Zugbrücke, die über den breiten Schlossgraben führte, herunter lassen und ständig unten lassen, damit jedermann rein und raus konnte. Weiterhin sollte sie die Wachen dort wegnehmen und ein großes Schild an das Tor hängen mit der Aufschrift: „Jedermann ist uns gern willkommen. Bitte tretet ein.“

      Alleine aber konnte die Prinzessin Anuga das nicht entscheiden, obwohl sie ja schon alt genug war. Sie brauchte die Einwilligung ihres Vaters; und sie befürchtete, dass er nie sein Einverständnis geben würde. Und so war es auch.

      „Bist du verrückt geworden?“ polterte er los, als sie ihr Anliegen vorgebracht hatte. „Ich habe genug Probleme, die gelöst werden sollen und da kommst du und sagst, ich soll mein Heim auch noch für Fremde öffnen und für den stadtbekannten Höllenhund, vor dem sich jedermann fürchtet? Du bist ja nicht bei Sinnen! Geh' in dein Zimmer und komm' da nicht eher raus, bis ich es dir erlaube!“ Und dabei überschlug sich seine Stimme fast.

      „Aber ich ...“ machte die Prinzessin einen neuen Versuch.

      „Ruhe! Ich dulde keine Widerrede! Marsch!“ Die Stimme des Königs fing an zu zittern und er wurde kreidebleich. Die Prinzessin ging traurig in ihre Gemächer und überlegte, was sie tun konnte. Und wieder erschien ihr im Traum der Engel.

      „Habe ein wenig Geduld“, sagte er. „Es wird sich alles fügen. Alles zur rechten Zeit.“

      Als die Prinzessin am nächsten Morgen aufwachte, war sie voller Zuversicht und Vertrauen und machte sich auf, ihren Vater zu besuchen. Man sagte ihr, dass es ihm nicht gut ginge und er stöhnend im Bett liegen würde. Und so machte sich die Prinzessin auf zu seiner Kammer. „Ach, Anuga, mein Kind“, sagte er. „Ich fürchte, es geht mit mir zu Ende und dabei wollte ich noch so viele Dinge erledigen. Das wirst du jetzt für mich tun müssen.“ Seine Stimme war schwach und kaum zu verstehen.

      „Nein, Vater, noch ist es für dich nicht Zeit zum Sterben. Du hast noch ein paar Jahre zum Leben. Also werde wieder gesund!“

      „Ach, mein Kind, ich bin ein alter Mann und des Lebens überdrüssig. Ich habe vom Leben nicht viel gehabt und du sollst es besser haben als ich. Was möchtest du denn für Wünsche erfüllt haben?“

      „Ich möchte, dass du die Zugbrücke öffnest, „ sagte Anuga ruhig.

      „Nein, das ist mein Tod!“ schrie der König.

      „Ich verstehe dich nicht, Vater. Eben erzählst du mir, du seiest des Lebens überdrüssig. Dann können wir auch die Tore öffnen!“ flehte die Prinzessin und sie war, wie so oft, dem weinen nahe. „Ich habe keine Angst vor dem Höllenhund. Er wird uns nichts tun.“

      Der König überlegte noch einen Mund und sagte dann ganz leise: „Also, in Gottes Namen. Mach', was du meinst!“ Und die Prinzessin rannte los. Die Kunde, das die Zugbrücke gefallen war, verbreitete sich in Windeseile im ganzen Land und setzte die Menschen in Erstaunen. Neugierig kamen sie in Scharen, um das Wunder zu sehen. Auch dem Höllenhund blieb diese Nachricht nicht fern und auch er machte sich auf den Weg zum Schloss.

      Mit großen, schweren Schritten stapfte er auf das Schloss zu. Bedrohlich sah er aus mit seinen großen Pranken, aber wenn man genau hin sah, hatte er traurige Augen. Der Höllenhund ging in das Schloss hinein und steuerte geradewegs auf die Kammer des Königs zu und öffnete die Türe. Der König und die Prinzessin erschraken.

      „Mein Ende naht“, sagte der König dumpf und vergrub sich tiefer in seine Kissen. Die Prinzessin Anuga aber hatte ihre Courage nach dem kurzen Schrecken wieder gefunden und steuerte geradewegs auf den Höllenhund zu.

      „Halt!“ sagte dieser. „Bitte bleib' stehen! Ich tue euch nichts zuleide. Ich möchte euch nur kurz erzählen, dass die ganzen Geschichten über mich nicht wahr sind. In Wirklichkeit bin ich etwas ganz anderes, wie ihr noch sehen werdet. Aber die Angst der Menschen hat auch ihren Blick verschleiert. Seit Jahren warte ich auf den Menschen, der keine Angst vor mir hat und mich erlösen kann. Ich glaube, ich habe diesen Menschen jetzt gefunden. Und wenn du, Anuga, mir deine Liebe zeigst, so will ich dich glücklich machen!“ Und die Augen des Höllenhundes blickten die Prinzessin bittend an. Selbst der König wurde ein wenig sentimental und überdachte seine Einstellungen. Die


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