Auf fremden Pfaden. Karl May

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Auf fremden Pfaden - Karl May


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auf seinem Herzen getragen und ihnen wunderbare Kräfte zugetraut! Der neckische Kobold des Dichters hatte den letzteren überlebt, um nach dessen Tode sogar bis hinauf in die Lappmarken seinen Spuk zu treiben. Wer aber war der Schreiber dieser Zeilen gewesen? Wirklich ein Arzt? Sollte sich ein gebildeter Mann wirklich so weit vergessen können, einen abergläubischen Lappen in seinen Vorurteilen zu bestärken? Trotz meiner anfänglichen Belustigung ärgerte ich mich doch darüber; darum sagte ich:

      »Attje Pent, das ist kein Saiwa tjalem, sondern ein Kaiwes tjalok und der, welcher es geschrieben hat, ist kein Doktor gewesen.«

      »Härra, es hat ja geholfen!«

      »Ich werde dir diese Schrift vorlesen, und dann magst du sehen, was du von ihr zu denken hast.«

      Ich übersetzte ihm, so gut es ging, die Worte in das Lappländische; er aber sprang bei den letzten Worten zornig auf und rief:

      »Willst du mich verhöhnen? Diese Worte stehen nicht hier!«

      »Sie stehen hier!«

      »Das ist nicht wahr, Härra!«

      »Willst du mich einen Lügner nennen?«

      Er besann sich.

      »Härra, du bist stets ernst und gut mit uns gewesen, jetzt aber scherzest du. Dieses Saiwa tjalem hat mich aus mancher Not errettet; die Worte aber, welche du mir jetzt sagtest, sind böse; sie beleidigen mich; sie können keinen Menschen erretten; sie können mir auch mein Silber nicht wiederbringen!«

      »Da hast du sehr richtig gesprochen. Ich habe dir ganz genau vorgelesen, was auf dem Papiere steht; ich habe kein Wort weggelassen und auch keins dazugethan! Wirf das Papier fort; es nützt dir nichts!«

      »Sagtest du mir wirklich die Wahrheit?« fragte er zweifelnd.

      »Ja.«

      »Härra, ich werde dieses Papier prüfen.«

      »Wie willst du dies anfangen?«

      »Ich werde es wieder einstecken. Wenn wir den Dieb fangen, so ist es gut, fangen wir ihn aber nicht, so taugt es nichts.«

      »Diese Probe ist nicht zuverlässig, denn du willst den Dieb ja durch mich fangen, nicht aber durch dieses Papier. Wenn du diese Probe wirklich machen willst, so mußt du allein gehen.«

      Er besann sich, und dann sagte er:

      »Du hast recht, und darum werden wir die Probe anders machen: Der Dieb wird das Geld bereits versteckt haben, wenn wir ihn finden, und er wird auch nichts eingestehen. Dann werde ich ihm diese Schrift geben. Beschützt sie ihn, so ist sie gut, finden wir aber das Geld, so ist das wahr, was du mir vorgelesen hast.«

      Das war nun allerdings eine echt lappländische Kalkulation, aber gerade weil die Sache so abenteuerlich klang, ging ich darauf ein.

      »Gut, du sollst deinen Willen haben. Zeige mir die Spur des Diebes!«

      Wir brachen auf und drangen tiefer in den lichten Wald ein. Nach vielleicht einer Viertelstunde erreichten wir eine von verkrüppeltem Ginster bestandene und jetzt überschneite Felsenhalde. Hier sah ich die Schneespuren zweier Männer.

      »Soll ich den Ort sagen, an welchem du das Silber versteckt hattest?« fragte ich Pent.

      »Wirst du ihn finden?« sagte er verwundert.

      »Sicher!«

      Ich untersuchte die beiden Fährten, glitt einer derselben nach und hielt vor einem schmalen Risse im Felsen.

      »Hier war es!«

      »Härra, du hast es wirklich erraten!« rief er. »In diesen Riß hatte ich die Beutel versteckt und ihn dann mit Schnee angefüllt.«

      »Schau her! Hier hast du gekauert, als du das Geld betrachtetest, und hier hielt der Dieb, als er dir den Schlag versetzte.«

      »Woher siehst du dies?«

      »Das werde ich dir später erklären.«

      Während der Fremde einige Augenblicke lang hinter Pent gehalten hatte, waren seine langen Schneeschuhe tiefer in den Schnee eingedrungen und hatten also sehr deutliche Eindrücke hinterlassen. Da sah ich denn, daß der eine Schuh an seiner Sohle eine recht bemerkbare Narbe zeigte, die von einem kräftigen Stoße an einen spitzen Stein herzurühren schien. Doch hielt ich es für besser, Pent von diesem wertvollen Erkennungszeichen jetzt noch nichts zu sagen.

      »Wollen wir ihm folgen?« fragte er.

      »Ja.«

      Wir glitten weiter, aus dem Walde heraus wieder auf die freie Anhöhe und dann jenseits des Höhenzuges hinab in ein breites Querthal, welches wir zu verfolgen hatten, bis wir wieder heraus auf die freie Ebene gelangten. Hier war die Spur dem Schnee so leicht aufgedrückt, daß der Verfolgte im raschesten Laufe dahingeschossen sein mußte. Wir machten es ebenso und glitten mit der Schnelligkeit eines Bahnzuges über die mattschimmernde Fläche fort.

      In dieser Weise und in dieser Richtung mußten wir in zwei Stunden den nächsten Nachbar Pents erreichen, den ich bereits zweimal mit besucht hatte. Auch er war wohlhabend, doch bestand seine Haushaltung nur aus ihm, seinem Weibe, einer Tochter und einem Teutnar, der mir nicht sehr vertrauenswürdig vorgekommen war. Sein Herr hatte mir erzählt, daß derselbe aus Norwegen herübergekommen sei und fast ein Jahr bei ihm im Dienste stehe. Wer sich so ganz allein über die wilden Berge wagt, hat gewöhnlich keinen lobenswerten Grund gehabt, sein Vaterland zu verlassen. Daher dachte ich jetzt unwillkürlich, daß er der Dieb gewesen sein könne. War diese Vermutung richtig, so stand zu erwarten, daß er, bevor er die Hütte seines Herrn erreichte, zur Seite gebogen sein würde, um sein Geld zu verbergen. Dies traf aber nicht ein, sondern die Spur führte in unveränderter Richtung weiter. Entweder war der Dieb sehr unvorsichtig oder sehr frech, daß er es gar nicht der Mühe wert erachtete, für seine Sicherheit bedacht zu sein.

      So setzten wir unsern Weg schweigend fort, bis wir die Hütte des Nachbars erreichten. Seine Tochter befand sich außerhalb derselben und hatte ihn auf unser Kommen aufmerksam gemacht; daher kam er uns entgegen.

      »Tuina litja atna – Friede sei mit dir!« grüßte ihn Pent.

      »Tuina aj aj – mit dir ebenso!« antwortete er.

      Sodann faßten sie sich beim Leibe, schoben die Wintermasken beiseite und rieben sehr freundschaftlich die Nasen aneinander. Ich als Fremder aber kam mit einem Händedrucke davon. Die beiden Frauen wurden auf gleiche Weise begrüßt, und dann fragte Pent:

      »Wo ist Teutnar Pawek? Ich sehe ihn nicht.«

      »Dort bei den Tieren kannst du ihn sehen.«

      Wirklich sahen wir die Gestalt des Betreffenden bei den Rentieren, welche beschäftigt waren, Flechten unter dem Schnee hervorzuscharren.

      »Hat er seine Ski an?« erkundigte ich mich.

      »Nein, hier an der Hütte lehnen sie.«

      Ich trat näher, um die Schuhe zu betrachten, und bemerkte an einem derselben sofort das angedeutete Zeichen.

      »Rufe ihn herbei. Wir haben mit ihm zu sprechen,« sagte ich.

      Auf einen grellen Pfiff und einen Wink mit der Hand kam der Knecht langsam herbei.

      »Puorest ... guten Tag!« grüßte er mit der unschuldigsten Miene von der Welt.

      »Sind diese Ski dein Eigentum?« fragte ich ihn.

      »Ja, Härra,« antwortete er.

      »Kommt in die Hütte! Ich habe mit diesem Manne zu reden.«

      Der Knecht kroch ohne alles Widerstreben sogleich zuerst durch den Eingang, und seine Herrschaft folgte ihm neugierig. Der Besitzer der Hütte hieß Stalo, zu deutsch ›Riese, obgleich er mir nur bis an die Achseln reichte.

      »Attje Stalo,« sagte ich zu ihm, »dieser Knecht wird sehr bald von dir gehen.«

      »Wohin?« fragte er erstaunt.

      An das Kittek.«

      Er


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